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Zur «rubeukatastrophe bei Ham« i« Westfale«. «mr tSrubeukataftrophe bet Hamm tx Westfale«. Die schwere Katastrophe auf der Grube „Rad- bod" in Westfalen hat in allen Schichten des deut schen Volkes, aber auch über die schwarz-weib roten Grenzpfähle hinaus innige Teilnahme her vorgerufen: hat sich doch im deutschen Bergbau seit langem nicht mehr ein Unglück von solcher Grütze ereignet. Wie nunmehr feststeht, haben bei der Katastrophe im Zeche Radbod insgesamt 360 Berg leute den Tod gefunden. Ueber 300 der Toten konnten noch nicht geborgen werden; es lätzt sich selbst jetzt noch nicht bestimmt sagen, wann dies geschehen wird, Was die Ursachen der verhäng nisvollen Schlagwetterexplosion, welche zu dem gewaltigen Grubenbrande führte, gewesen sind, darüber gehen die Anschauungen auseinander; vielfach wird die Meinung laut, datz unzuläng- liche SicherheitSmahregeln daS Unglück verschuldet hätten; eS müh also die nähere Aufklärung darüber abgewartet werden. Als selbstverständlich darf es gelten, datz für die bei der Katastrophe verletzten Bergleute, wie für die Hinterbliebenen der toten Bergleute ausreichend gesorgt werden wird, wobei sich der Staat und die Privatfürsorge hoffentlich zusammenfinden. In letzter Hinsicht ist denn auch bereits ein vielversprechender Anfang zu einer umfassenden Hilfsaktion für die Hinterbliebenen von „Radbod" gemacht worden. Ungemein zahl reich find die Bekundungen der Teilnahme an dem schweren Unglück auf der „roten Erde" ; als einer der ersten, der seine Teilnahme an der Katastrophe bezeugte, ist Kaiser Wilhelm zu nennen. Auch im Auslande hat die letztere viel- fach warmeS Mitgefühl hervorgerufen ; besondere Erwähnung verdient die herzliche Beileidsdepesche, welche Präsident FalliöreS anlählich deS Un glückes von „Radbod" an den Kaiser gerichtet hat, und in der FalliöreS auf die tatkräftigen Sym pathien Deutschlands bei der Katastrophe von EourrisreS hinweist. Im Auftrage seines kaiser lichen Vater» weilte Prinz Eitel Friedrich am vergangenen Freitag nachmittag zur Einziehung von Informationen an der Unglücksstätte, wobei sich die angesammelte Menge in erbitterten Kund gebungen gegen die Behörde erging; die aufge botenen Polizeimannschaften konnten nur mit Mühe den Ausbruch einer förmlichen Revolte ver hindern. Der Prinz empfing eine Deputation von drei Bergleuten, deren ihm vorgetragenen Wünsche er dem Kaiser zu übermitteln versprach. Uebrigens hat der in Donaueschingen eingetrof fene Chef des kaiserlichen Zivilkabinetts, v. Valentini, dem Kaiser Vortrag über die Kata- strophe in der Grube „Radbod" gehalten. Dem „Berl. Lok.-Anz." wird von einem Be richterstatter über die Vorgänge u. a. folgendes gemeldet: Ein Bergmann hatte sich auf ein Fensterbrett gestellt und hielt eine Ansprache. Es gelang mir, mich durch die Menge zu zwängen und Eintritt ins Kontrollhaus zu erhalten. Dort wurde mir der Zutritt zum Direktionszimmer gestattet, wo der Direktor Jantzen eben den Prinzen den Sachverhalt zu erklären versuchte. Doch die Rufe wurden immer lauter, und plötzlich hieh es, eine Deputation der Arbeiter wünsche den Prinzen zu sprechen. Der Prinz war sofort dazu bereit. Der Adjutant stellte fest, was die Leute vorbringen würden, und gleich darauf traten drei Bergleute ein. Der Prinz trat ihnen entgegen, reichte jedem einzelnen die Hand und fragte sie nach ihrem Namen. Es waren Johann Pilgrim, Ernst Rühn und Jakob Lewandowski. Eingehend er kundigte sich der Prinz nach den Verhältnissen und dann nach den Wünschen der Leute. Darauf nahm zu einer Ansprache an Prinz Eitel-Fried- rich Johann Pilgrim das Wort und führte in freimütiger Weise folgendes auS: „Wir bitten Eure König!. Hoheit, etwas für unS zu tun. Die armen, unglücklichen Leute da drautzen, die unS hier hineingesandt haben, bitten Eure König!. Hoheit, zu helfen, und zwar, datz Sie erstens ein Reichsberggesetz, zweitens mehr Bergarbeiterschutz und drittens als Hauptsache Arbeiterkontrolleure aus den Reihen der Arbeiter durchsetzen mögen. Dann werden nicht wieder soviel Leute umkommen. Königliche Hoheit I