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Das dritte deutsche Turnfest. (Mit Abbildung der Festhalte und DaS dritte deutsche Turnfest, gefeiert zu Leip» zig in den Tagen vom 2. bis 5. August 1863, wird den mehr als 20,000 Turnern, welche daran Theil genommen, und den Hunderktausendin aus allen Schichten des Volkes, welche als Zuschauer das schöne nationale Fest mit feiern halfen, unser, geßlich bleiben. Das Geruht der Zusammenge hörigkeit aller Deutschen, gleichviel oo Oesterreich oder Preußen, Sachsen od.rWürtemberg, Hannover oder Baiern oder weiches sonst der leider gar zu vielen deutschen Länder und Ländchen ihr spezielles Vaterland sein mag, wird durch solche allgemeine deutsche Feste mächtig angeregt. Der verrolielste Sonderpatriotismus wich und mußte — oft recht wider den ursprünglichen Willen seines Tragers — allmälich der allgemeinen deutschen Begeisterung weichen- Wir haben Manner gesehen, die noch b,s zum letzten Tage vor dem Feste nur Worte und Geberden des Hohnes für das deutsche Turn fest hatten, und die rock über Nacht nicht blos ihre bis dahin kahl gebliebenen Häuser schmückten, sondern — und das ist bei Weitem mehr werth — die dem überwältigenden Zuge, welcher das ganze Fest durchwehte: der großen Begeisterung für das deutsche Gesammtvaterland, sich nun doch noch voll und rückhaltlos Hingaben. Wenn wir übernommen haben, eine kurze Be schreibung des deutschen Turnfestes zu liefern, so schrecken wir, nun wir an'S Werk gehen, vor der Größe der Aufgabe zurück. Wie sollen wir auf dem kurzen Raume, den dieser Kalender uns biekel, oll s das Schöne, das Herrliche, das Erhebende mftmmendrängen, das jedek Tag, jede Minute, jede Straße, jeder Schritt in der prächtig geschmück ten und innerlich und äußerlich begeisterten Feststadt Leipzig in unübersehbarer Menge darbot? Wie sollen wir eine Auswahl treffen des Wichtigsten, des Besten, des Erhebendsten, wo Alles gleich wichtig, gleich gut, gleich erhebend war? Wie geben also ohne Auswahl nur Bruch stücke, den Festtdeunehmern zur Erinnerung, den Abwesenden als l ider nur zu schwaches Bild des herrlichen Volksfestes. — Ueber zehn Jahre hatte das öffentliche Leben in Deutschland geschlafen. Die Turner« war, hier und da verpönt, fast überall von Mächtigen mit Mißtrauen betrachtet, nur langsam, oft mit großer Mühe in den einzelnen Turnvereinen der einzelnen deutschen Städte zur Anerkennung gekommen, Haupt- des großen Festzugs der Turner.) sächlich mit dadurch, daß die alljährlichen Aushe bungslisten be> den Rekrrmrungen eine immer mehr überhand nehmende körperliche Schwäche, oft ge radezu Verkommenheit der männlichen Jugend nach, wiesen. Nur in den Bezirken, in denen seit längerer Zeit schon das Turnen sich ausgebreilet hatte, wa ren auch die Ergebnisse der Rekrulirung günstiger. So blieb manchem martialischen Gegner der Tur nerei zuletzt doch nichts übrig, als das Turnen als nothwendichs Ucbel gehen zu lassen, ja es geradezu zu befördern. Mil dem Jahre 1859, wo die Möglichkeit an Deutschland nabe heranlrat, in den ösierreichisch- fraazösisch.italienischen Krieg verwickelt zu werden, mit der Demüthigung, die durch den Krieg das alte System Oesterreichs erhielt, uad mit der frei eren Wendung, die darauf die Regierung Oesterreichs uahm, erwacht- auch in allen anderen deutschen Ländern das gewaltsam niedergehaltene öffentliche Bewußtsein wieder. DieGründungdes Nattonal- vereins im Herbst 1859 war das erste deMliche Zeichen dieses wiedererwachten Bewußtseins. Ihm schloffen sich an die Turn-, Gesang, und Schützen vereine mit ihren allgemeinen festlichen Zusammen künften. Das erste deutsche Turnfest ward vom 16. bis 18. Juni 1860 zu Koburg abgehalten. ES brachte dem Turnwesen einen neuen, vorher kaum geahnten Aufschwung, so daß sich innerhalb Jahresfrist die Zahl dec Turnvereine in Deutschland mehr als verdoppelte. Im August 1861 sanden sich schon 4000 fremde Turne- — diesmal auch aus Oesterreich, das Jahrs zuvor in Koburg noch nicht vertreten war — in Berlin zum zweiten deutschen Turnfest eia, bei welcher Gelegenheit zu gleich die Grundsteinlegung zu einem Denkmal für den Turnvater Jahn ei folgte. Wegen der Stadt, in welcher der nächste Turn tag, 1863, gehalten werden sollte, schwankte die Wahl zwischen Nürnberg und Leipzig. Das Erstere zog die Blicke auf sich durch die herzliche Gastlichkeit, mit der es beim Cängerfesie sich be währt hatte. Für Leipzig dagegen sprach die Erinnerung an den vor nunmehr 50 Jahren hier entschiedenen FreiheitSkampf und der Umstand, daß der Leivstger Turnverein, stets getragen von dem Wohlwollen dec Bevölkerung und dek städtischen Behörden, unter ollen deutschen Turnvereinen die erste Stelle einnahm. Da erklärte am 18. Sep» Meißner Kalender F