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Stuhl und machte mich auf das Schrecklichste gefaßt, 150 Meilen weit von GenSd'armen es. cortirt mir unverdienter Schande nach meiner Hermath transportirt zu werden. Die bitteren Er fahrungen hatten mich elastisch im Geiste gemacht; ich konnte Freude, wie Schmerz ertragen, ohne meine ruhige Ueberlegung einzubüßen. Nach einer Weile begann der Gensd'arm eine Art Verhör mit mir. Er wollte in mir durch- aus einen früheren Deserteur sehen, nahm ein großes Buch vom Regal und blätterte darin. Alle Augenblicke fand er einen andern Deserteur, der ich nun sein sollte und alle meine Vorstellun gen gegen seine wahrhaft unvernünftige Marotte nützten nichts. Schließlich war ich nach seiner Meinung schon früher aus Preußen desertirt, ehe ich überhaupt geboren worden war. Mitten in diesem verrückten Jnquiriren rief ihn die Klingel des Kommissars in die andere Stube. Kaum war der Gensd'arm hinaus, als mir blitzschnell der Gedanke an Flucht durch den Kopf ging. Ein gewöhnliches Fenster zur ebe- nen Erde führte nach einem Garten, hinter dem sich bewaldete Berge, die Ausläufer des Hunds- rück erhoben. Ein kleiner Sprung aus dem Fen ster und ich war im Gebirge. Gedacht, gethan. Ich öffnete das Fenster, sprang in den Garten, dann über den Zaun und war bald im Walde. So schnell ich konnte, lief ich nun weiter, sorgsam umherspäheiid und jeden Weg vermeidend. Ich mußte natürlich erwarten, daß man mich verfolge, denn durch die Flucht bestärkte ich den Glauben des Commissars an meine revolulionäre Gefähr lichkeit. Die Hoffnung, bald die Grenze dieses theuren Vaterlandes zu gewinnen, gav mir Muth: das Niederdrückende war nur, daß ich ohne Geld in miserablem Anzuge war und nun noch sogar ohne Paß. Mein Paß war freilich bisher immer an all' meinem Unglück schuld gewesen. Da es schon vorgerückte Nachmittagszeit war, als ich entfloh und ich anfangs eine Stunde weit eine andere Richtung, als die nach Saarbrücken verfolgt hatte, war nicht daran zu denken, noch selbigen Tage- die Festung zu erreichen. Ich marschirte bis zum Sonnenuntergänge durch den Wald; aber es zeigte sich kein Dorf, kein Haus, auch quälte mich wieder der Hunger — so stand mir denn eine neue Marternacht bevor. Gerade im Augenblicke höchster Trostlosigkeit stieß ich auf eine Glashütte und glaubte dadurch wenigstens ein warmes Nachtquartier gefunden zu haben. Der Wächter, der sich in der Hütte befand, war ein freundlicher Mann, der nicht» gegen eine Benutzung des warmen SandeS al» Lagerstatt hatte. Wir plauderten mitsammen ganz herzlich und meine Andeutungen mochten ihn wohl für meine Sicherheit besorgt machen, denn er thcilte mir mit, daß es für nicht ganz unverdäch tige Menschen in der Hütte gefährlich sei zu über nachten, da gewöhnlich eine Nachtpartrouille der GenSd'armen hierher komme. Nach dieser Mit- tbeilung entschloß ich mich, wiewohl thränenden Auges, die Hütte zu verlassen, zum innigsten Be dauern des Wirthes, der mir ander» aber selbst nicht rathen konnte. Vom ungewohnten und anstrengenden Mar« schiren seil dem Tage zuvor waren mir Füße und Kniee geschwollen. Nach der Ruhe in der Glas hütte war es mir anfangs unmöglich, gerade zu gehen. Es kam mir vor, als träte ich auf Kugeln und als seien die Kniegelenke steif geworden. Und doch mußte ich weiter. Zum Glück verlor sich beim längeren Laufen dieser Schmerz immer mehr. In tiefer Dunkelheit und Stille schritt ich dahin — kaum, daß ich wußte, wo ich war und ob auf dem richtigen Wege. Bald ging der Pfad durch waldige Berge, bald an steilen Felswänden dahin. Kein Mensch begegnete mir, kein Hau sand sich; die große Straße, die ich natürlich vermeiden mußte, so viel es ging, zog sich unter mir im Thale dahin. Unmöglich konnte ich die ganze lange Nacht weiter marschiren, ich war zu erschöpft. So bequemte ich mich denn, unter freiem Himmel zu rphen und wenigstens den Beinen nichts mehr zuzumuthen. Als eine waldige Stelle kam, schleppte ich mich von dem Wege fort, scharrte das am Boden liegende Laub, feucht und bereist wie es war, zusammen und auf meinen Unter körper, um es als Decke zu benutzen. So lag ich eine Zeit lang da und schlummerte halb, bi» mich die Kälte zwang, da» Gehen von Neuem zu versuchen. Unter unsäglichem Schmerz und ge krümmt, schleppte ich mich weiter, bi» ich Nach einer Weile j wieder niedersank und in halben nicht erquickenden Schlummer verfiel. Derart verlebte ich eine der schrecklichsten Nächte meine» Leben», die an physischen Entbehrungen nichts mehr bieten konnte. Als über dem purpurnen Horizont der Glutball emporstieg, die Baumspitzen im ersten Grün vergoldete, die Thautropfe» in Diamanten verwandelte, da rollten mir Thränen der Freude wie nach einer Erlösung über die Wangen und neues Leben zog in meine Brust. Wie wunderbar gestärkt, erhob ich mich jetzt au»