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Nicht die glanzende Außenseite, das Imposante und Massenhafte desselben allein war es, waS einen gewal tigen Eindruck auf die erregten Zuschauer machte, sondern vor Allem der in jedem Einzelnen erwachte Gedanke, daß hier eine große und zu großen Zwecken berufene Ration unter einem weithin leuchtenden Banner in Einigkeit und Liebe zu gemeinsamen Thr^n und vergessend jede« kleinlichen HaderS sich zusam- mengeschaart habe, um den heiligen Schwur der Treue dem gemeinsamen Vaterlande abzulegcn. Diesem Gedanken galt der unendliche Jubel, mit dem die Hunderttausende der Zuschauer den Tausenden von Schützen zur Seite gingen. Der Zug war großartig, würdig, sinnig, acht deutsch. Ihn eröffneten die Reit-r der Frankfurter Kaufmannschaft im eleganten Frack. Dann kamen Turner von allen Altersstufen, berittene Musiker in Schützentracht, fünf Gruppen der verschiedenen Be, waffnungSarlcn von den alten Germanen mit Bä renfell und Lanze bis zu den heutigen Turnerschützen; dazwischen Bogenschützen aus dem 11. Jahrhundert in blauweißen Wämsern, bauschigen kurzen Hosen und eng unl'egendcn Strümpfen; dann in Grau und Roth gekleidete Armbrustschützen aus dem 13. Jahr hundert, ferner Luntenschützen aus dem 15. Jahr hundert in braun und grünen Röcke» und gelben Pickelhauben, mit unendlich langen und schweren Feuerrohren, und darauf die Radschloßschützen aus dem 30jährigen Krieg, eine stattliche Truppe in gel ben Röcken mit schwarzen Ausschlägen, in großen Hüten mit wallenden Federbüschen, zuletzt die leicht bewegliche Schaar der Turnerschützen. Nach ver schiedenen Gruppen von Reitern mit dem Stadt- und Reichsbanner, Turnern und Sangern kamen zunächst die Sachsenbäuser Jäger mit ihrer Fahne, auf der ein »usgestopfter Adler thront, und die ganz in Roth gekleideten Zeiger, welche die zerschossenen Scheiben der aus dem l4. Jahrhundert stammenden Frankfurter Urschützengrsellschaft, die sich selbst mit im Zuge befand, trugen, und dann die ehrwürdigen Gestalten der Freiwilligen von l81Z. Hierauf ein riesenhaftes, von frischem Laub durchwobene- Bou quet, aus dem nach allen Seiten himmelblaue Seiden bänder niederliefcn, deren Enden von kleinen lieblichen Mädchen getragen wurden, das Ganze umgeben von rosige» Jungfrauen, welche bekränzte silberne Ehren pokale, und von Knaben in blauen Blusen, welche Prei-stutzen trugen. Dem zweiten Theile deS Zuges wurden die sämmtlichen Bereinsfahnen vorausgetragen, an ihrer Spitze da- Banner deS deutschen SchützenbundeS: da« Spmbol der deutschen Einheit. Ungefähr 150 Fahnen von allen Größen, Formen und Farben hatten sich zu einem blendenden Ganzen vereinigt, da- be- sonders von der Höhe aus gesehen einen imposanten Eindruck machte. Dem Fahnenbouquet folgte die militärisch vrga- nisirte, gegen 1l 00 Mann starke Schaar der Schwei zer, jeder die Alpenrose und das Schweizerkreuz auf dem Hut und den Ordonnanzstutzen im Arm. Ihnen voran schritt die jugendliche Trommler- und Pfeifer mannschaft de- Baseler Kadettenkorps im schwarzen Kittel und Käppi, das Ränzlein auf dem Rücken, ganz feldmäßig ausgerüstet. Ihr Tambvurmajor zog durch die Gewandtheit, mit derer seinen Stock haus hoch in die Luft schleuderte, die allgemeine Aufmerk samkeit aus sich. Die Schweizer führten ihren Schützenkönig und als Fahnenträger drei Hünenge stalten mit riesigen Bärten und im Kostüm der drei Männer vom Rülli mit sich. Den Schweizern folgte' da-Bolksheer der deut schen Schützen in einer Stärke von 6000 bis 7000 Mann. Mittel- und Süddcutschland waren weit stärker vertreten als Norddcutschjand. Eine äußerst belebte und interessante Gruppe waren dir Tiroler, die Wipper- und Pustcrthaler voran, dann die Pas- seprer, Ober- und Unterinnthalcr, Oetzlhaler, Vintsch- gaucr.Botzener, Meeraner rc. in der besonder» Tracht jedes der einzelnen Thäler, unter ihnen viele alte verwitterte Gestalten neben schmucken, jugendlich frischen Burschen, meist mit schwerfälligen Waffen, die sie auf der Achsel trugen, die Mündung nach vorn, den ausgeschweiften Kolben nach hinten, auf dem Schützenhul die grün und weiße Schützenkokarde, darauf einen kleinen rothen Schild mit dem gvldnen Tiroler Adler, Alpenrosen, Edelweiß, Spielhahnfedern und sonstigem Schützenschmuck. In ihrer Milte wehten 3 Fahnen, die alte, von Kugeln ganz zer fetzte, mit Feldehcenzeichen geschmückte Fahne der Landesvertheidiaer, die seit 1796 in allen Kämpfen der Tiroler geweht, links eine Fahne in den öster reichischen Farben mit dem Doppeladler in der Mitte und rechts die Tiroler Schützenfahne, grün und weiß mit dem rothen einköpsigen Adler darin. Unmittelbar darauf folgten Trommler, Querpfeife», da- Musik chor der Münchener Schützengeselljchaft und Sänger, welche in den Pausen deS Zuge- heimalhliche Lieder vortrugen, während die Schweizer jodelten und sprangen. AlS um 12 Uhr die Spitze des Zuge« in den bis dahin dem Publikum völlig abgesperrtcn Roß. markt einbog, wo die Uebergabe dec Bundesfahne stattfand, die bis dahin den Zug noch nicht mitge macht, da zerlheillen sich die Wolken und die Sonne warf ihren Hellen Schein auf da- herrliche Schau-