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1909 Freitag, 18. Juni >ss 8 ZS 8 L, 3 «, mehr zu unterstreichen, nachdem die Entente in der jüngsten Balkankrisis gegenüber dem von den beiden Verbündeten mitteleuropäischen Kaiser reichen errungenen glänzenden diplomatischen Siege gerade nicht sonderlich günstig abgeschnit- ten hatte. Es soll der Mitwelt gezeigt werden, daß die Tripleentente nach wie vor auf dem Posten ist, und zu dieser Kundgebung sind eben die dies jährigen Begegnungen des Kaisers Nikolaus mit dem Präsidenten Falliöres und dem König Eduard bestimmt, sie werden sicherlichmit allen nötigen poli tischen Beiwerkinszeniert werden. Nun, die Neuauf lackierung des west-östlichen Dreibundes braucht den mitteleuropäischen Dreibund nicht weiter zu beunruhigen, selbst wenn dann Väterchen Niko laus auch noch den König von Italien besuchen sollte; der europäische Friede erscheint zurzeit ganz leidlich gefestigt, es liegt für die Tripleentente und den Dreibund keinerlei Anlaß vor, wegen ir gendeiner Frage feindselig die diplomatischen Klingen mit einander zu kreuzen. Zwar ist ge rade jetzt das alte kretische Problem wieder auf getaucht, doch steht zu hoffen, daß die Mächte eine, für den kaum erst hcrgestellten Frieden im Orient bedenkliche Zuspitzung der Kretafrage, noch zu verhindern wissen werden. Deutsches Reich. Die freundlichen Auslassungen der Petersbur ger „Rossija" zu der Kaiserbegegnung in den Schären werden von der „Nordd. Allg. Ztg." wortgetreu abgedruckt, wozu dann das Berliner Regierungsblatt die Bemerkung hinzufügt: „Wir würdigen und erwidern die freundliche Gesin nung, die aus diesen Ausführungen spricht. Auch ihrem Inhalt können wir rückhaltlos zustimmen. Mit dem Ausdruck des Dankes für diesen russi schen Willkommensgruß an Kaiser Wilhelm ver binden wir aufrichtige Wünsche für einen unge trübten Verlauf des Wiedersehens zwischen den beiden befreundeten Monarchen." Dem neugcgründeten Hansabund für Gewerbe, Handel und Industrie bringt der Kaiser, wie aus Berlin berichtet wird, das größte Interesse ent gegen. Der Monarch erkennt dieser Vereinigung vollste Berechtigung zu, er soll hierbei ausgeführt haben, daß jedem das Recht und unter Umständen die Pflicht zustehe, sich gegen ein vermeintliches Unrecht in entsprechender Weise zu wehren und sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen. Der Kampf gegen dieses vermeintliche Unrecht müsse aber stets niit einwandfreien Mitteln geführt wer den. Auch er vertrage ein offenes Wort und ver werfe keinerlei Kritik, sofern sie sachlich bleibe und allgemeine Interessen, nicht aber Sondcrinter- essen verfolge. Der Kaiser erhofft von den» neuen Hansabund, daß er nicht nur in der Frage der Reichsfinanzreform Gutes zu wirken bestrebt sei, sondern, daß er auch weiterhin zur Klärung so mancher Fragen, namentlich von wirtschaftlicher Bedeutung, beitragen werde. — Es bleibt aller dings noch abzuwarten, ob sich der Kaiser wirklich in dieser Weise ausgesprochen hat. Im übrigen hat der neue Bund schon eine ungemein rührige Wer betätigkeit zu entwickeln begonnen und namentlich an alle eingetragenen Firmen in Deutschland ent sprechende Schreiben gesendet. Tie nunmehr inhaltlich bekannt gewordenen neuen Ersatzsteuervorlagen der Regierung — er weiterte Erbschaftssteuer, Steuer auf Feuerver sicherungspolicen, erhöhte Effektenstempelsteuer, Scheckstempelstcuer, Umsatzsteuer bei Grundstücks verkäufen — sollen nach Berechnung der Regie- rung insgesamt etwa 