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Savoyarde. Der Ein qlänzend erleuchtetes Häkel — rollende Equipagen — Herren und Damen, besonders letztere in glänzenden Toiletten — eine gaffende Menge —! Offenbar feiert die Aristokratie ein Fest, gewiß eine Vermählung. Heiralhen wie Skrrbefälle der höheren Stände sind ja Schau gepränge für sie selbst und Schauspiele für den Plebs, mag er sich, wie vor zweitausend Jahren, üvis romanus, oder wie heute, 6smm parisiou, oder nach einer anderen größeren oder kleineren Stadt neunen. In Paris an einem der Boule vards aber liegt jenes erleuchtete Häkel und seine inneren Räume entsprechen dem äußeren Scheine desselben. Eine Reihe von glänzenden Gemächern, Säten und Salons, füllt eine Anzahl Gäste, alle reich, außerordentlich reich gekleidet, alle nobel, gewalrig nobel auftretend, d nn cs vermählt sich beule der Reichlhum mit dem Asel, die Tochter des reichsten Danquiers von Paris — außer dem jüdischen Baron Rothschild versteht sieb — mir dem Sprossen eines der edelsten und ältesten Ge schlechter der bvils krsnoe. Das moderne Paris hat ci.ie eigcnthümlichc Physiognomie, seine vornehme Welt ist: die nichts- sag nde Blasiliheit verkörpert. Entzücken heu chelnd und doM gleichgültig, in lebhafter, g-wand- ter Sprache, doch eigentlich ohne Gefühlsaus druck, statten die Gäste dem Neuvermählten Paare ihre Wünsche ab, kosten tue überall secoirre reiche kalte Küche oder die Confecte u. s. w., mustern die Zimmereinrichtungen, d c Gäste und die Toi letten derselben, empfehlen sich und rollen davon. Nur ein kleiner Theil der Gäste bleibt zu einem wirtlichen Mahle und nimmt später an einer Tafel in einem der Salons Platz. Es sind die näch sten Verwandten des jungen Paares, meistens Leute desselben Schlages, wie sie schon geschildert, mit nur drei oder hier Ausnahmen, und zu ihnen zählt die Braut, im Gegensätze zu dem Bräutigam; sie zeigt ein etwas kräftigeres Leben, doch eben so viel Eitelkeit und Stolz. Nur ein älterer Herr scheint seinen natürlichen Menschen ganz bewahrt zu haben und mit Rührung blickt er auf das junge Paar, besonders auf die Braut, wobei seine Augen zu Zeiten einen feuchten Glanz bekommen — es ist der Vater dec Letzteren, der Mann, der sein Gold dem Adel liefert, welcher Letztere dafür dem Gold« und dessen Vertreterin den Nimbus der eckten Aristokratie verleiben wird. Dir Unterhaltung bei Tische ist ebenfalls leb ¬ haft, aber geistlos, fast sinnlos, das B.nehaun scheint frei una ist doch studirl, nur der Fcstgeb.r läßt sich ohne Zwang gehen und lhur dab.i d<n- noch beengt; sein: Unruhe steigert sich und nimmt den Charakter von Aengstlichkeit an, als die Toaste auf das Brautpaar enthusiastisch ausgcbracht sind und der Dank dafür eben so von jenem gesorochen worden. Auch der alte Herr dankt, aber die Rüh rung übermannt ihn. „Ach —!" ruft er, „dieser Tag und ein an derer vor vierzig Jahren. Meine Kinder, wcrlhe Gaste, Sie kennen mich nur als reichen Mann, aber ich war es nicht immer, ich war einst arm, sehr arm, elend, wirklich sehr elend. Mein Sohn, meiueTochter, bedenkt später stets, wir Euer Glück begründet worden, um cs nicht leichtsinnig von Euch zu stoßen. Zufriedenheit ist zwar das wahre Glück, doch das Glück welches Geld und Gold heule gewährt, ist di« Unabhängigk.it —! behaltet das, behaltet cs Eurer Kinder wegen, daß sie nie die Bitterkeit der modernen Sclaverei, der Arbeit für Andere, kosten mögen!" Der alte Herr wischt sich eine Thräne aus dem Auge; die Gäste sind durch seine Rede am« miet worden; der Mann liefert ein neues, längst nicht mehr modernes Bild, das der Rührung und d>e Seltenheit macht es pikant; nur die Gemah. im, die Tochter und der Schwiegersohn des Ban- quiers, scheinen in einige Verlegenheit zu gerathen. „DaS Paradies aller Savoyarden," fährt der alte Herr, ganz in seine Erinnerungen versun ken, fort, „ist Paris, diese Hauptstadt Frankreichs, und kaum kann der kleine Savoyarde lallen, so versucht cr jenes Wort zu sprechen, kaum kann er die Berge erklimmen, so denkt er an den Erwerbs- rxeig, den er ergreifen will, um in Paris zum Mlllionair zu werben. Ja, das denkt, das träumt jeder der armen Jungen, welche von dort her kommen und hier sich abmühen und die schwersten Arbeiten für Weniges zu verrichten suchen. Auch mich durchbebce der Gedanke, jener Wunsch, jene Absicht, und zur Basis meiner Operationen, zum ersten Anlauf auf die geträumten Millionen wählte ich eine Eule, zufällig das Sinnbild der Klugheit. Z.'hn Zähre alt, verließ der keine Andre, wie man mich nannte den Eulenbauer auf dem Rücken, den Stock in der Hand und ein Stück Schwarzbrod en der Tasche, die heimischen Berge, um über d-e Grenze nach Frankreich zu pilgern. Die große Straße der Savoyarden ist abgestreifr, man ver-