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drr ich gekommen, fuhr also nach Luxemburg zu. Wie, dachte ich, wenn ich dort Ausnahme fände und derart mindestens etwas weiter käme? Ich raffte mich auf und trat mitten auf die Chaussee. Als der Wagen nahe kam, rief ich den Mann, der die Zügel führte, an und bat ihn, mich mitzuneh« men. Er zögerte wohl etwas, doch hieß er mich zuletzt aufsteigen. Im schnellen Lauf rollte der Wagen dann weiter. ES war ein ältlicher, wohlhäbizer Herr, ne ben dem ich nun saß. Die Kalesche, die er selber führte, mußte sein Eigenthum sein — wahrschein lich ist eS ein Gutsbesitzer oder ein Arzt. Er sprach lange kein Wort mit mir, endlich aber fragte er mich, woher ich käme und wohin ich ginge? Ich antwortete ihm darauf und kam dabei so m'S Mittheilen, daß ich thm die ganze Lebens geschichte der letzten Monate erzählte. Der Mann, der mit immer regerer Theil« nähme zugehört, sagte mir, als ich kaum ge schloffen: „Ei, das trifft sich ja gut für Sie, junger Mann! Wären Sie nach Luxemburg ge kommen, so hätte sich wahrscheinlich die Saar brücker Geschichte wiederholt und Sie säßen mor gen im Gefängniß. Man hätte Ihnen am Thore den Paß, wie üblich abgefordert und da Sie kei nen besitzen, würde man Sie angehalten und der Polizei übergeben haben. Ich wohne in Luxem burg und man kennt mich am Thore. Man for dert mir keinen Paß ab und mit mir können Sie also sicher in die Festung gelangen. Sie interesfi- ren mich, ich will Ihnen zeigen, daß ich kein Freund Louis Napoleon'« bin. Ruhen Sie sich bei mir ein paar Tage lang aus, wohnen Sie in meinem Hause so lange! Vertrauen Sie mir nur — ich werde Sie schon sicher stellen!" Gerührt von Dankbarkeit, drückte ich die Hand des edlen Mannes. Wie er gesagt, so kam eS auch. Ungehindert passtrten wir die Thorwache. Vor einem stattlichen Hause hielt dann der Wa gen; ein Diener erwartete den-Herrn und führte mich auf Befehl desselben in ein freundliches Zimmer, dessen Bett mir den langenlbehrten Ge nuß einer seUgen Rnhenacht verschaffte. Mein edler Retter war ein Notar und unverheirathet. Er that so viel für mich, als ein Freund nur thun konnte. Nach drei Tagen verließ ich ihn und betrat ein paar Stunden später den Boden Belgiens. Aber auch in Belgien sollte ich nicht bleiben können. Als ich in Lüttich auf Verwenden ein flußreicher Freunde eine Stellung erhalten, ward ich auf speciellen Befehl des SlaatSprocurators in Brüssel angewiesen, das Land zu verlassen. Die Angst vor Louis Napoleon bestimmte die belgischen Behörden, den Flüchtlingen aus Frank reich, den Opfern der Decemberrevolution, das sonst so gastliche Asyl des belgischen Bodens mög lichst zu verweigern. Was blieb mir nun noch anders übrig, als mich nach England einzuschiffen? — Schon andern Tageö nach jenem Befehl ging ich in Antwerpen aus einen englischen Dampfer. Eine Schreckensnacht auf dem Meere. Unter den häufigen größer» Unglückssällen auf dem Meere ist gewiß der Untergang des großen Postdampfers „Iko ^nglo-8axon" im Frühjahr 1863 den Meiste» aus Zeitungsberichten noch im traurigen Andenken. DaS Schiff hatte sich aus dem Wege von Amerika nach England im dichten Nebel so verirrt, und der Capitän hatte dazu ganz falsche Berechnungen in Bezug auf den Weg gemacht, daß der riesige Dampfer plötzlich um Mitternacht sich dicht am felsigen Lande befand und gleich darauf mit dem Kiel auf einen Felsen stieß, so daß er augenblicklich leck ward und sich die Oeffnung im Boden des von Winden und Wogen gehobenen und gewor fenen Schiffes mit jedem Augenblick vergrößerte. An eine Erhaltung des DampsbooteS mit 444 Menschen daraus war gleich nicht mehr zu den ken, so daß man alle Boote herunterließ und sich auf Rettung der Passagiere beschränkte. Land, d. h. furchtbare Felsenriffe waren allerdings in der Nähe, aber dicker Nachtnebel und die entsetz lich rollenden Wogen und Brandungen machten die Arbeit deS Landens sehr gefährlich, beschwerlich und Zeit raubend. Man denke sich 444 Menschen jeden Alters und Geschlechts aus dem Schlafe plötzlich in die Nacht und den Nebel und den Sturm und den Schrecken des Unterganges her aufgejagt, das Geschrei und Gedränge um den Vorrang, das Aufkreischen nach Eltern und Kin dern oder Angehörigen, und wie Angst und Verzweiflung mit jeder Minute stiegen, während das auf den Felsen gespießte und umhergrschleu- derte Schiff immer tiefer einsank und sich endlich so auf bie Seite legte, daß die Masten auf's