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( 0 ) Sonderbare Rettung der Unschuld. (Eine wörtlich wahre Geschichte. Zn — wohnt ein ehrbarer, gottcsfürchti. gtr Handwerker, glücklich im Besitze einer Gat tin und einer einzigen Tochter. Gretchen, eine junge kaum aufgeblähte Rose von 17 Jahren, des Vaters Liebling und darum etwas vcrzo- gen, war zu einem Dalle geladen, auf welchem sie ein junger Offizier, ihr Nachbar, begleiten soll, d-r, ungeachtet der sonstigen Vorsicht und Strenge des Vaters, doch aus einem sonder, baren Grunde die Erlaubniß erhielt» dasHaus des redlichen Handwerkers und damit Gretchen so oft er wollte zu besuchen. Er hatte nämlich, wie der Vater behauptete, eine ausgezeichnete Aehn- lichkeit mit seinem verstorbenen geliebten Bruder. Allein nicht immer wallt in einem schönen Körper auch eine schöne Seele. Herr von — war leichtsinnig und zählte eine geopferte Un schuld unter seine Triumphe. So hatte er auch beschlossen, da er in wenigen Tagen * * * verließ, den Lohn seiner Bemühungen um das liebliche Gretchen am Schlüsse des Dalles zu ernten, die Unschuld zu morden. Eine kleine Dosis Opium in Limonade gemischt, die er. höhte Reizbarkeit durch den Tanz, Gretchens einsames Gemach im Hinterhause — alles ließ den unseligen Lüstling nicht am Gelingen sei- ner schändlichen That zweifeln. „Der Herr Lieutenant!" rief die alte Kö- chin, mit dem Lichte die Hausflur erleuchtend, „Herein!" erwiederte Vater N. „Gretchen wird bald ihren Anzug vollendet haben, auch ist es noch nicht 8 Uhr. Nehmen Sie Platz und erlauben Sie mir und Mutter, meine Abendandacht zu vollenden." „Recht gern, ich werde Ihr Zuhörer ftyn!" sprach heuchelnd der Wollüstling, und dachte an seine schöne Beute. — Der Handwerker hielt die in Frank- furt a. M. hcrauskommciiden Blätter für häus liche Erbauung, und erquickte sich jeden Sonn tag an diesem schönen geistigen Genüsse. Eben war das 5. Stück mit der Post angekommen. Sein Inhalt war: der Mensch, gerichtet durch seine That! Schon diese Aufschrift erregte des Wüst lings Aufmerksamkeit. Der Alte begann mit zitternder Stimme, doch lauter und lauter sprach er von der Begeisterung, die jene herr liche Rede athmet, hingcrisscnM Der junge Mann horchte hoch auf, wurde "stets ernster, und als der Verfasser die Folgen der Verfüh rung der Unschuld malte, als er die Wort« vernahm: „Siehe, noch freust du dich deiner Lüste Genuß, noch spottet dein Uebermuth des leicht gläubigen Jrrthums deiner Getäuschten, noch höhnt dein Leichtsinn der Tugend schweren Kampf, womit der Bessere sich den Frieden des Herzens erkauft; — doch die Minuten wechseln schnell und plötzlich! — Herein stürzt des Leidens Fluth, und unter deinen Füßen wankt der Boden. -Klagen und Seufzer hin geopferter Unschuld schlagen, wie hohle Gei sterstimmen an dein Ohr;" — kurz: jene ganze erhabene Stelle, die in dem Blatte steht, weckte sein Gewissen und der Reue Schlangen- bisse; kaum vermochte er ruhig zu bleiben. Er hörte weiter: Wahrlich! es darf uns nicht wun dern, wenn derVerräther treuer,zärtlicher Liebe, der Unterdrücker hülfloser Tugend sich selbst richtet. Wer will sein Netter seyn? Einsam steht er in-dem Gewebe seiner Thatcn, fern von ihn: die Gesellen seiner Sünde, wie der Edle. Abscheu, Sclbstverachtung, dumpse Ver. jweiflung, stürmen auf ihn ein, seine Hoffnun- gen sind vernichtet, sein Leben «st zerrissen, vor ihm die Zukunft nachtbcdcckt, hinter ihm die Vergangenheit, wie ein verödetes Gefild auf dem Greuel der Verwüstung lagert. Schwär zer, riesenhafter treten seines Lasters Opfer vor ihm hin; er schwankt — er schaudert, er fleht, er knirscht und - schon naht der letzte Augenblick im Selbstmorde, - er ist nicht mehr! „ ,, , blühend, im weißen Gewände der Unschuld, Gretchen herein zu dem grauen Va ter; dieser küßte sie mit Thränen und rief seg nend: O daß du, meines Lebens Trost, stetS gut und schuldlos bleiben möchtest! Ihr Begleiter, kein Bösewicht, nur leicht-