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Auf dem Meere. (Schluß.) Lürsen stürzte, gefolgt von dem Doctor, in wilder Eile nach oben und lugte durch das Nacht teleskop hinaus nach der offenen See. Deutlich gewahrte er dort zwischen den hochgehenden Wogen und dein treibenden Eise ein sloßähnliches Fahr zeug, ungefähr zwei Seemeilen vom Schiffe ent fernt; er glaubte auch zwei Gestalten darauf zu erkennen. „Gott sei mir gnädig!" rief er in fürchter licher Angst. „Was hat sich hier zugctragen?" Er eilte znm Deck hinunter, um eine sofor tige Verfolgung des räthselhaften Fahrzeuges in den Booten anzuordncn, wenn das Schiff, dessen Stengen und Raaen schon längst wieder aufge bracht waren und das sich in vollkommen segel fertigem Zustande befand, nicht aus dem Eise herauszubringen war. — Folgendes aber hatte sich zugetragen: Robert Nanson hatte in seinem bösen Herzen einen finsteren Racheplan ausgebrütet. Da Hanna nie mehr die Seine werden konnte, sollte auch Hinrich Lürsen sich nicht mehr lange des Glückes ihres Besitzes erfreuen. Seit jener Stunde, da sie ihn von ihrer Schwelle gewiesen, hatte er sich in hundert Nachepläncn berauscht, von denen der eine immer unausführbarer war als der andere. Er war thatsächlich als Steuermann Brandeis von seiner indischen Reife zurückgekehrt. Seine Zeugnisse lauteten vorzüglich. Als er erfuhr, daß Lürsen wieder eine Reiss unternehmen wollte, triumphirte er, gerieth aber in ohnmächtige Wuth bei der Kunde, daß Hanna ihren Mann begleiten würde. Nach kurzem Brüten aber sah er wieder seinen Weg klar vor sich. Auch er mußte die Reise mitmachen. Lürsen's Steuermann war eines Mor gens heftig erkrankt, nachdem er den Abend vor her iil Steuermann Brandeis' Gesellschaft zuge bracht und wir wissen, wie der brave Kapitän den Verlust seines alten Schiffsgenossen ersetzte. Wie er seine Rache in's Werk setzen sollte, wußte Nanson noch nicht- Er war aber Fatalist und glaubte an sein gutes Glück. Während seiner einsamen Streifzüge hatte er eine kleine Bucht entdeckt, in welcher eine der den Polarmeeren eigenen Strömungen eine große Menge Treibholz angesammelt hatte. Der Anblick dieses Holzes gab seinem Nachegedanken plötzlich eine bestimmte Richtung. Durch die ermähnte Strömung mußte diese kleine Bucht im Frühjahr viel eher vom Eise befreit werden, als die Bai, in der die „Flora" ankerte. Mit einem Floß, das sich aus den hier auf gehäuften Schiffstrümmern mit Leichtigkeit Her stellen ließ, konnte er vierzehn Tage eher als das Schiff in See gehen. Er wußte, daß sich noch andere Walfischfänger, Russen, Franzosen und Engländer, in diesen Breiten aufhielten, und ge lang cs ihm, einen derselben zu erreichen, so war er geborgen. In seiner Verblendung glaubte er, daß Hanna, einmal in seiner Gewalt, sich willig seinen Plänen fügen werde. Dies sein tollkühnes Unternehmen selbst mußte sie ja nut Bewunderung für ihn erfüllen. Und in kurzer Zeit hatten seine geschickten Hände ein festes Floß hergestellt. Schlimmsten Falles konnte er damit eine nahe Insel oder Küste erreichen, um dort zu verweilen, bis die „Flora" sich auf den Rückweg begeben, und dann war er wenigstens gerächt. Die Vorraths- und Materialienräume des Schiffes standen ihm offen, und es gelang ihm, nach und nach eine genügende Menge von Pro viant bei Seite zu bringen. Einige Segel, einen Vootsmast und einige Riemen warf er Nachts über Bord in den Schnee und schleppte sie dann in sein Versteck. Die Hauptschwierigkeit bestand in der Entführung des jungen Weibes, dessen Schönheit ihn zn diesem aberwitzigen Unternehmen verlockt hatte. Jene große Jagdpartie verschaffte ihm die günstige Gelegenheit. Unbemerkt stahl er sich von seiner Mannschaft fort, kehrte, von dem Koch und dem Jungen unbemerkt, an Bord zurück und verbarg sich in seiner Kammer, von wo er die große Kajüte übersehen konnte. Bald darauf deckte der Junge für die Frauen den Tisch und setzte die Trinkgläser derselben zurecht. Kaum hatte der Junge die Kajüte verlassen, als der Lauscher herzuschlich, in jedes Glas eine kleine Quantität Laudannm goß, ein Betäubungs mittel, das er längst bei sich geführt hatte, und dann in sein Versteck zurückkehrte. Heiter kamen Hanna und Doris die Kajüts- treppe herunter, um ihr Mahl einzunehmcn; war doch der Winter vorbei, trennte sie doch nur noch eine verhältnißmüßig kurze Spanne Zeit von der trauten Hcimath am grünen Ostseestrande. In eurem Monat würde die Ladung vollständig sein, so hatte der Capitän gesagt, und dann ging's zurück, um nie mehr die Heimath zu verlassen. Bald war das Mahl beendet. Die Frauen wußten nicht, daß das Glas Wein, das sie ge trunken, ein Paar verborgene, tückische Augen vor Freuden leuchten machte. Dann überkam sie eine schwere Müdigkeit. Doris legte sich in ih^e Koje, Hanna aber sank in ihrem Lehnstuhl in tiefen Schlummer. Jetzt kam Nanson, ohne einen Augenblick zu verlieren, aus seinem Versteck hervor, warf