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die« Sprechen im Singular und Plural gab der Hausknecht zu verstehen, w'e viel mebr ihm jener, der reiche Oekonom, galt, als Hermann Kartrur, der „nur'< ein Künstlzr war, und auf den er bei diesen Worten deutete. Theodore ward blaß, als sie den Genannten er blickte, und blreb doppelt verlegen an der Lhüre stehen. Auch Hermann schien frappirt zu sein. Er grüßte höflich, doch näherte ec sich nicht. Julie begriff nichts von dieser Bewegung; ihr war er ein völlig Fremder. Die Schwestern setzten sich in eine ziemlich dunkle Ecke nahe bei der Thür des Gastzimmers. Ein einzges Talglicht brannte, das sich vergeblich nach einer Ltcktputze sehnte. Sv warteten sie der weitern Entwickelung — Theodore jetzt noch mit weit schwererem Herzen als vorhin. Ein Wort zu sprechen wagten sic nicht. Endlich hörte man draußen schwere Tritte die Treppe hinab, im Hofe rasselte das Schellengeläute der Pferde. Ern verhängmßvolles „Wird's bald? ' ließ sich von einer Stimme hören, der man es an- merkte, daß sie von Jemand herrührte, der nicht aus geschlafen. Den Eommenkar dazu gab jetzt der Wirth, der nun auch erschien und bemerkte: „Der Her In- speclor kam gestern erst spät zur Ruhe, wie das so gehr, wenn noch eine Bowle und ein Spielchen ge macht wird." „Katzenjammer!" lächelte Hermann. Es War das erste Wort, das er heute sprach. — Die Schwestern blickten einander an und schüt telten sich wie vor Frost — oder vor dem verhäng- nißvollen Wort. — In einen dicken Pelz gehüllt schien die an sich schon cvlossale Gestalt des Inspektors noch größere Formen anzunehmen. Er saß bereits breit im Fond deS Wagens. Den Gruß der Damen erwiderte er nur kurz. Sie wollten sich bescheiden auf den Rück sitz setzen; Hermann aber, der noch nicht eingestiegen, nölhigte Julien neben den Inspektor. Trotz ihrem engen Kleide und kleinen „Mann" war es für sie schwer, da Platz zu finden. „Nur zugefihren!" commandlrke der Inspektor barsch den Kutscher, da sie noch schwebte. — Endlich aber halten sich doch Alle sammt ihren Pelzen, Mänt-ln und Füßen ineinander eingerichtet; nur mit der Unterhaltung wollte es nicht gehen. Der Inspektor schnarchte bald, die Schwestern, die einan der gegenüber saßen, blinzelten sich nur zuweilen ge genseitig an und wagten kaum zu athmen, viel we niger zu sprechen. Hermann machte sich immer mit dem Seitenleder des Wagens zu tbun, das die Schei ben ersetzen mußte. Auch er sprach kein Work. Jndeß sich Julie ziemlich unbefangen erwies, da die Reisegefährten von ihr und der Schwester so wenig Notiz nahmen, halte diese letztere immer größere Mühe, ihre Bewegung zu verbergen. Ihr war ihr Nachbar kein Fremder, und doch behandelte er sie sc! Jgnviirte er sie jetzt, wie er sie schon ignorirr hakte, seil ec in Meißen — es war seit Neujahr — sich aufhiell! Vorigen Sommer batte sie ibn auf einem Ro> senfest bei einem benachbarten Rittergutsbesitzer, wo sie zu Besuch war, getroffen. Vor allen Mädchen hatte er sie ausgezeichnet bei Spiel und Tanz. Bald war sie seine Rcsenkönigin gewesen. Ein langer Sommeitag, der vom ersten Krähen des Hahnes an b,S zum letzten mi-te. nächtigen Wirbel der Nachtigall ausgedehnt und genossen ward, hatte sie unter vielen anderen Gästen doch immer neben einander gesehen, und da sie geschieden waren, batte Hermann bei Druck und Kuß der Hand die Hoffnung aurzuspre- chen gewagt daß dies: Begegnung nicht ihre letzte im Leben möge gewesen sein. Theodore hatte dieses TageS immer wie eines reizenden Traumes gedacht. Wie mußte dann ihr Herz von der Nachricht berührt werden, daß ein Architekt Kattner nach Meißen ge kommen sei; welche Hoffnungen mußten nickt in ihr aufwallen, als er eines Tages unter ihren Fenstern vorübergmg! Hinauf freilich blickte er nicht; rwch weniger kam er. Ja es verging Woche auf Wocke, ohne daß sie ihn anders sah als hier und da einmal auf der Straße, wo ec ohne Gruß an ihr vorüber ging und gewöhnlich zur Seile blickte, als sehe er sie nicht — oder noch schlimmer, als wolle er sie nicht sehen. Und nun plötzlich in einem Wagen mir ihm und d eselbe Haltung des Jgnorirens! Ihre Werle- genhert, ihr Kummer, ihr Aerger wuchs m r jeder Minute. Nur die Schwester konnte unbefangen bleiben, weil Theodore, ein Empfinden in sich fühlend, an daS sie nickt ohne schüchternes Errörhen denken konnte, ihr niemals von Kattner gesprochen Halle. Julie begann denn endlich auch so mit ihr zu sprechen und hoffte auf ein allgemeines Gespräch, alS der Oekonom sich ermunterte und in ihre Be merkungen über ThaUwelter und mögliche E -fahrt mit einstimmte, über Kattner verharrte in seinem Schweigen, und Theodore antwortete nur, waS sic mußte. — - Wie es schien, war diese Reise für alle Theil äusserst langweilig, wenn nicht Schlimmeres. Im Gasthaus zu Zitz sch ewig, das den Mlttelpunk bildete, stieg man aus, um noch einmal Kaffee zu trinken. Mehre Wagen und Schlitten hielten hier