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Es ist schwer, ja unmöglich, den imposanten Eindruck des Fcstzuzes zu schildern. DaS Ueber- wältigende lag in der Idee, gegen 20,009 Sän ger aus allen Gauen und Stämmen des großen deutschen Vaterlandes, geeint im deutschen Liede, in einem Zuge vorüberschreiten zu sehen. Welche Begeisterung, welche Freude, welcher Jubel auf allen Gesichtern! Ein fortwährender tausendstim miger Jubel begleitete den Zug. Alle Straßen, durch welche derselbe ging, waren dicht mit Men schen besetzt; die Tribünen brachen bald wegen der Last von Menschen, überall Kopf an Kopf blühende Mädchen und Frauen, die mit Tüchern herniedergrüßten und Blumen und Kränze auf die vorüberziehenden Sänger warfen. Bald warf ein Sängerzug, wie die Magdeburger Säuger schaft, in gedruckten Gedichten „Festgrüße an Dresden" in das Publikum; bald wiederum wur den den von der Sonnengluth erschöpften Sängern ein kühler Trunk aus dem Fenster zugereicht oder gar von den obern Stockwerken heruntergelassen. Der Zug, obgleich die Sänger in gewöhnlicher Civilkleidung gingen, war doch keineswegs eintönig zu nennen. Schon die vielen wehenden Fahnen, daneben die von Turnerknaben getragenen größern und kleinern Standarten, mit der Bundes- oder Stadtbezcichnung, die Marschallstäbe n. s. w. gaben dem Zuge einen festlichen und zugleich malerischen Anstrich. Ebenso brachte die uniformirte Schützen compagnie und die ebenfalls am Zuge betheiligte Dresdner Kunstgenoffenschaft mit ihren festlichen Emblemen und mittelalterlich gekleideten Herolden, ferner die Turnerabtheilungen, die Fahnenwachen im sogenannten alldeutschen Kostüm, die Studenten und Polytechniker in Corpsburschentracht bunte Ab wechselung in den Zug. Besonder- aber fesselten die Ungarn durch ihr Nationalcostüm und statt liche Erscheinung die Aufmerksamkeit. Viele der Sänger hatten durch kleine improvisirte Scherze der Prosa deS modernen CostümS abzuhelfen gesucht. Außer den 22 programmmäßigen Musikchörcn wirk ten noch viele von auswärtigen Bünden mitgebrachte Chöre, daS originellste Chor darunter war die auS 10 Mann bestehende, dem RiesengebirgSsängcrbunde angehörcnde Gebirgsschalmeycncapellc. Besonder lebhafte und festliche Scenen bot der Zug am Hotel deS Ministerium deS Innern, auS dessen 1. Etage Se. Exc. Hr. Staatöminister v. Beust und die mei sten Mitglieder des hiesigen diplomatischen Corps der Entwicklung deS großartigen Zuge« zusahen, und welchem hier abermals von allen Seiten die größten Huldigungen dargebracht wurden. Einen Glanzpunkt deS ZugeS bot der Platz vor dem Alt« städter Rathhause dar, die Spitzen der städtischen Behörden waren hier auf dem Balcon versammelt und ein großer Theil der Dresdner Innungen hatte sich hier cingcfunden und bildete Haie zu beiden Seiten deS vorüberkommenden ZugeS. Ebenso be grüßten hier in sinniger Weise etwa 30 Festjung- fraucn die Sänger durch eine Blumenspeude im Namen der Dresdner Frauen. Der Zug, nach der Brücke zu sich bewegend, bot vom Gcorgenthor einen großartigen Anblick. In der Perspective der Flaggenaufstellung der Brücke verschwindend, mischten sich die vielen hundert Ban ner deS ZugeS mit den zahlreichen lustig flattern den Flaggen der Brücke. Durch die getroffenen Maßregeln der k. Po- lizeidirection, bezüglich deS, die Stadt während de« Festes passirenden Fuhrwerks trat nirgends eine Stockung dcs Zuzcs ein. Die sonstige Handhabung der Ordnung war den Turnern anvertraut, welche diese schwierige Mission mit ebensoviel Takt alS Geschick, Freudigkeit u. Entschloff.nheit durchführten. Der Zug bewegte sich durch L*e See-, Breite-, Marien- und Wilsdrufcrstraße, über den Altmarkt, die Kreuzstraße, den GewandhauSplatz, Moritzstraße, Neumarkt, Augustusstraßc, Echloßplatz, Brücke, Haupt-, Bautzner- u. Schillerstraßc nach dem Fest platz, wo die Spitze deS gewaltigen Zuges 24 Uhr eintraf, während die letzten Sänger erst ^7 Uhr anlangten. Der Zug, welcher also eine Länge von 3 Stunden hatte, wurde hier mit Glockengeläutc und Kanonendonner begrüßt und von den Comnv'S empfangen, welche sich unter dem BundeSbanner vor dem Hauptporkale der Festhalle ausgestellt hatten. Die Fahnen wurden, ehe sich die einzelnen Züge auflösten, in der Festhalle wiederum aufgestellt. Die hierauf folgende zweite Hauptaufführung war trotz der Strapazen des Zuges wieder eine sehr gelungene und wurde von der zahlreichen Zu hörerschaft mit dem größten Beifall ausgenommen. Nach Beendigung deS Concerts versammelten sich Publicum und Sänger später wiederum in der Halle zu einem geselligen, durch Instrumental- und Vocalconcert gewürzten Sängerabend. Die Witte rung, welche auch diesen Festtag begünstigte, hatte eine große Menschenmenge gegen Abend auf den Festplatz geführt, und so ging der Tag vorüber, von keinem Unfall getrübt, wenn der Gesundheits zustand auch ein weniger günstiger war, als an den vorgehenden Tagen, indem leider, durch den langen anstrengenden Marsch in der Sonnenhitze hervorgerufen, 107 Krankheitsfälle, darunter einige