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einen weiten Mantel über die Schlafende, nahm sie in seine Arme und stieg an Deck. Wie er erwartet hatte, war keine Seele zu sehen, Koch und Junge befanden sich beim Mittagessen. Die Treppe, die während des Winters auf das Schiff geführt hatte und die noch nicht be seitigt worden war, erleichterte ihm seine Flucht. Bald hatte er das Land erreicht, und nach einem wilden Triumphgeschrei, der mehr dem Geheule eines wilden Thieres, als einem Laute derMen- scheustimme glich, eilte er mit seiner Bente von dannen. Nach kurzem Laufe hatte er das Floß er reicht. Er legte die noch immer Besinnungslose auf das gebrechliche Fahrzeug und blickte dann um sich. Vor ihm lag die See, das heißt ein unab sehbares Feld schwimmender Eisstücke, die, in steter, wogender Bewegung, in südlicher Richtung dahintrieben. In weiterer Ferne gewahrte er zahllose mächtige Eisberge, die gleichfalls nach Süden zogen. Dazu erscholl von der See her ein unaufhörliches, donnerndes Tosen, verursacht von den gegen einander mahlenden Eisstücken und dem Brausen des Wassers. Lawinen stürzten von den Uferbergen in die kochende See und ab und zu siel ein Eisberg mit Krachen in sich zu sammen. Nanson zögerte unschlüssig. Es uar Wahn sinn, sich mit dem elenden Floß in diese See hinauswagen, das wußte Niemand besser, als er selber. Doch was blieb ihm übrig? Sollte er hier am Lande warten, bis der Zorn des so schwer verwundeten Gatten ihn erreichte?" „Nein", schrie er mit einem entsetzlichen Fluch, „wir entkommen oder gehen zusammen zu Grunde!" Doch in all' seiner wahnsinnigen Aufregung ging er mit Bedacht zu Werke. Die Strömung, die das Trmbholz hereingeschwemmt, zog sich eine Strecke die Küste entlang und verlief dann süd östlich in tnr offenen See. Das hatte er an dem treibenden Eise beobachten können. Ein mächtiger Block auseinander gethürmtes Packeis schwamm heran. Ranson stieß vom Strande, schlug den Bootshaken in das vor ihm treibende Eis und ließ sich die Küste entlang und dann hinaus schleppen in die offene See. Der Wind war nur schwach, das Eis drängte, wie schon erwähnt, nur nach einer Richtung, und so war vorderhand nur geringe Gefahr für das Fahrzeug und seine Insassen vorhanden. In dem Packeisblock befand sich eine Ausbuchtung, in welcher das Floß wie in einem kleinen Hafen lag. Jetzt richtete Ranson den Blick auf sein Opfer, das noch immer bewußtlos, in den Mantel gehüllt, bleich und schön vor ihm lag. Er kniete an Hanna's Seite nieder, netzte ihr Stirn und Lippen mit stärkenden Spirituosen und Wasser, und versuchte sie zu beleben. Doch nur ein schweres Athmen entrang sich ihrer Brust. Nachdem sie ungefähr zwei Seemeilen in der selben Richtung fortgetrieben waren, bemerkte er, daß die Eisströmung sich nach rechts und links in zwei Arme theilte, während sich vor ihm offenes Wasser zeigte, nicht ganz frei von Eisbergen und Packeis, aber doch befahrbar. An Bord des Flosses befand sich Proviant und Wasser genügend für zwei Wochen, dennoch verhehlte sick/Ranson nicht, daß die einzige Aus sicht auf Rettung darin bestände, einen Walfisch fänger aufzufinden oder eine der kleinen russischen oder dänischen Ansiedelungen zu erreichen, um sich dort zu verbergen, bis die „Flora" die arktischen Gewässer verlassen—wenn sie dies zu thun noch im Stande war. Und Robert Ranson hatte allen Grund hieran zu zweifeln. — Langsam glitt das Floß über die kalte Fluth. Nanson hatte das Segel gesetzt und blickte nun, an sein Ruder gelehnt, finstertrübe auf die vor ihm liegende Gestalt. Plötzlich kam Leben in die Erstarrte, Hanna bewegte sich, richtete sich auf und blickte verwirrt um sich. Mechanisch beschattete sie ihre Augen mit der Hand. Die Sonne war inzwischen aufgegangen und die zahlreichen Eisberge und ausgedehnten Eisfelder warfen die Strahlen blendend zurück. Sic vermochte nichts zu erkennen. Es war ihr, als schwebe sie im Traume durch die Luft. Sie sollte gar bald erwachen. „So sind Sie endlich wieder bei Besinnung, Frau Lürsen", sagte die rauhe, widerwärtige Stimme des ehemaligen Marinelieutenants. Hanna erhob sich auf ihre Füße; das Floß schwankte unter ihr; entsetzt griff sie nach dem kleinen Mast und starrte mit weit geöffneten Augen hinaus über die Wasserwüste. „O Hinrich, Hinrich! Konntest Du mich ver lassen?" Wild und verzweiflungsvoll gellte ihr Schrei und fand ein Echo an den vorübergehenden Eis bergen. „Sic thäten besser, wenn Sie sich nieder setzten", sagte Ranson kalt. „Hinrich Lürsen ist weit von hier. Ehe die .Flora' in See gehen kann, sind wir an sicherem Orte. Weib!" fuhr er in wilder Erregung fort, „Du meintest, ich hätte vergessen, vergeben! haha! Die tiefe Schmach, den bitteren Schmerz von Dir erfahren, vergeben, vergessen?" „Wo sind wir? — Wohin führen Sie mich?" — „In das Glück oder in den Tod? Du bist mein! — Wir können nicht mehr weit von einer dänischen Ansiedelung sein. Ein guter Seemann