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Eine Fahrt nach Dresden. N o v e l l e t t e. I. Dkl Februar des Jahres 1822 hatte nick! lange begonnen, und schon wehte Thauwind. der die Lobn- kutscher wie die Postmeister in Verlegenheit brachte, ob auf den Landstraßen besser mit Schlitten oder mt Wigen fortzukommen sei. Uederall lag Schnee, und die Chaussee zwischen Leipzig und Dresden war seit Weihnachten mit Schlitten besabren worden, sogar die Eilpost, die seit Kurzem sich mit der „gelben Kutsche" darein thei'.le, dieselbe regelmäßige Verbin dung »wischen den beiden Schwesterstadten .zu ver mitteln , hatte statt dec Rader Kufen untergelegl. Was ste aber dadurch an Schnelligkeit gewann, ward durch den mehrfachen Aufenthalt wieder ausgewogen, der durch daS Umwerfen entstand, was nur zu leicht verkam. Diese hierdurch hervorgerusenen vielfachen Ver legenheiten und Unannehmlichkeiten waren auch der Hauptuntcrhaltunqsstcff für einige Herren, die an einem stürmischen Kebruarabend de» genannten Jahres im Gasthof „zur goldenen Sonne" in Meißen zusammensaßen und sich den Meißner Landwein aus tüchtigen „Skampern" trefflich schmecken ließen An ejmm Tische hatten einige Stammgäste Pl .tz genommen, die sich dieses Lokal für ihre freien Abende erwählt hatten, da k'er der meiste Fremdenverkehr statlfand und die Durchreisenden zuweilen in der „Sonne" übernachteten oder doch hier auf der letzten Station vor Dresden noch eine Erquickung zu sich nahmen, wobei es dcnn allerlei interessante Beobach tungen zu machen gab. An einem andern Tische n.ben' dem ersten saßen einige Passagiere der „gelben Kutsche." Sie mußten heute einen längern Aufent halt hier nehmen, da der Postmeister schon mit dem von Dresden angekommenen „Bruffelleisen" — ein einspänniges Fuhrwerk, mit dem ein Postschaffner die Briefe dieser Route in selbständigster Weise trans- pvlkirte — die Nachricht empfangen harre, daß auf der ganzen Strecke von Coswig bis zur „Wein traube" kein Schnee mehr liege und man die Kutsche wieder auf Räder stellen müsse. Da aller Wahr scheinlichkeit nach während dieser Manipulalion ein Stündchen vergehen konnte, so waren die meisten Passagiere in die „Sonne" gegangen, und der „Schwa ger" harre für ein gutes Trinkgeld versprochen, daß er sie mit seinem Horn abrufen würde, sobald der passende Moment gekommen, wieder einzusteigen. Auf der nun fast zweitägigen Fahrt von Leipzig bi- Meißen hatten die Passagiere der gelben Kutsche Zeit gehabt, mit einander bekannt zu werden. Ohnehin war dies schon dadurch sehr erleichtert, daß der Passa- gicrzettel Namen und Stand aller Mitreisenden ent hielt, und der Schwager, besonders gegen ein Trink geld, jedem Reisenden einen Blick darauf gestattete, oft auch schon sich selbst befleißigte, seinen Passiqieren zu erkennen zu geben, daß er mit allen ihren Namen und Würden vertraut sei, und so eine Farriliariiät einfübrre, die allerdings durch di« ibm selbst zu Tbeil werdende Benennung „Schwager" hinlänglich gerecht fertigt erschien. — Der italienische Sänger Zerb-Ui, der zum Gastspiel nach Dresden reiste, batte sich auch gar keine Mühe gegeben, seinen Namen und Stand zu verbergen, da er gern mit seiner Künstlergröße tenommirke und überall dafür Bewunderer suchte — noch lieber aber Bewundererinnen, und eine solche glaubte er auch in der mit ihm reisenden Frau von Neuhof gefunden zu haben, dle sich, wie es schien zum Aerger ihres Gemahl» — eines Rittergutsbe sitzers, der lieber von den Interessen der Oeconcmie als der Kunst sprach — sehr lebhaft über Musik und Theater mit dem Italiener unterha'ten hatte. Jndefi nun Herr von Neuhof dir Me ßner Stammgäste musterte, ob nicht vielleicht mit ihnen ein „vernünftiges Wort" zu reden sei, stöberte der italienische Sanger, der sehr gur deutsch sprach, nach Zeitschriften umher, um, wie ec sagte, vielleicht end- sich ein „lesbares Blatt" zu finden. — Lesbar war ihm natürlich nur ein solches, das eine Nachricht oder Recenfion über ihn selbst enthielt. Wo er feinen Namen nicht gesperrt gedruckt sich entqeqenleuchten sah, da verlohnte es sich nicht der Mühe des Lesens, eine selche Journalnummer war für ibn nur taube« Gestein. Unke,schied sich nun in dieser Beziehung der Sänger jener Z-il nicht von dem der Gegenwart, so unterschieden sich freilich die damaligen Journale von den jetzigen dadurch, daß in ihnen das Theater und Alles, was dazu gekörte, die Hauptrolle spielte und andere Interessen danrben eine viel geringere oder gar keine Berücksichtigung fanden. Dafür freilich gab es überhaupt nur eine kleine Zahl Zeitschriften, und in den Gastzimmern fand ken lesebungriger Gast auf die Dauer Befriedigung. So konnte auch Zer- belli erst nur das kleine ,, Meißner Wochenblatt" und die „Leipziger Zeitung" entdecken; — Heide wett eiferten in Gräue des Löschpapieis miteinander, und der Sänger warf sie verächtlich bei Seite. Aber da, da lag d e Freundin Aller, die zum Theater gehör ten oder doch dafür lebten und webten: die Freundin Meißner Krlrnder S