Wir sind hier alle gute Kameraden und fühlen miteinander. Bor zwei Monaten habe ich meinen besten Freund hierher kommen lassen, damit wir zusammen seien. Jetzt ist er tot! Wir bitten, dem Kaiser unsere Wünsche unterbreiten zu wollen." Aufmerksam war der Prinz Eitel-Friedrich der Ansprache gefolgt. Dann drückte er dem vor ihm stehenden Bergmann die Hand und sagte: „Ich werde meinem Vater Ihre Wünsche mitteilen und werde auch nach Möglichkeit Sorge tragen, die Unfälle in den Bergwerken einzuschränken." Dann erkundigte sich der Prinz noch einmal nach den persönlichen Verhältnissen jedes einzelnen der Bergleute und entlietz sie mit einem Hände druck. Drautzen waren inzwischen die Rufe ver stummt. Und als bald darauf der Prinz sich in sein Automobil begab, machte ihm die Menge re spektvoll Platz. Als das Automobil fortgefahren war, hielt der Bergmann Pilgrim eine Ansprache an die Menge, in der er über seinen Empfang beim Prinzen Bericht erstattete, indem er hervor hob, die Ehre sei nicht zu unterschätzen, die ihnen allen geworden: denn es gäbe Menschen, diekeinePrinzenseien,unddiedoch nicht die Wünsche der Arbeiter an hörten. „Ihr alle witzt, wen ich meine," setzte er hinzu. Dann bat er die Bergleute, ruhig aus einander zu gehen, was sofort befolgt wurde. Der Empfang, die Worte des Prinzen, hatten auf uns alle, die wir anwesend waren, den tiefsten Eindruck gemacht. Der Prinz begab sich mit sei nem Automobil nach dem katholischen Kranken haus, wo er eingehend mit den Patienten sprach. Während seiner Anwesenheit starb einer der Ver letzten. Von hier ging es nach dem städtischen Krankenhaus, wo der Prinz gleichfalls einige Zeit verweilte. Prinz Eitel-Friedrich verbleibt die Nacht in Hamm und hat im Schützenhof Woh- nung genommen. Am Freitag vormittag spielten sich entsetzliche Szenen, die alle jetzt dagewesenen übertrafen, vor der Zeche ab, als die Namensliste der Toten aus gegeben wurde. Schreiende Frauen mit aufge löstem Haar versuchten sich gewaltsam in den Schacht zu stürzen, um ihre Männer zu erreichen, wobei sie ausriefen: „Wir wollen mit unseren Männern sterben. Wir wollen bei ihnen begra ben sein." Die Dortmunder Schutzleute, die den Wachtdienst auf der Zeche versahen, hatten alle Mühe, die armen, verzweifelten Menschen von dem Schacht zu entfernen. Und manchem alten Schutzmann, der mit erhobenen Händen die Frauen beschwor, doch um Gottes willen zurückzu gehen, und ihnen gütlich zuredete, rieselten Tränen in den grauen Bart. Ein Mitarbeiter der „Berl. Allg. Ztg." be richtet: , Die meisten der Opfer zeigen furchtbare Brandwunden, Knochenbrüche und innere Ver letzungen. Einem Unglücklichen waren die Füße total abgerissen. Ein Steiger wurde mit Brandwunden bedeckt und mit einer Schädelver letzung herausgebracht. Als eine Frau ihren ver stümmelt aus der Grube gebrachten Mann noch an den Schuhen erkannte, stieß sie einen mark erschütterten Schrei aus und warf sich über die Bahre. Lautes Wehklagen erfüllt die Zeche. Eine Frau, die erst vor Jahren ihren ersten Mann durch den Tod verlor, wartet jetzt vergeblich auf die Rückkehr ihres zweiten Mannes und ihrer zwei Brüder. „Mas soll ich mit meinen armen Kindern anfangen, wenn mein Mann nicht wieder- kommt?" jammert ein junges Weib, das stunden lang vergeblich gewartet hat.. . . * * * Präsident Falliöres richtete aus Anlaß des Grubenunglücks folgendes Telegramm an Se. Maj. den Kaiser: „Frankreich hat die Sympathie, welche die deutschen Grubengesellschaften den französischen Bergleuten beim Unglück von Courriöres bezeugt haben, und den Heldenmut der westfälischen Berg leute, die zur Rettung ihrer französischen Kameraden herbeieilten, nicht vergessen. Um so tiefer war unsere Ergriffenheit, als wir von dem furchtbaren Unglück vernahmen, das sich auf der Zeche Radbod zugetragen hat. Wir nehmen von ganzem Herzen teil an der Trauer, die das deutsche Reich in so schrecklicher Weise betroffen hat. Ich bitte Ew. Kaiserliche Majestät, den Ausdruck unseres auf richtigen Beileids entgegennehmen zu wollen." Kaiser Wilhelm antwortete auf die Beileids depesche des Präsidenten Falliöres, er sei tief ge-