140 Millionen Mark jähr lich zugunsten der Reichskassc bringen. Regie rungsseitig betrachtet man die Ersatzsteuern als einen geeigneten Boden zur Verständigung zwi schen Bundesrat und Reichstag über die Reichs finanzreform, wobei natürlich Voraussetzung wäre, daß Zentrum und Konservative nebst An hang auf die von ihnen vorgeschlagenen Besteue rung der Wertpapiere, die Wcrtzuwachssteuer auf Immobilien, die Mühlenumsatzsteuer und den Kohlenausfuhrzoll, welche Steuerprojekte von den verbündeten Regierungen als für sie unannehm bar bezeichnet worden sind, verzichten. Inwieweit dies geschehen wird, und inwieweit überhaupt das mit den neuen Steuervorlagen der Verbündeten Regierungen erstrebte Kompromiß betreffs der Reichsfinanzreform Aussicht auf Verwirklichung besitzt, das werden ja die begonnenen nachpfingsi- lichen Verhandlungen des Reichsparlamentes wohl bald zeigen. Der Reichstag nahm am Dienstag seine Ver handlungen nach Ablauf der Parlamentarischen Pfingstpause wieder auf. Auf der Tagesordnung dieser ersten Sitzung nach Pfingsten stand die von den liberalen mecklenburgischen Abgeordneten eingebrachte Interpellation darüber, was der Reichskanzler angesichts der ins Stocken geratenen mecklenburgischen Verfassungsfrage zu tun ge denke. Abg. Pachnicke (fr. Verein.) begründete die Interpellation unter scharfen Vorstößen gegen die mecklenburgische Ritterschaft, worauf der Staats- sckretär des Reichsamtes des Innern, v. Beth- mann-Hollweg, eine ziemlich nichtssagende Erklä rung abgab, wonach die verbündeten Regierungen an der Hoffnung festhalten, daß die mecklenburgi sche Derfassungsrcfcrm doch noch ins rechte Ge leise kommen werde. Ihm folgte der mecklen burgische Bundcsratsbevollmächtige von Branden stein mit Abgabe der Versicherung, die Regie rungen der beiden Mecklenburg hätten neue Ver handlungen in Sachen der geplanten Verfassungs revision eingelcitet, sie seien entschlossen, das Re formwerk durchzuführen. In der Debatte über die Interpellation erklärten der Konservative von Normann und der Rcichsparteiler v. Oertzen, daß sich ihre Parteien an dieser Besprechung nicht be- tciligcn könnten, weil es sich um eine die Zustän digkeit des Reichstages überschreitende Angelegen heit handle. Abg. Linck (nat.-lib.) wies die Not wendigkeit einer zeitgemäßen Verfassung für Mecklenburg nach, Abg. Spahn (Zentrum) betonte, daß das Reich nur unter Zustimmung der Einzel staaten sich mit Verfassungsänderungen in den selben abgebcn könne, und der Sozialdemokrat Frohme bekämpfte energisch die mecklenburgischen Feudalen. Abg. v. Trcnenfcls (kons.) verteidigte die mecklenburgische Ritterschaft, dann sprachen noch die Abgeordneten Wiemer (fr. Volksp.) nnd Zur europäischen Lage. Die soeben stattgefundene Zwei-Kaiser-Zusam- menkunft in den finnischen Schären hatte bereits vor ihrem Eintritte eine Unmenge von Betrach tungen und Vermutungen in der europäischen Tagespresse über das Ereignis ausgelöst, und höchstwahrscheinlich wird dies auch in der nächst- folgenden Zeit noch weiter der Fall sein. Gewiß, es ist ein nichts weniger denn alltäglicher Vorgang, wenn sich der deutsche Kaiser und der Zar aller „Reußen", die obersten Vertreter der zwei größten Militärmächte der Welt, freundschaftlich wieder einmal die Hände schütteln, hängt doch von einem friedlichen Einvernehmen zwischen Deutschland und Rußland viel für die Ruhe Europas ab. Trotzdem werden Wohl diejenigen politischen Pro pheten, welche aus der Kaiserentrevue in -en russischen