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Der alte römische Senat votirt« seinen Dank dem Consul, welcher nach der surchrbarstea Niederlage „nicht an der Republik verzweifelte." Dieser Römer- Dank gebührt jedenfalls auch dem Grafen Cavour. Als Sardinien blutend und hilflos zu den Füßen Radetzky'« lag, als österreichische Generale nach Herzens lust zu Pulver und Blei begnadigten oder hängen ließen, als die Cache Italiens hoffnungslos wie nie erschien, in der tiefsten Tiefe des Unglücks und der Demüthigung, war es die rastlose, unbeugsame, feurige Se-le des einen Mannes, welcher den Plan zu einer Erhebung seines Volks entwarf, dessen wesente licke Voraussetzung die Besiegung eines übermächtigen Siegers, die Einigung einer zerstückelten uneinigen Ration, die Reform auf dem Boden uralter Des« potieen war, — die offenkundigsten Unmöglichkeiten, wenn man die Dinge mit anderen Lugen ansah al« denen eines begeisterten Gläubigen, lauter Unmög- lichkeil-n, wenn nickt die seltensten Tugenden und Fähigkeiten eines praktischen Staatsmannes in Bereitschaft waren, um das große, aber hoffnungs los scheinende Werk zu unternehmen. Wir Deutschen erinnern uns stets mit bewun dernder Hochachtung der Männer, welche sich durch das furchtbare Unglück der Schlackt von Jena 1806 nicht niederbcugen ließen, sondern hiervon den Aus gangspunkt für die Wiedergeburt Preußens und die Befreiung Deutschlands nahmen. Fichte, Stein, Scharnhorst u. a. werden noch heute von Denen ge feiert, die über gemeine Philisterhafttgkest hinaus sind. Eavour, welcher an die unglückliche Schlacht von Novara die Fäden anknüpfre, welche zum Eiege von Solferino und zu dem italienischen Parlamente führten, Hal nickt geringer» Anspruch auf den Dank der Italiener. Den äußern Umständen nach isst sogar da«, was ihm gelungen ist, noch erstaunlicher als das, was Stein und seine Freunde in den Jahren 1806—1813 durckzuführen vermochte«. Die großen deutschen Staatsmänner jener Zeit hatten sich gegen über die Herrschaft eines zwar kolossalen, aber auf flüchtigem KriegSglückc beruhenden Militärstaales, Eavour dagegen hatte mit einer fest begründeten, in unangefochtenem Besitze befindlich^ Großmacht zu kämpfen, auf deren Seite alle konservativen Interessen standen. Die deutschen Saalsmänner jener Zeil hat ten doch ein Volk hinter sich, welches zwar augen blicklich besiegt, doch aber auch die Erinnerung an zahllose kriegerische Erfolge alter und neuer Zeit mit sich trug, und an dessen politischer und kriegerischer Ebenbürtigkeit mit dem Feinde niemand zu zwe'feln brauchte, da« auf einer großem sittlichen Höhe stand als das italienische, durch schlechte Regierungen herun tergebrachte Volk. Eavour hatte keine Erinnerungen auS alter Siegesreit der Italiener, sondern nur Hoff, nungen als Maßstab für die Grenzen dessen, was zu wagen sei. Alle Erfahrungen der Vergangenheit naren in jeder Hinsicht gegen ikn. Gleichwohl wagte er das Riesenwerk, in welchem es sich um Sein oder Nichtsein handelte, und er für seinen Theil hak gesiegt. Italien wäre staatlich weiter, wenn nicht Napoleon durch seine Truppen mehr als einmal hindernd in Cavours Wege getreten wäre. Wenn man Cavour vorwirft, daß er die Hilfe deS Auslandes zur Befreiung Italiens angerufen habe, so vergesse man wenigstens nicht, daß der große Frhr. von Stein eS war, welcher Rußland für die Be freiung Deutsckiands benutzte, und daß der größte Amerikaner, Washington, den Beistand des HofeS von Bersaille nacksuckte, um die Engländer, seine Stammesbrüder, mit Erfolg bekämpfen zu können. Die Weltgeschichte wird nicht blind sein für die Fehler Cavours, aber sie wnd auch, entrückt der be- theiligten Gegenwart, das große Werk de-> außeror- deutlichen Mannes nicht in den Staub beugen lassen. Graf Camillo Eavour wurde am 10. Au gust 1810 in Turin geboren. Noch ein Knabe, zog er sich bereit« al« königlicher Page seine Entlassung durch einen beißenden Witz über die albernen Förm lichkeiten des HofeS zu. Er kam hierauf in die Turiner Militärakademie, wo er seinen Studien mir Auszeich nung oblag und bald zum Jngenicurlieutenant ernannt wurde. Kaum aber war der junge Mann in die Kreis« der Hauptstadt eingetreten, so machte sich die Unabhängigkeit seines Charakters und sein sarkastischer Witz so bemerkbar, daß seine Familie gewarnt wurde, worauf er seinen Abschied nahm und ins Ausland ging. Bis zum Jahre 1842 lebte er in London, Paris und Genf, beobachtend und lernend. Da« Studium englischer Werke über Etaalswirthschaft beschäftigte ihn lebhaft. Als Karl Albert die Regierung Saidinieu« angetreien hatte, machte diese einige, wenn auck nur unzureichende Zugeständnisse an die öffentliche Mein, ung. Sie waren jedenfalls ein Zeichen der Geneigt heit des Königs zu einem Systemwechsel. Und diese« Zeichen ging für die italienischen Liberalen nicht »er- loren. Mit manchen Anderen kehrte auch Cavour in sein Vaterland zurück. Er trat zunächst nickt in ein Amt, sondern bemühte sich, in unabhängiger Stellung für die Hebung de« Volkes zu wirken, so durch Stif tung der landivülhschastlichen Gesellschaft, später durch Gründung der Zeitung „Risorgimento" (Auferstehung),