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Schweiz nur die rauhe Wirklichkeit, ja eine noch lieblosere Begegnung, als in ihrem Va- terlande, denn die inhumane Härte der Schwei zer geaen unglückliche Jungfrauen ist bekannt. Verlassen, arm, ihren Säugling an der Brust, wanderte sie bettelnd und nackten Fußes von Thal zu Berg, und von Berg zu Thal bis in die einsamen Gründe des Reußthales, und von dort in die Höhe zu der düstern des Gott hard. Hier, hoch über der treulosen Menschen. Welt, ward es ihr leicht, und sie wünschte da zu bleiben, aber aller menschlichen Hülfe be- raubt, ohne ein liebendes und tbeilnehmendes Herz, das sich ihrer erbarmt hätte, fand sie nur im Tode die einzige Rettung aus dem Jammer ihres Lebens. Zuvor schrieb sie einen rührenden Brief an ihre Eltern, worin sie ih< nen ihre Schicksale erzählte, und sie bat für ihre Seele zu beten, weil sie nur durch ein Verbrechen sich von der schrecklichen Bürde ih. res Dascyns befreien könne. Einen andern Brief schrieb sie an ihren Verführer. Nach einer erschütternden Schilderung ihrer namcn- losen Leiden, warf sie bie blutige That, welche sie im Begriff stehe zu vollziehen, auf seine Seele, und kündigte ihm an, daß ihr unver söhnter Geist nach ihrem Tode ihm ohne Rast und Ruhe verfolgen werde, vis der Tag der Rache ihm ereilt habe. Diese Briefe gab sie der vorbei eilenden Post, dann zu den er. wähnten einsamen Felsen, und schnitt dort ih. ren und ihres Kindes Lebensfaden ab. Mit Hohnlachen las dec Verführer den fchauervollen Brief, Gewissen und Vergeltung hielt er für Fabeln, gegen deren Schrecken er längst gerüstet zu sein glaubte. Als er ihn gelesen, warf er ihn unter seine alten Papiere. Dort lag ex lange. Er sah ihn öfter, An- fangs mit derselben Empfindung, mit der er ihn gelesen, daim mit wehmüthigem Ernste, dann mit Grauen. Zugleich erschienen ihm in den Stunden des Abends, die schrecklichen Bilder von der.leidensvollen Wanderung der hülfslosen Unglücklichen, von ihrem verzweif- lungsvollen Umhenrren in den Einöden des Gotthards, und von ihrem und ihres Kindes schauervollem Tode. Leise kündigte sich die nahende Nemesis an. Endlich faßte er Muth ( 0 ) den Brief nochmals zu lesen. Von da an war die freche Ruhe, aus der Seele des Frevlers verschwunden. Er suchte sich durch Tiinkge- läge und rauschende Vergnügungen zu zerstreuen, aber mitten im Taumel der Sinnesfreuden, traten jene schauervollen Bilder wie Gespen- ster des Grabes vor ihn hin. Ec hoffte auf Reisen für seine gequälte Seele den Balsam der Vergessenheit zu finden, aber auch dorthin verfolgte ihn der Schatten der gemordeten Unschuld, und so oft er in seine Stube trat, holte er mechanisch den Brief, las ihn, und überließ sich den Qualen wahnsinniger Ver zweiflung. Schon hatte die Nemesis seine Seele umstrickt, und eilte ihr Werk zu voll ziehen. In der fürchterlichen Unruhe seines Gemüths faßte er den Entschluß, mit einem Theile seines nicht unbeträchtlichen Vermögens nach Griechenland zu gehen, und den Rest seinen Verwanden zu hinterlassen. Ohne Zwei fel leitete ihn dec Gedanke, der mehr als ei- nen dorthin geführt hat, durch den hochherzi gen Kampf und Tod für die große Sache der Menschheit, die in Griechenland verfochten wurde, die Schuld eines schmachvollen Lebens zu tilgen, und sich mit dem Himmel zu versöh- nen. Ehe er abrciste steckte er den verhäng- nißvollen Brief in die Tasche. Seine Reise führte ihn durch die Schweiz. Anstatt von Basel gerade zu nach Genf zu gehen, wandelte ihn die Lust an, zuvor noch das schöne Aar. Sau zu sehen. Dort gab ihn sein böser Ge nius den Gedanken ein, die kleine Abschwei fung noch, bis zu den berühmten Vierwald- stadter See, der nicht mehr ferne sei fortzu- setzen. Er befuhr den See. Zwischen den furchtbar, herrlichen Felsenufern holte er un- willkuhrlich den verhängnißvollen Brief her vor und las ihn. Er fragte nach der Ent fernung des Reußthals, und da er vernahm, daß es nicht mehr fern sey, befahl er den Schiffern dorthin zu fahren. So führken ihn die ewigen Hüterinnen des Rechts, Anfangs in weiten, dann in immer engern Kreisen, na- her und immer näher dem furchtbaren Puntte entgegen, auf dem er fein Geschick erfüllen sollte. Don Flüter wollte er zuruck, aber un- willkuhrlich lenkte er seine Schritte aufwärts