Volltext Seite (XML)
Die unterirdische Eisenbahn in London: Durchschntttsansicht der Station bei Portland Road. (Mit Abbildung.) „Ruhig, alter Maulwurf", spricht Prinz Ham let zur unterirdischen Geisterstimme. Und jener schauerliche Maulwurf wurde am Ende ruhig. Er war nur ^in malcontentcs Einzelwesen. In un serer Zeit treten die Maulwürfe als eine hochge achtete Gilde auf. Es sind die Ingenieure. Die vier Elemente müssen ihnen gehorchen und auch die Unterwelt machen sie sich zinsbar, wo die Oberwelt ihnert keinen Ellbogen Raum mehr ge wahren will. Ja — will. So steht's in Lon don, und kein „Ruhig, ihr Maulwürfe!" bringt sie mehr zur Ruhe. Unterirdische Verkehrswege! Im Mittelalter kannte man heimliche Fluchtcorridore, die von Bur gen und Schlössern aus unter der Erde dahin sich zu diesem oder jenem Waldversteck verliefen. No vellisten erzählen uns von unterirdischen Kloster gängen. Noch jetzt giebt es in London Leute, die alles Ernstes die Anlage unterirdischer Eisenbahnen als eine Entweihung, als einen verwegenen Ver stoß gegen ein göttliches „Bis hierher und nicht weiter!" bezeichnen. Das sind nicht nur religiöse Fanatiker einer Sekte, die am „Schwimmen im Kopfe" leiden, sondern es giebt ganz gebildete Leute darunter, welche sich bis heute noch nicht entschließen können, auf jener Bahn zu fahren. Andere entschlossen sich sehr langsam, aber doch endlich als die Vergeltung für den „verwegenen Verstoß" immer länger auf sich warten ließ. Jetzt rollt eine „Völkerwanderung" wohl sechzigmal des Tages hin und her durch den Ungeheuern Tunnel, der unter den Hauskcllern sich wölbt, unter Gär ten und Höfen und Straßen — und es scheint als hatten sich die Lungen an den „gelben Nebel" (log) gewöhnt, an die Dünste der Unterwelt, die da, wo der Ventilation besondere Schwierigkeiten sich entgegenstellten, immer fühlbar bleiben müs sen, — tief unter dem Schall der menschlichen Rede der Oberwelt, die uns zu Häuptcn dahin wandelt und dahin fährt. — Bis jetzt hat sich die untmrdsche Bahn,,gut aufgcführt." Es sprang wohl einmal ein Locomotivenkessel aus den Fugen, aber glücklicherweise unter dem hohen Glasdache einer offenen Station und flog 200 Schritt weit in die Straße. Es ist noch nicht nichts Uebles passirs, und kein Kessel durch das Gewölbe und das Straßenpflaster gebrochen, oben und unten Vernichtung ausstreuend, wie Dunkelseher uns schon seit Jahren verheißen haben. Unterirdische Verkehrswege — wir in London könnten auch oberirdische brauchen und das Füh ren von Bahnviaducten über den Schornsteinen und Schlafkammcrn von Millionen dahin ist schon ein kleiner Wink für die Zukunft, den ihm die Ingenieure angedcihen lassen. Man hat keinen Platz mehr in London für den Verkehr. Die City und ihre Ausläufer besitzt keine Straße, die nicht zu allen Tagesstunden gepreßtvollen Kanälen glichen. In diesem Gedränge erscheint dem Fuß gänger, der Eile bat, jeder „dicke Herr" und jede „corpulente Lady" als arrogant und unerträglich, weil sie als gleichberechtigte Einzelwesen einen po lizeiwidrig breiten Raum beanspruchen. Polizei widrig sind jetzt 'in vielen Straßen der City schon Frachtwagen und solche Omnibusse, die auf Um wegen ihr Ziel zu erreichen suchen. Der blaue Mann mit den weißen Handschuhen hak die Fluth der Gefährte zu theilen und in Scitenkanäle zu stopfen, was nicht in den Hauptstraßen Platz findet, was dennoch nicht hindert, daß man zum Zurücklegen.einer deutschen Viertelmcile anderthalb Stunden „mit Stockungen und Verknotungen" bedarf, falls man nicht sich Schusters Rappen an vertraut, hübsch mager ist und sich aalartig durch die trabende Menschenmenge auf den Trottoirs schlängeln kann. Nur wer Zeit verlieren will, oder gar nicht gehen kann, fährt in den inner sten Straßen der City, d. h. er kriecht auf Ra dern. Zn fünfzig Jahren würde da eine Stopfung der Bewegung erfolgen, die keine Polizei der Welt mehr auflösen könnte, die halbe City m'edergerisssn werden.müssen, wenn die Ingenieure nicht als Maulwürfe das Aeußerste leisten. Und sie werden es. Es ist wahrscheinlich, daß sogar sie die pneu matischen Eisenbahnen unter erneuerter Construction zum Transport von lebendiger Fracht, vier- und zweibeiniger, verwendbar machen. Londons Boden ist wie derjenige der h-ulotis ksrisiorum — alles andere als trocken. Nur im Norden, der sich an Hügel lehnt, ist das Erdreich verläßlicher, und so läuft die erste unterirdische Bahn auch vom nordwestlichen Ende der City nach dem nordwestlichsten Ende des Wcstendes. Tiefer unten in der Stadt werden den Ingenieuren viel Re«r KaitL-er F