Ostseegewässern auf irgendwelche bedeutsame deutsch-russische Abmachungen schlie ßen wollen, kaum zweifelhaft auf dem Holzwege sein, da in anbetracht der gegenwärtigen politi schen Konstellation Europas schwerlich auf eine neue intime Annäherung Deutschlands und Ruß- lunds infolge der Begegnung ihrer Herrscher ge rechnet werden darf. Sicherlich beleuchtet dieser Vorgang in recht erfreulicher Weise die zurzeit be stehenden freundnachbarlichen Beziehungen zwi- scheu den beiden mächtigen Kaiserreichen, und man hat allen Grund zur Annahme, daß dies Verhältnis bis auf weiteres keinerlei Trübung erfahren wird, weil eben die politischen Inter essen Deutschlands und Rußlands sich nirgends kreuzen. Indessen, an eine Wiederkehr der Zeiten des ehemaligen Drei-Kaiser-Bündnisses ist nicht zu denken, dazu haben sich inzwischen die politi schen Verhältnisse in Europa denn doch zu sehr geändert; schließlich wird man auch weder an der Spree, noch an der Newa, noch auch an der Donau maßgebendenorts ein Wiederaufleben dieses ver alteten Dreibundes wünschen. Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß bei allem guten Einvernehmen zwischen Deutsch land und Rußland doch nicht mit einer etwaigen Wiederaufnahme ihrer früheren gegenseitigen Bündnisbeziehungen zu rechnen ist, so würde hier zu schon der Hinblick auf die bevorstehenden Som- merreisen des Zaren Nikolaus genügen. Er stat tet bekanntlich im laufenden Sommer dem Präsi- deuten Fallitzres in Cherbourg und dem Könige Eduard in Cowes Gegenbesuche ab, und gedenkt ferner auch dem König Viktor Emanuel an einem noch zu bestimmenden Punkte der italieni schen Küste einen Besuch zu machen. Die signali sierten Zusammenkünfte des russischen Kaisers mit den Staatsoberhäuptern Frankreichs und Englands lassen ihre politische Signatur offen erkennen. Es handelt sich hierbei nicht nur um einen unerläßlichen internationalen Höflichkeits akt, sondern auch noch um etwas wichtigeres, um die Betonung der Fortdauer der englisch-franzö- sisch-russischen Entente, des Gegengewichtes zum mitteleuropäischen Dreibund. Unstreitig fühlt man in den leitenden Kreisen der Triplecntcntc das Bedürfnis, das intime. Einvernehmen der Westmächte und Rußlands vor Europa wieder s « ^S.3 188. rra rr Z Krrrrspr-chftell- Rr. SS. Bestellung« werd« bei all« Postanstaltm de« deutsch« Reiche«, für Bischofswerda und Umgegend bei unser« ZettungSboten, sowie in der GeschästSstelle diese« Blatte« angenommen. Schlutz der «eschäft»strlle Abend« « Uhr. Lretrmdsechztgfter Aahrgaxg. Per säcMche LrMer, Tageblatt für Bischofswerda, Stolpen und Umgegend Amtsblatt der Kgl. Amtshauptmannschast, der Kgl. Schulinspektion und des Kgl. Hanptzollamtes zu Bautzen, sowie des Kgl. Amtsgerichts mW des Stadtrates zu Bischofswerda. Der über den oberen Bahnübergang in Klirr Weicker-ors führende Kirchsteig und Fahrweg wird vom 17. Juni d. I. ab gänzlich em- gezogen. Der Verkehr wird einstweilen bis zur Fertigstellung der Untersührung auf den niederen Uebergang auf den über den Goldbacher Berg führenden Weg verwiesen. Bautzen, den 16. Juni 1909. Königliche Amtshauptmannschaft. Inserate, welche in diesem Blatte dir weiteste Verbreitung stwm, werd« bi» vorm. 10 Uhr angenommen, größer« und komplizierte Anzeigen tag» vorder, und kostet di» viergespaltene KorpuSzeile 12 «i, die Rrklamezeile 30 Geringster Jnseratenbetrag 40 «i. Für Rückerstattung eingesandter Manuskripte usw. keine Gewähr. 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