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Auszug aus der Geschichte Polens. Bel dem gegenwärtigen Kampfe für Frei heit und Unabhängigkeit, in welchem die polnische Nation mit ihren Zwingherren, den Russen, begriffen ist, wird es hoffent, lich den Lesern dieses Jahrbuches nicht un willkommen seyn, darinnen einen Auszug der Geschichte dieses Landes und seiner Be- wohner zu finden. Polen ist seit einem Zeiträume von tau send Jahren her durch besonderes Unglück merkwürdig geworden. 1772 faßte es ei nen Flächenraum von mehr als 13,000 Quadratmeilen in sich, jedoch gesetzliche Ord nung und bürgerliche Freiheit war keines- «eges in ihm vorhanden; vielmehr war es das Land der größten Widersprüche und Ge setzlosigkeit, denn es waren fast alle Natio nen darinnen zu finden, deren Sitten gro- ßentheils auf der niedrigsten Stufe standen. Im Charakter waren sie heftig und haßten einander selbst feindlich. Es gab zwar Kö nige, allein der Edelmann regierte, dieser aber betrachtete seine Unterthanen alsScla- ven und suchte sie in der Rohheit zu erhal ten. Die Peitsche des Edelmannes war die National Oeconomie und jede geistige Tä tigkeit und Erfindung vertrank der gemeine Pole im Branntweine, daher galt bei die sen Leibeignen das von ihnen häufig ge brauchte Sprichwokt: „Nur was ich trinke ist mein!" — Das Christenthum, welches zu Ende des zehnten Jahrhunderts auch in diesen Län dern Eingang zu finden begann, konnte darinnen nicht gedeihen, sondern wurde viel- mehr die Ursache, daß später ein wilder Re ligionshaß entbrannte, der die Völker nur Neuer Calendrr. noch mehr zu entzweien drohte. Diesen Un einigkeiten wurde erst im Jahre 1563 auf einem Reichstage zu Wilna durch einen Re, ligionsfrieden ein Ziel gesetzt; jedoch die völ lige Ruhe und Eintracht immer nicht ganz hergestellt. Im Jahre 1572 starb der König von Polen, Sigismund II., und nach dessen Tode ward Polen ein Wahlreich, welches es bis zur Constitution 1791 blieb. Von die ser Zeit an aber entzweite Parteisucht den fiimmführenden Adel und Familienhaß der Großen rief fremde Waffen ins Land, wo bei durch unglückliche Kriege ein Theil des selben nach dem andern verloren ging. 1654 trennten sich die Kosaken von Polen und begaben sich unter Rußlands Schutz. 1657 verlor Polen Liefland an Schweden, und Preußen an Brandenburg Der König Johann Casimir mußte nach zwanzigjähri ger Regierung 1668 abdanken. Er war in seiner Jugend Jesuit und Cardinal ge wesen, und wurde nun Abt eines Klosters zu Paris. Sein Nachfolger, Michael, wurde mit den Türken in einen harten Kampf verwickelt, die jedoch der tapfere Sobiesky 1673 besiegte, wodurch er auf den Thron erhoben wurde, wobei er den Namen Johann der Dritte annahm. Dieser Johann der Dritte oder Johann Sobiesky war ein kluger und tapferer Krie ger. Als die Türken im Iahie 1673 Wien belagerten und ganz Deutschland vor ter Muselmänner Fahnen zitterte, eilte der Po len König mit seinem Heere herbei, reitete Wien und schlug der Türken Macht. Mit unbeschreiblichem Jubel ward der Sieger E