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Hninori sti sches. Die Schulzen Wecken. In einem schwäbischen Dorfe gehörte zu der Besoldung des Schultheißen ein eigentümlicher Posten. Es war nämlich durch eine alte Stiftung ein Capital von 100 Gulden dazu bestimmt, daß von den Zinsen desselben der jeweilige Octsschulze sich Wecken kaufen sollte. Und so wurde denn der jährliche Zins von 5 Gulden gewissenhaft zu diesem Zwecke verwendet, und der Schulze hatte das Ver gnügen, das ganze Jahr über, Sonn- und Feier tage abgerechnet, seinen Frühwecken zum Kaffee umsonst zu essen. Und wie denn oft ein kleiner Vortheil dem Menschen ganz besondere Freude macht, wenn er der Art ist, daß er ihm recht fühlbar wird, so war es auch mit diesen Wecken. Jeden Morgen freuten sich die Schulzen ihres gespendeten Wel kens, und von Manchem hörte man die Aeuße- rung, er würde das lästige Amt, das so wenig Vortheil bringe, längst niedergelegt ha ben, wenn der Wecken nicht wäre, der ihm jeden Morgen gleich zu Tages - Anfang eine sichere Freude mache. Das war nun seit 150 Jahren so sort- gegangen. Es war ein stehender Posten in der Rechnung des Stiftungspflegers: Aus dem Stiftungs-Capital der Wittwe Häber- lin der jährliche Zins für Schulzen-Wecken mit 5 fl., beurkundet durch die beigelegte Quittung: „Von der Wohllöblichen Stiftungspflege Gulden fünf für Schulzen-Wecken erhalten und nach dem Willen der Stifterin richtig zu Anschaffung von genannten Wecken verwendet zu haben bezeugt Schulze N. N." Die Rechnungs-Revisoren hatten zwar über den sonderbaren Posten im Etat des Stiftungspflegers oft und viel den Kopf geschüttelt, aber Keinem war es eingefallen, die Richtigkeit desselben anzuzweifeln. Da kam aber ein neuer Revisor, der ein be sonders spitziger Kopf war und überall Unsauber keiten und Mißbräuche witterte und aufspürte, dem wollten die Schulze-Wecken gar nicht in den Sinn. „Was? " rief er beim Anblicke dieses. Postens, „eine fromme Wittwe sollte dazu eine Stiftung gemacht haben, daß die Schulzen ihren Bauch mit Wecken ansülleu können? Das ist nicht möglich. Es fehlt ja ganz die Beziehung auf die Kirche. Ja, wenn es noch Pfarrers-Wecken wären, das wollt' ich eher gelten lassen. Gewiß steckt eine Schlechtigkeit der Schul zen dahinter." Er begab sich an Ort und Stelle, legte dem Schulzen und dem Ge meinderath seine Be denken vor und ver langte Einsicht in den Stiftungsbrief. Da kam er aber übel an. Es entstand über seine Zweifel ein allgemeiner Aufruhr, man stieß Drohungen aus, ballte die Fäuste gegen ihn und weigerte sich ent schieden, ihm auch nur die Urkunde zu zei gen. Denn so klar es auch dort geschrieben stehe, so brauche man doch das Document gar nicht in einer Sache, an der noch kein Mensch einen Anstand genommen oder gar einen Zweifel gehegt habe. Jndeß der Revisor war obstinat, er bestand fest auf seiner Forderung, und der Schulze, der wohl begriff, daß man ihm die Einsichtnahme nicht verweigern könne, hieß endlich, obwohl im Tone des höchsten Unwillens, den Stiftungspfleger das Actenstück holen. Es geschah, und als das Schrift stück auf dem Tische ausgebreitet war, hatte der Schulze nur abzuwehren, daß man dem Revisor nicht den Kopf darauf stieß. „Da lies, Du—" rief der Stiftungspfleger, der sich durch die Zeifel des Revisors am meisten an seiner Ehre angegriffen fühlte.