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Schicksale eines Es war im März 1852, als ich die Saar bei Saarmünden in Begleitung eines französischen Gensd'armen überschritt. Seitdem ich mit einem französischen Passe versehen, meine Freibelt zurück erhalten, war ich in Wirklichkeit nichl^ frei, sondern siel« der Gegenstand zärtlichster Sorge Seitens der Polizei gewesen. Aus meinem Paffe stand als nähere Eharakterifirung meiner Person: expulsö üeb'i-snce — aus Frankreich verwiesen. Ich hatte diese Worte anfangs n ^t beachtet, aber nur zu bald lernte ich ihre tragische Bedeutung schätzen. Als ich dies damals sehr nothwendige Documeut in Genua vorzeigte, wies man mir entsetzt sogleich die Thore der dritten schönsten Stadt in Europa; im ganzen italienischen Paradies litt man mich nicht, denn ich war ein gefährlicher Mensch — warum? Weil auf meinem Passe stand: Aus gewiesen aus Frankreich! Da man mich nun im Paradies Europa'- deshalb nicht dulden konnte, vermochte eS auch die freie Schweiz nicht. So ward ich gezwungen, bei Basel wieder hinaus- zumarschireu und von Neuem französischen Boden zu betreten. Solches gefiel jedoch der französischen Polizei nicht und sie war liebenswürdig genug, mich, als unglücklicher Weise in Deutschland ge- bornen Menschen, nach der nächsten deutschenGrcnze, welche sogar eine preußische war, zu begleiten. Dies war Saarmünden. Wunderbar widersprechende Gefühle durch zogen meine Brust, als ich hinein in das deutsche Land blickte, da» im gold'gen Abendsonnenschein vor mir lag, im ersten frühen Schmuck de» Grüns, sanft gemalt mit Feldern und Wiesen. Ich war nun endlich frei, auf deutschem Boden und der Teufel plagte mich deswegen, Alles im Glanze der Hoffnung strahlen zu sehen. Die erste rauhe Wirklichkeit, die an mich her- antrat, war dieSorge für die nächste Zukunst, für Nachtherberge. Meine Kleider waren im jammer vollsten Zustande, denn ich trug sie seit den vier Leidensmonaten; ich hatte mit ihnen auf dem Stroh der Gefängnisse gelegen. Die Stieseln wa ren zerrissen, das Hemd war entsetzlich und doch wegen der abgerissenen Knöpfe an Rock und Weste nicht zu verbergen. In den zerrissenen Taschen fand sich schon längst kein Kupferstück mehr. Wa rum machen in solchem Aufzuge ohne Geld in einer wildfremden Gegend des Vaterlandes? Ich wußte nicht einmal, welches das nächste Dorf war. Guten Muths marschirte ich jedoch den Weg Journalisten. längs der Saar entlang. Bereits dämmerte der Abend, als ich ein ziemlich ansehnliches Dorf erreichte, mit schmucken Häusern, Wege und Gärten sorgsam gepflegt, Der Marsch batte mich unend lich hungrig gemacht, denn ich hatte während de» ganzen Tages nichts genossen und Frankreich batte mich am letzten Tage dungrig geben lassen. Essen war also ein dringendes Bedürfniß und dieNotb- wendigkeit zwang mich, es von einem Bauer zu erbitten. Ich trat in ein stattliche» HauS und in die heiße, dickluftige Wohnstube, in welcher Alles von Wohlhabenheit zeugte. Ein alter Bauer saß am Tisch und schmauste just ein dick mit Fett bestrichenes Brot, worauf er mich bart an sah und nichts sprach. Ich zitterte nicht mehr vor Wonne. Ich bat ihn noch einmal. Darauf wies er mir stumm die Thür. Nun zitterte ich vor Scham und ging hinaus, als brenne mir da» Haar, weiter die Dorfstraße hinauf. Es war inzwischen dunkel geworden. Ent- muthigt und verzagt dachte ich daran, wo ich wohl die Nacht zubringen werde. Nach dem Verscheiden der Sonne übte die Jahreszeit noch ihre Rechte und ich fror in der leichten Kleidung. Nichts blieb übrig, als noch einmal an daS Mitleid der Menschen zu appelliren. So betrat ich denn wieder ein Haus am Ende des Dorfes, in dessen Wohnzimmer sich ein alter Bauer und eine Bäuerin befanden. Ich bat sie um Nacht quartier. Der Alte fragte flugs nach meinem Paß und als ich ihm denselben gegeben, reichte er ihn mir zurück mit der Bemerkung, daß er kein Fran zösisch verstehe. Nun fragte er mich, ob ich Geld habe. Als ich dies verneinte, erklärte er mir rund heraus, daß ich alsdann nicht im Dorfe bleiben könne. Er sei Schulze des Dorfes, wolle mich nicht weiter belästigen, aber binaus aus der Ge meinde müsse ich. O Deutschland, wie grüßtest Du mich so furchtbar nett! Ich murmelte einen Fluch auf meine deutschen Brüder und verließ diesen einen zur selbigen Stunde. So setzte ich weine deutsche Fahrt aus dem Dorfe hinaus. In dem Unglücksleben der letzten Monate hatte ich solche Erfahrungen noch nicht gemacht. Aber ich war ja in Deutschland. Drau ßen vor dem Orte setzte ich mich auf die Böschung der Straße. Ich war erschöpft, todtmüde, vor Hunger krank. Ein leichter Frost war eingetreten und tiefe Dunkelheit herrschte. Ich beschloß nun, mir ein nächtliches Unter. Meißner Kalender G