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und di- Wirthssiub« war von Passagieren ziemlich angefüllt. Wie aber staunte Kattner, unter ihnen auch noch da« Ehepaar von Neuhof zu finden, das gestern Abend doch von Meißen mit der Post abge. fahren war. Jedermann erfuhr die tragische Begeben heit: Der Wagen war im hohen Schnee mehrmals umqefallen, und Frau von Neuhof hatte erklärt, nick« weiter mitzufahren, es möge kommen, zu was es wolle, sondern in Zitzschewig zu übernachten, um am ander-« Morgen ein anderes Fvrikommcn zu su chen, Was blieb Herrn von Neuhof anders übrig, al« sich wie gewöhnlich der Laune seiner Gemahlin zu fügen, die sich dadurch noch merklich verschlechterte, daß Signor Zerbelli nicht mit ausstieg, sondern die Wciterfahrt wagte. Aber man hatte doch mit ihm verabredet, in demselben Gasthaus einzukehren; er wollte gleichsam der Quartiermacher sein, und, was noch ungleich wichtiger war, er wollte die Billets zum „Freischütz" besorgen, denn, wenn auch nur, „um sich einen Jux zu machen," wollte er doch auch diese Oper eines „musikalischen deutschen Barbaren" hören. Der Wirth in Zitzschewig besaß selbst ein Ee- fähr, »inen kleinen verdeckten Korbwagen, der für verkommende Fälle benutzt ward und nun eben aus Dre-den erst zurückerwaitet werden mußte, wo er dann Herrn von Neuhof zur Verfügung gestellt werden -sollte. Die gnädige Frau war sehr ungedul- , dig, und — wer beschre.bt dabei TkeodorenS innerste Beschämung! — Kattner erbot sich, mit Frau von Neuhof zu tauschen und ihr seinen Platz zu über lassen, da jedenfalls der Wagen des Herrn Lommatzsch »in bessere« Fortkommen biete al« jener des Wlrthe«. Nach einigem Hin- und Hecreden ging Frau von Neuhof auf dies Erbieten ein. Ja, Theodore hatte selbst ihre ganze Kraft zusammengerafft, um sich ihr zu nähern und sie zu der Fahrt mit zu überreden. Sie wollte Hermann Kattner, der im Stande war, sie auf solche Weise zu ignoriren, beweisen, daß auch sie Gott danke, von seiner Gesellschaft erlöst zu sein! Eie wollte ihn Gleiches mit Gleichem vergelten! Wirklich waid nun auch die Fahrt viel ange nehmer. Frau von Neubof verstand, wenn sie guter Laune war, ganz anregend zu plauder«. Der Octonom hatte ungleich mehr Respect vor der Frau eines Rit tergutsbesitzers al« vor Städterinnen und begann artig und un erhaltend zu sein. Julie fühlte sich ganz wohl dabei, und Theodore, obwohl sie keinen andern Gedanken hatte als Hermann und sein unbe- greiflicke« Betragen, bemühte sich nun gerade durch Heiterkeit über ihet wahre Stimmung zu täuschen. So langte man in Dresden an, wo Zerbelli schon auf Neuhof« harrt» und auS Vorsorge im Besitze mehrer TbeatcrbilletS auch «och zwei art die Schwestern abkreten konnte, so daß man, als diese beiden stch entfernten, doch darauf rechnete, im Tbeater wieder zusammen zu kommen. III. Jndeß war Hermann Kattner keineswegs in einer bessern Stimmung als Theodore. Er war nicht sobald nach Meißen gekommen, alS er sich vvrgenommen batte, ihre nähere Bekannt schaft zu suchen. Obnc Weiteres ging er am Neu jahrstage in ihre Wohnung. Ader al« er an der selben schellte und die ihm öffnende Dienerin nach Demoiselle Theodora Winter fragte, ward ibm die Thür schnell mit den Worten zugewvrfen: „Sie hat sie schon kommen sehen und gesagt, daß ich Sie durchaus nicht hereinlassen soll!" Auf «inen solchen Empfang war Kattner denn doch sehr wenig vorbereitet gewesen. Nicht wissend, was er davon denken sollte, wollte er eine weitere Erklärung verlangen, als er drinnen hinter der schon wieder verriegelten Thür deutlich Theodoren« Stimme Hörle: „Gut, daß ich nicht selbst heraus kam und er fort ist! Sollte der Zudringliche noch einmal wieder kommen, so schicke ihn nur auf dieselbe Weise fort!" Tief erbittert verließ Hermann das Hau«, in dem er einen so ungastlichen Empfang gefunden. Was bildete sich denn dies Mädchen ein? WaS be- rechtigle sie, ibn einen Zudringlichen zu nennen, ihn auf so grobe Manier abroeisea zu lassen? Er war nicht der Mann, dem man d»rgleich»n bieten konnte! Und sie setzte noch voraus, daß er dennoch wieder- käme. Diese Rechnung sollte sie vergeblich gemacht haben. Er nahm sich nicht die Mühe, eine weitere Erklärung dieses Betragens zu fordern; er wollte sich nur dadurch rächen, daß er Theodoren gründlich ignorirte und ihr bei vorkommendcr Gelegenheit zu verstehen gab, wie er ganz vergessen habe, ihr schon einmal im Leben begegnet zu sein. Daraus mochte sie abnekmen, wie gleichgültig sie ibm selbst sei, und er daher sogar ihr« beleidigende Abweisung vergessen habe. Nie blickte er seitdem an ihr Fenster, und wenn er sie auf der Straße sah, grüßte er sie nie mals. Aber noch hatte sich ckeine Gelegenheit ge funden, sie empfindlicher zu demülhigrn. AlS sie daher nach der Reisegelegenheit fragen ließ, hoffte er endlich sich vollständig rächen zu können und that eS nun in der angegebenen Weise. Leicht aber ward es ihm nicht. Er durfte in Wahrheit Theodoren nicht anblickcn, um nicht wieder von ihrem Liebreiz bestochen zu werden; um nicht an di» Möglichkeit eines Mißverständnisses denkend eine Erklärung zu