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für immer verschloß. Im ersten Vorhofe bildeten eiserne Pfahle um ein dort aufgerichtetes Wacht- Haus ein unzugängliches Bollwerk; dunkle festge- wölbte Lhore, an deren Böschungen zackige Fall gitter schwebten, die im Herabstürzen dem Ent weichenden den Hirnschädel zu zerschmettern droh- , ten, trennten die verschiedenen Höfe, ihren Ein- und Ausgang sicher bewahrend. Der zweite Hof, «in längliches Viereck von 120 Fuß Länge und Zo Fuß Breite öffnete die mit EisengittKn verwahr ten Zugänge in die verschiedenen Thürme. In dieser Frohnfestr despotischer, zum Theil auch durch ihre Kreaturen Hintergangener Mini ster schmachtete im Anfänge des igten Jahrhun derts unter Ludwigs XIV. prunkender Regierung als unglückliches Opfer der Hosintriguen ein Herr v. R****. Was die Familienpapiere dieses be dauernswürdigen ManneS in zerstreuten Blättern und in ziemlich altväterischer französischer Ptylistik der Nachwelt aufbewahrten, haben wir zu sam meln, zu ordnen versucht; wir führen die Haupt person unsrer Skizzen selbst redend ein. Ehrgeiz, diese unlautere Quelle menschlicher Verirrungen, und die Sucht, an einem Hofe zu leben, dessen Glanz unter deS pracbttiebenden Lud wigs XIV. Regierung alle Höfe Europa's ver dunkelte, trieben mich, mit bedeutenden Empfeh lungen versehen, an den Hof von Versailles. AlS ich die marmorne Prinzenlreppe hinansticg und in den prächtigen Gaklerien des HerkulessaMes mein eigenes Ich in den wiederprallenden Lichtstrahlen unzähliger Epiegel bewunderte, da hätte mich mein Genius warnen und mir in magischen Bildern mei ne herbe Zukunft vorhalten sollen. Die Marmsr- treppr würde mir dann zur dunkeln Stiege ge worden seyn, auf welcher in den Bastionen der Bastille nur die Fußtritte der Gefangcnwärter dumpf wicderhalltcn; die Weihrauchdüste, in denen geschmeidige und rankevolle Hofleute sich gefallsich- tiz bewegten, würden mich wie j-i e dicke Kerker luft angeweht haben, die ich zwölf lange Jahre hindurch einsig und durch deren giftigen Hauch mein sonst so starker Körper verkrüppelte. Dennoch be trat ich mit sorgloser Unbefangenheit den schlüpf rigen Boden, auf welchen ich, ohne eS zu ver schulden, ohne von meinem Gewissen angcklazt zu werden, nur zu bald strauchelte und siel. Das Glück schien mir seine goldene Angel zu zuwerfen, aber Neid und Scheelsucht, zwei an den Höfen der Großen einheimische Uebcl, verschlangen gleich gierigen Raubfischen dis Lockspeise. Meine erste Vorstellung erwarb mir im Kriegstcparle- ment eine Anstellung mit einem Gehalte von zvoo Livres; der Minister Chamillart überhäufte mich mit Gunstbezeugungcn; ter Kanzler Markis von Torcy »erstattete mir Zutritt zu den glänzenden Abrndversammlungkn, welche die Schöngeister von Paris durch Witz und Laune belebten; — mit ei nem Worte, eine schöne Zukunft tauchte ans dem Meere meiner Hoffnungen aufl; ich fühlte mich glücklich. Kurzsichtiger! hätte mir mein Genius warnend zurufen sollen, siehst du die Nebel nicht, welche sich in giftigen Thautropfen, von dem Nei de boshafter Höflinge erregt, auf die Blüthentrau« me deiner Hoffnungen lagern?— Es war am i4ten Mai 1702, als ich, sorglos