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trümmert und stand schief, überall arg beschädigt und zerrissen. Alle anderen Gebäude auf dem Fest platze trugen Spuren der Verheerung an sich, wie auch in der Stadt Dächer abgedeckt, Fenster zerstört, Bäum« umgerissen waren. Glücklicher Weise waren außer den vorffin erwähnten beiden getödteken Küchen mädchen weiter keine Menschenleben zu beklagen, und auch die allerdings in großer Menge vorgekommenen Verwundurrgen waren großenlheils nicht gefährlich. Hier nun zeigte sich, was ernster Wille und vereintes Streben vermögen. Auf den ersten An blick schien es, als sei es unmöglich, die angerichteten Zerstörungen früher als nach Verlaus von Wochen wiederherzustellen. Und doch war der Anfang deS Schießens aufd-n l3. Juli festgesetzt! — Nur einen Augenblick dauerte die trostlose Niedergeschlagenheit. Dann ermannte sich All-S. Noch während des Re gens erschienen die gerade zu einem Fcstturnen ver sammelten Sachsenhäuser Turner im Laufschritt auf dem Platze, erkletterten augendlickiich das arg beschä digte Dach dec Festhalle und rissen eifrig und doch vorsichtig die hin- und herschaukelnden Dachtrüm- mern nieder. Der Fcstkcmite versammelt- sich in einer der am Wenigsten beschädigten Hallen, ließ die beim Bau beschäftigt gewesenen Zrmmermeister und anderen Baugewcrken herbeirufen, und als dieselben erklärten, daß sie im Stande sein würden, noch im Lauf« der Woche alles Zerstörte wieder vollkommen herzurichten, begann noch an demselben Nachmittag der Wiederaufbau. Gleichzeitig telegraphine der Komiie nach allen Richtungen, namentlich an die verbreitetsten Zeitungen, daß das Schützenfest unge hindert am festgesetzten Tage beginnen werde. Zur Deckung der Herstellungskosten wärd eine Subscrip- tion eröffnet, und wurden noch an demselben Tag viele tausend Gulden gezeichnet. Doch erklärte am andern Morgen der Senat der freien Stadt Frank furt, daß die Kosten von der Gtadtkasse übernom men würden. Am Sonnabend, den 12. Juli, war Alles wieder in schönster Ordnung. Stabt und Festplatz prangten im herrlichsten Schmuck von Laub- und Dlumengewivden und mit Flaggen geziert, unter denen überall die schwarzrothgvldene, die deutsche Flagge an Zahl, Stellung, Größe und Pracht her- vorragte. Es war dieser Lag der Empfangtag der Schützen. Welch ein Gewühl herrschte vom frühen Morgen an in der ganzen Stadt! Welch eine Be geisterung! Nur einmal hatte Frankfurt eine gleich allgemeine gesehen: im Frühjahr 1848 beim Zusam- menlritt des deutschen Parlaments! — Am 12. Juli 1862 war die Stadt bereits mit Fremden angefüllt. Sie wie die Einheimischen wog- ten durch die festlich geschmückten Straßen, belagerten die Bahnhöfe mit jener sichtbaren Spannung und Aufregung, die jedem festlichen Ereigniß vvrausgehen. Frankfurt hatte sich bis in seine kleinsten Neben- gäßchen glänzend herausgeputzt. Auch die Vorstadt Sachsenhausen war nicht zurückgeblieben. Die Brücke über den Main war zur Fichtenallse geworden, dir Stadt zum Walde, da vor jedem Hause eine Reifst von Fichten und Tannen aufgepflanzt war, welche das städtische Fvrstamt unentgeltlich geliefert hatte. Mehre Straßen hatten kolossale Triumphbogen erbaut und Festons von einer Häuserreihe zur andern ge zogen. Die meisten Fahnen waren von riesiger Länge und Breite, was sich jedoch der auf dem Portal deS Bundcspalastes zwischen 2 schwarzgelben aufgezogenen schwarzrolhgvldcnen nicht nachsagen läßt. Auch das preußische Gesandschafishvtcl trug zwischen 2 schwarz weißen die schwarzrothgoldene Fahne. In ähnlicher Weise waren viele Gesandtschaftshotels geschmückt. Das Hotel des königlich sächsischen Bundestagsge- sandten zeigte keinen Schmuck und keine Fahne. An den Bahnhöfen waren Kanonen aufgestellt, welche von Mitgliedern der früheren freiwilligen Bür- gerwehr in hellgrauer Schützentracht bedient wurden. Musikchöre harrten der sehnsüchtig erwarteten Gäste. Da brauste der erste, unübersehbar lange Bahnzug her.an. Er brachte nicht blos Schützen, sondern auch eine Unmasse anderer Gäste. Kanonensalven ertön ten, und die Musik spielte das „Deutsche Vaterland.^ Jubelnder Zuruf in die Wagen und aus den Wagen. Die Mitglieder des EmpfangskomiteS begrüßten in herzlichen Worten die Ankömmlinge. Die versam melte Menge rief ihnen stürmische Hochs zu. Dann ging's mit klingendem Spiel in die Stadt zu dem WohnungSbüreau. Während des ganzen Wegs er tönten in den dicht gefüllten Straßen freudige Hochs und aus den Fenstern winkten die Damen Willkom men ! Vom WohnungSbüreau aus wurden die Schützen von jugendlichen Turnern, welche die Fremdenführer abgaben, in ihre Quartiere geleitet. So ging's den ganzen Tag auf jedem der Bahnhöfe bei jedem an kommenden Zuge. Leider war da« Welter nicht günstig'. Der Himmel hing voll grauer Regenwol, ken, und als um 1t Uhr der Herzog Ernst von Kvburg, der Protektor des deutschen Schützenbundes, anlangte, strömte heftiger Regen auf die Meng nieder, die sich indeß dadurch nicht vertreiben ließ. Abends 6 Uhr brachte ein Dampswagenzug die Schweizerschützen. Gegen 1100 Mann stark er schienen sie, militärisch vrganisirt, bekleidet mit der gkünerr Schützenbluse, und Jeder die Alpenrose und