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Cavour. (Mit Abbildung.) Seit dem raschen Tode des Kaisers Nikolaus ist der Tod keines Menschen em politisches Ereignis von so weltgeschichtlicher Bedeutung gewesen, wie dec des Grafen Cavour. Feinde und Freunde sind über die außerordentliche B^eutting diese- Mannes e i n e r Meinung, und die Hcffnungen, welche die kirch liche und politische Reaktion an sein vnf übte« Ende knüpft, dienen ebenso dazu, die Höbe seiner pcrsön- l chcn Stellung und Bedeutsamkeit bervorzubeben, als die große Trauer der italienischen Nation, die seinem Sarge gefv'gt ist, und der Freibeilsfrennde aller Länder. Civvur ist recht mitten aus seinem Tageweik« abbe rufen worden, wie leit langen Jah-en kein anderer großer Staatsmann. In diesem Jabrkundert ist nur der Tod der englischen Minister Pitt und Canninq mit tum Cavours zu vergleichen, namentlich aber der des Erstgenannten, welcher mit dec Siegesbotschaft von Trafalgar, wo Napoleons stolze Flotte ihren Untergang gefunden hatte, die letzte E'denfr.ude genoß und seinen Nachfolgern das Vrcmächiniß eines un> geheuein Weltkrieg- hinterließ. Aber Canni-iz und Pikt konnten unbesorgter sterben a>S der erste Pr«. mierminister de- Königreichs Italien. P it batte inmitten der Oo-ner der Napoleonischen Schiachten, Canninq im Angesichte heißer Part-ikämpfc das Be wußtsein, eine Schrar bewährter und tüchtiger Freunde zurückzuiaffen, welche bereit und fähig waren, das unvollendete Werk weiter zu führen und zu vollenden. Wenige Jahre vei stossen nach ihrem Tode, Und das Ziel, an welches sie ihr Leden eingesetzt, wir, wenn auch unter ungeheuer» Opfern, erreicht. Neben Pur stand der Feldherr Wellington, und auf Canninq folgt« der charaktervolle Peel. Cavour dagegen befand sich in jener Stellung, wo man schwer sagen kann, „daß kein Mensch unentbehrlich sei." Es ist eine merkwürdige geschichtliche Erscheinung, daß beinahe alle politische^ Größen ersten Ranges im lautenden Jahrhunderte erst dann gestorben sind, als ihr Tod aufgehört bat, entscheidend in den Gang der Weltgeschichte einzuqreifen. Napoleon l., Wel lington, Peel, Talley and, Metternich, Stein, Louis Phaipp, alles Minner, welche ein oder mehre Male die Lage der Welt beherrschten, sind erst daun aus der Welt gegangen, alS der Vorbang bereits gefallen, al- daS Drama ihres Wirkens und Kämpfen- abgespielt war und schon ein neues Stück begonnen harr«, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu fcsseln. Cavour dagegen starb auf der Bühne inmitten der Handlung vor den Augen de- erschrockenen Publikum-, und die Rolle, weiche er übernommen hatte, muß von einem Anderen, aber niemand weiß, ob von einem gleich Befähigten zu Ende gespielt werden. Selbst die feindseligsten Recensenken, die seinem Spiel mur rend gefolgt sind, werden etwas wie Erschütterung bei dem jähen Tode diese- außerordentlichen Mannes empfinden, auch das Mitglied der sächsischen ersten Kammer nicht ausgenommen, -aS noch kurz vor dem Schluffe des letzten Landtage- Gelegenheit suchte und sand, einen Tadel der Cavour'schenPolittk auszulprechen. Es darf nicht Wunder nehmen, daß die Stim men über den Grafen C«>»cur sich scharf von einan der sondern, daß wir auf der einen Seite Bewun derung, Vecebruna, Liebe, Begeisterung für, auf der andern Verwünschung, Haß gegen ihn finden. Der Mann, welcher geholfen, so v ell von Oelterreich ab hängige Throne umzunürzen, den Oesterreichern eine ihrer schönsten Provinzen wegzunehmen, der kühn genug war, den weltlichen Stuhl Petri aus sein gei stiges Geb!«' zu beschränken, muß zahlreiche Feinde Haden. Wenn wir ihm auch nicht allenthalben un bedingte und rückhaltlose Anerkennung zollen können, so ist so viel gewiß: Italien wird ihn für alle Zeiten in die Reihen seiner größten Staatsmänner und Patrioten stellen. Darüber kann aber zwischen Freund und Feind keine Velschiedenbeit der Meinungen obwalten, daß ein außerordentlicher Mann voll Klarheit de» Kopfe-, Charakterfestigkeit des Willen-, gläubiger Hingabe deS Herzens, Aufopferungsfähigkeit und Uneigennützigkeit dazu gehörte, um zu erringen, wa« Cavour für sein zerrissenes, fremdem Einflüsse unterworfenes Vater land errungen Hal. Wenn auch vielleicht die Mittel, welch« Cavour amoendete, nickt durchweg vor dem Rickterstukle der Sittlichkeit bestehen möchten, so pflegen die Völker leicht die Sünden zu verzeihen, welche die Vaterlandsliebe begeht, und man feiert ost den selbstsüchtigsten Ekrgeiz, welcher seine Befriedigung in der Größe und Eh>e des Vaterlandes sucht. Sv hat LbeMistokles unvergänglichen Rubm erworben, so ehren die Briten ihnen Cromwell . so nennt der Italiener den Namen M icchiavelli mit Stolz und Erhebung. Dir Landsleute C ivours weiden schwerlich untersuchen, wie viel Procent Ehrgeiz d.m glühende» Patriot emus Cavour- beigemischr gewesen sind; ihre Blicke werden au Dem haften, was er zu Stande gebracht bat, und an dec Ausdauer. Kühnheit, «lug- he r und Energie, welche er für die Einheit und Un abhängigkeit Italien- zu finden wußte. Neuer Kalender F.