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alles gut; der ersparte Lohn und die sorgfäl tig gesammelten Schwenzelpfennige der ehema- ligen Ladenjungfer deckten di« Ausgaben; diese Quelle trocknete aber ein, es fehlte an Arbeit, also auch an Verd enst; statt der wonniglichen Liebe trat finstrer Unmuth auf, die Nahrungs sorgen häuften sich mit jedem neuen Morgen; dort war kein Auskommen mehr möglich, und so geschah es denn, daß beide mit allen ihren Habseligkeiten auf dem Rücken hier ankamen, um ihr Brod zu suchen. Beide verstanden die Kunst, sich beliebt zu machen, und so gings mit ihrem Erwerb ziemlich gut. Madame nä- hete für Bauerfrauen und Töchter, frisirte bei Hochzeiten die Braute, bei Taufen die Jung fern Gevatterinnen, machte Leichenkronen, und, waS mehr als alles galt, sie hakte eine Un- terhaltungsgabc, die alS sicheres Kapital reiche Zinsen brachte. Der Herr Gemahl übernahm die Bauten der Garderoben, flickte, besserte aus und verdiente manchen Groschen, manches Gericht Gemüse, manches Pfund Fleisch; cs hatte mit dem Paar ganz gut gehen können, wenn es seinen Vortheil besser verstanden, wenn nicht der Unmuth alle Lust zu ausdauernder Arbeit unterdrückt hatte. Unmuth und Groll wollen ein-n Ableitcr haben: diesen suchte und fand, in Ermangelung eines andern, das Paar an sich selbst. Es kam-zu Austritten, die die Aufmerksamkeit deS Dorfes auf sich zogen, und endlich zu einer Klage in puncto clivor- tü. Und so wurde mir denn der Auftrag, meine Pflicht und mein Heil in puncto der Sühne zu versuchen; daS erste Mal, daß man in meinem Amte diese Pflicht von lyir forderte. Ich ließ daS Paar holen, nachdem ich mich auf dies neu? Geschäft gehörig vorbereitet hatte. Da öffnete sich die Hofpforte; ein lufti- ges Wesen schwang sich durch diese Oeffnung, schwebte in drei Sprüngen zur Hausthür — es war dies der Gemahl, den gleichsam der Wind heranwehete. Ungefähr 50 Schritte hinter diesem flog, wie eine Sylphe, die Ge mahlin her, machte vor der Thüre etwas Toi- kette, und nun traten beide ein. Ich war in der Thal etwas verlegen, denn ich befürchtete mit allem Rechte, daß auf beide auch nicht Ein ernsthaftes Wort haften werde.. Meine Frau und meine Kinder hatte ich im voraus entfernt; sie sollten nicht Zeugen meiner vergeblichen Mühe seyn, noch weniger sollten sie eine wei tere Erläuterung über so manches, das in den 'Akten stand, hören. Beide -Eomparenten tra ten rin mit einem Anstande, den man oft in Schauspielen, namentlich im Ballet sieht, der sich aber nicht weiter beschreiben laßt. „Hochwürdiger Herr Inspektor!" — die sen T'tel führten wir vor unserm Avencement zum Superintendenten — „Sie haben für mir die Güte gehabt, mir rufen zu lassen," fing der Mann an. „Und mir auch!" fiel die Frau em. „Ich habe mir gleich eingestellt." „Und ich mir auch." — Ich hatte in der That Mühe ernst zu bleiben. Der Vati- vus commoeli, den ich hier hörte, hätte wohl jedem ein Lächeln abgezwungen. — „Ja, Ihr lieben Leute," sagte ich so ernst wie es mög lich war. „Ich habe den Auftrag, Euch auf merksam auf den wichtigen Schritt zu ma- chen, den Ihr thun wollt. Ich soll alles ver- suchen, ihn zu hindern. Gebe Gott, daß mei ne Absicht gelinge, und Ihr Euch eine zu spä te Reue ersparen möget. Ich habe hier die Akten von den Gerichten; ich habe sie durch, gelesen und gefunden, daß Jhr< von beiden Seiten an dem unglücklichen Vcrhaltniß Schuld scyd. „Von meiner Seite kann-nichts Böses darin stehen. Ich habe mir immer so aufge- führt, daß ich mir vor mich selbst nicht zu schämen habe," unterbrach mich die Frau. Der Mann rächte dies Unterbrechen da durch, daß er unwillig sagte: „Hättest Du Dir aufgeführt, wie sich's für einer rechtli chen Frau schickt — wie sich's überhaupt für Dir geschickt hätte!" „Für mir schickt? habe ich Dir nicht immer geliebt?" „Das wäre meine Liebe, wenn ich mir müßte einen Faullenzer, einen Tagedieb nennen lassen!" „Dann habe ich Dir bei dem rechten Namen genennt. Hochwürdiger Herr Jnspec- tor! Benebelt und dudeldick ist er auf mei-