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b) Sandmännchen von J. Brahms. Die Blümelein, sie schlafen schon längst im Mondenschein, Sie nicken mit den Köpfen auf ihren Stengelein. Es rüttelt sich der Blüthenbaum, er säuselt wie im Traum: Schlafe, schlafe, schlaf’ du, mein Kindelein! Die Vögelein, sie sangen so süss im Sonnenschein, Sie sind zur Ruh’ gegangen in ihre Nestchen klein. Das Heimchen in dem Aehrengrund, es thut allein sich kund: Schlafe, schlafe, schlaf’ du, mein Kindelein! Sandmännchen kommt geschlichen und guckt durch’s Fensterlein, Ob irgend noch ein Liebchen nicht mag zu Bette sein. Und wo er nur ein Kindchen fand, streut er ihm in die Augen Sand. Schlafe, schlafe, schlaf’ du, mein Kindelein! c) Die Löwenbraut von R. Schumann. Mit der Myrthe geschmückt und dem Brautgeschmeid, Des Wärters Tochter, die rosige Maid, Tritt ein in den Zwinger des Löwen; er liegt Der Herrin zu Füssen, vor der er sich schmiegt. Der Gewaltige, wild und unbändig zuvor, Schaut fromm und verständig zur Herrin empor; Die Jungfrau, zart und wonnereich, Liebstreichelt ihn sanft und weinet zugleich: »Wir waren in Tagen, die nicht mehr sind, Gar treue Gespielen wie Kind und Kind, Und hatten uns lieb und hatten uns gern; Die Tage der Kindheit, sie liegen uns fern. »Du schütteltest machtvoll, eh’ wir’s geglaubt, Dein mähnenumwogtes, königlich Haupt: Ich wuchs heran, du siehst es, ich bin Das Kind nicht mehr mit kindischem Sinn. »O wär 1 ich das Kind noch und bliebe bei dir, Mein starkes, getreues, mein redliches Thier! Ich aber muss folgen, sie thaten’s mir an. Hinaus in die Fremde dem fremden Mann. »Es fiel ihm ein, dass schön ich sei; Ich wurde gefreit; es ist nun vorbei, — Der Kranz im Haare, mein guter Gesell, Und vor Thränen nicht die Blicke mehr hell. »Verstehst du mich ganz? schau’st grimmig dazu; Ich bin ja gefasst, sei ruhig auch du! Dort seh’ ich ihn kommen, dem folgen ich muss, So geb’ ich denn, Freund, dir den letzten Kuss!« Und wie ihn die Lippe des Mädchens berührt, Da hat man den Zwinger erzittern gespürt; Und wie er am Gitter den Jüngling erschaut, Erfasst Entsetzen die bangende Braut.