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Da» große Gefühl der Sicherheit erhielt in« deß bald einen herben Stoß, obgleich ich auf holländisch-luxemburgischem Gebiet war. Nach mittags gelangte ich nämlich in ein Dorf, durch welches die Landstraße ging. Als ich an den scharfen Winkel kam, den die Landstraße im Dorfe machte, kamen mir hart zwei holländische Gensd'ar- men entgegen, die ersten seit Saarbrücken. In der Hoffnung, bei ihnen glücklich vorbeizukommen, marschirte ich stolz an ihnen vorüber. Aber dec Brigadier war neugierig oder pflichteifrig; er fordere meinen Paß. Ich hütete mich wohl, mich verlegen oder ängstlich zu zeigen, sondern that vielmehr, als begriffe ich nicht, wie der GenSd'acm zu der Frage käme. Mit einer Zuversicht odne Gleichen erklärte ich ihm, daß ich bei dem Buchdrucker in Dünkirch, bei dem ich gewesen und dessen Namen ich auch nannte, in Arbeit stehe und nur einen Geschäftsgang nach Echternach mache. Ich fand e» sehr drollig, deshalb mit einem Paß bewaffnet sein zu sollen. Der Brigadier jedoch sand nichts Drollige» daran un'b bestand darauf, eine Legiti mation von mir zu haben. In meiner stillen Verzweiflung dachte ich an die französischen Papiere, die ich noch in der Tasche hatte, und welche die letzten gerichtlichen Verhandlungen betrafen. Sie waren mit dem Stempel ter Präsectur von Paris versehen und indem ich voraussetzte, daß der holländische GenSd'arm, der deutsch sprach, nicht französisch werde lesen können, hoffte ich, daß er nach flüch tigem Blick auf die Papiere sich befriedigt südlen werde. Obne Zögern und mit dem Bemerken, daß es mir am Ende an Legitimationen nicht fehle, überreichte ich dem GenSd'arm die Papiere. Wel cher Schrecken erfaßte mich, al« er darin zu lesen begann und Alles mich belehrte, daß er franzö sisch verstehe! Er hatte die Anklage deS Kriegs gericht» gegen mich in Händen und ich sah mich schon hoffnungslos verloren. „llomme cle letti-es", sagte er nach einer Weile mit sichtlicher Ironie. „Ein Dichter, nicht wahr?" Um den Kerl durch keinen Widerspruch zu reizen, und da ich mich auch nicht aufgelegt fühlte, ihm begreiflich zu machen, daß nicht jeder twmme 6s letii-es — Schriftsteller — Dichter sei, sagte ich ja. „Nun", fuhr er malitiös fort, indem er mich betrachtete, „anständig gehen Sie nicht! Keine Weste, schmuziger Rock! Pfui! Und ein Dichter? Ja, dir find wohl alle so, alle schmuzig." Ich fühlte mich tief beschämt. Demüthig und auf sein Mitleid rechnend, erwiederte ich nun: „Herr Brigadier, da Sie nun einmal wissen wer ich bin, so bedenken Sie, daß ich seit Mo naten gefangen war und kein Geld batte, mir neue Kleiber zu kaufen. Staub und Schweiß haben meine Wäsche beschmuzt, denn ich marschire . . „Ach, Sie find bei der Revolution in Paris gewesen? unterbrach er mich, indem er weiter in dem Aktenstück las. Und fortfahrend in sichtlich anderm Tone: „Seit einiger Zeit kommen sehr Biele aus Frankreich hierher, die Alle von Na poleon ausgewiesen wurden. Es begann nun eine förmliche Conversation zwischen uns. Ich erzählte ihm meine Schicksale; natürlich die Flucht aus Saarbrücken nicht und schloß mit einem Anruf seines Mitgefühls. „Ich will nach Belgien, lassen Sie mich ruhig ziehen, ich komme Niemand in den Weg. Sie sind doch Soldaten des freien Hollands und keine Diener Louis Napoleon's! Wollen Sie einem armen Teufel noch mehr moleftiren, den er gequält hat?" DaS wirkte, der Holländer war bei seiner Schwäche gefaßt. „Obo", sagte er, wir sind keine französischen GenSd'armen, wollen auch keine sein. Aber wir dürfen keine Landstreicher hier dulden. Haben Sie denn Geld?" „Bersttht sich", rief ich und zog die blanken Thaler hervor, die ich in Trier bekommen. „Nun, dann ist's gut, und weil sie ein Dich ter find und der Louis Napoleon sie'eingesperrt hat, will ich Sie laufen lassen, auch ohne Paß. Aber lassen Sie sich von keinem Andern atirapi- ren und macken Sie, daß Sie aus dem Lande kommen nach Belgien." Er lächelte in seiner ironischen Weise, nickte mir freundlich zu, gab mir das Papier zurück und patrouillirte mit seinem Kameraden, der gar nichts gesprochen, weiter. Ich war gerettet. Bei allem Unglück war immer noch so viel Glück mit mir gewesen und dies verkannte ich in jener Stunde am allerwenigsten. Es sollte noch selbigen Tages ein zweiter ähnlicher Fall dies Glück im Unglück bewähren. Der Marsch nach Luxemburg war über meine Kräfte gegangen. Es war Abends gegen zehn Uhr, als ich nicht weiter konnte und noch an zwei Stunden von der Festung entfernt war. Ich setzte mich todtmatt auf den Rand der Chaussee und dachte darüber nach, wo ich die Nacht über blei ben solle. Plötzlich vernahm ich von fern daS Rollen eines Wagens; er kam von der Seite, von