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Volkssageo vou dem Bergschlosfe Kyffhauseo, einer der schönsten Gegenden Thürin gens, diegoldne Aue genannt, erblickt man, eine kleine Stande aus einander, die merk würdigen Ruinen der beiden Burgen Kyffhausen und Rotenburg. Der Kyffhauscr Berg ist unstreitig Thüringens höchster und interessantester, er steigt eine Stunde von Kelbra bei dem Dorfe Tilleda steil in die Höhe. Von der Kuppe des Kyff- Häuser ziehet sich ein Rücken gegen Westen fort, verliert aber an seiner Hohe bis zu den Ruinen der alten Burg Rotenburg. Auch zu Tilleda war schon vor dem io. Jahrhunderte ein kaiserlicher Pallast, aber sowohl dieser, als auchKyffhausen und Ro tenburg sanken im Laufe des i6. Jahrhun derts in Trümmer darnieder. Einsam still und schauerlich ist es jetzt auf bissen Stellen, wo einst Oberhäupter mssers Vaterlandes kaiserlich prunkten. — Schatzgräber durch, wühlca beim Scheine des Mondes die Reste derselben, »nd in der Einbildung der Be- woh.ur umliegender Dörfer wirken dort oben immer noch Gestalten und Geister aus «nkstohrnen Jahrhunderten. Nicht leicht möchte es wohl ein anderes verwüstetes Schloß geben, von dem so man cherlei erzählt worden ist, als Kyffhausen. Lief in der Vorzeit liegt die Entstehung die- ser Sagen, aber fortgcpflanzt haben sie sich bis auf unsere Tage. Mit heimlichem Grauen und mit Ernst erzählt sic noch jetzt derThü- ringer seinen Kindern und läßt eS sich nicht nehmen, daß Schatze ohne Zahl auf Kyff- hausen verborgen liegen und daß verzauberte Kaiser und Prinzessinnen daselbst spucken. Meine'Absicht bei Mittheilung verfolgenden Zagen, wird leicht zu erkennen seyn, wenn ne der Leser von der ernsthaften Seite betrach tet und sie als Bruchstücke aus der Sitten geschichte des Mittelalters annimmt, um aus denselben die damalige Kultur deS Volks, so wie die herrschenden Zcit-Jdeerz der 'rudern Zeil kennen zu lernen, Die Hauptrolle bei diesen Zauberspielen hat Kaiser Friedrich der Rothbart über- nehmen müssen. Ihm bat man seine Resi denz im Innern des Berges angewiesen. Dahin ist er verflucht und ve> bannt mit sei nem ganzen Hofstaat. Da sietzr er an einem goldenen Tssche, umgeben von unsäglichen Schätzen; der Bart ist >bm durch den Tisch hindurch bis auf die Füße gewachsen; er schläft etwas, aber nicht ganz, nickt zuweilen mit dem Kopfe und blinzelt mit den Augen, wie einer, der eben erwachen will. Vor Eintritt des jüngsten Tages wird er aber erlöset werden und hervorlommen, um sein voriges Kaiserthum zu regieren. Wie der gute Friedrich dazu gekommen Ist, hier noch spuken zu müssen, vermag ich nicht zu enträthseln. Möglich ist es aber, daß sein in Italien erfolgter Tod, den man damals in Deutschland nicht sogleich erfuhr, Veranlassung za der Sage gab, er scy nicht eigentlich tobt, und wandle unsichtbar noch umher. Es sanden sich auch nach sei- nein To.-: misslich mehrere Gauner ein, welche sich für ihn ausgaben, aber wenig Glück machten. Der letzte von ihnen trat im Jahre 1546 auf. Er war seines Standes ein Schneider ans Langensalza. Dieser ge- ritth auf den Kysshäuser, und da er überall zu Hause war, so schlug er seine Wohnung in der Kapelle auf, machte sich ein Feuer an, und lebte hier drei Tage. Durch den anfsteigenden Rauch wurde sein Aufenthalt kund, denn man stieg hinauf, um zu sehen, woher er entstehe. Da saß der Schneider am Feuer und schwatzte dem erstaun, ten Volke von seinen Königreichen und Kai- serthümcrn vor. Das Volk glaubte diese Mähr, und schrie nun: Kaiser Fried- rich ist wieder da! Ein Graf G ü n- ther von Schwarzburg ließ aber den kai- serlichen Schneider sogleich beim Kopfe neh. men, und ins Grfängniß setzen, daß es zwar Jedermann, selbst eimm Schneider frei stehe,