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Die Audienz, oder: Dick und Dünn. Eine tragische Geschichte. Der Gerichtsrath Dürrfeld in der kleinen Pro vinzialhauptstadt L. hegte schon lange den Wunsch, in die Residenz versetzt zu werden. Aber wie pünkt lich auch sein Competenzgesuch für jede derlei Stelle einlangte, und wie zuverlässig er jedesmal dem Mi nister, der die Stelle zu vergeben hatte, seine suppli- katorische Aufwartung machte — es half Alles nichts, und das stereotype Abfertigungstergale: „Diesem Gesuche kann keine Folge gegeben werden, nachdem die fragliche Stelle anderweitig verliehen worden ist" brachte ihn beinahe zur Verzweiflung. Endlich als, zum wer weiß wie vielsten Male, die Vakanzenliste des Amtsblattes wieder eine Ge richtsrathsstelle in der Residenz signalisirte, entschloß er sich, beim Landesherrn selbst Audienz zu erbitten. Dürrfeld kommt in der Residenz Morgens an, und da ein guter Freund von dort die Audienzvor merkung schon früher besorgt hat, fehlen nur wenige Stunden auf die entscheidenden Augenblicke, in wel chen Serenissimus die Wünsche des Uebersetzungs- Candidaten allergnädigst anhören wird. Dieser hat sonach keine Zeit zu versäumen, um sich nach eingenommenem Frühstücke der Reisekleider zu entledigen und in die Galauniform zu werfen Doch als der Koffer geöffnet wird — welcher Schrecken! Der Uniformrock fehlt; vermutlich hat die Zwar läßt das Mißvcrhältniß zwischen Oher- Mggd, welche ihn vor deck Einpacken ausbürsten sollte, daraus vergessen, und in der Eile Niemand weiter daran gedacht. Was nun thun? Serenissi mus sind eben für Uniformen ganz besonders ein genommen, und Staatsdiener im Civilkleide bei Au dienzen Höchstdemselben ein Gegenstand ungnädigen Mißfallens. Die Audienz läßt sich noch dazu schick licherweise und schon des kurzen Urlaubs wegen auf keine spätere Zeit verlegen. Ha, ein rettender Gedanke! Der gute Freund, der die Audienz vermittelt hat, muß aushelfen; glücklicherweise wohnt er in der Nähe. Dürrfeld stürzt eiligst in die Wohnung des Herrn Gerichts raths Speckmayer, den er sonst erst nach der Audienz ausgesucht hätte, und beschwört ihn, seiner Verlegen heit abzuhelfen. „Recht gerne", sagt Speckmayer, der zwar an Größe seinem College» ähnelt, aber dafür ein Bäuch lein besitzt, das von dem spindelbeinigen Exterieur Dürrfeld's ziemlich absticht; „recht gerne, lieber Freund, allein mein friedlicher Waffenrock wird Dir wohl kaum passen. ' Jndeß — vielleicht läßt sich mit Watte nachhelfen, wie bei den Waden der Tän zerinnen;. wenigstens weißt Du hernach, wenn Du bei der Audienz ins Schwitzen geräthst, welchem Um stande Du es zu verdanken hast."