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Jahrbuch für Freunde des Nützlichen und Angenehmen. Rückblick auf die Zeitereignisse vom Juli 1860 bis Juni 1861. 1860. Juli. Während noch die Neugestaltung des »ach Einigung ringenden Italiens die Erhal tung des übereilten Friedens von Villafranca in Frage stellte, trat an einem andern Punkte rin Ereigniß ein, das ängstlichen Gcmülhern den Los bruch eines großen allgemeinen Krieges in Aussicht stellte. Die immcrmehr zu Tage tretende Macht losigkeit der türkischen Regierung vermochte längst nicht mehr, blutigcZusammenstöße zwischen der musel männischen und der christlichen Bevölkerung in den europäischen Provinzen der Türkei zu hindern. Plötz lich brach ein solcher Zusammenstoß auch auf der asiatischen Seite aus. In den wilden Gebirgen Syriens leben die muselmännischen Drusen neben den christlichen Maroniten, beide sich ingrimmig hastend, beide gleich kampfbereit und nur durch die strenge Hand deS türkischen Paschas von gar zu heftigen Ausbrüchen des gegenseitigen Hasses abge halten, aber immer auf die Gelegenheit harrend, wo es ihnen gestattet sei, ihrem wilden Haß die Zügel schießen zu lassen. Die Geldverlegenheiten der tür kischen Regierung hatten zur Verringerung der regel mäßige» Truppen in Syrien genöthigt, altgläubige Muselmänner glaubten ihre Religion durch die vielfache Nachgiebigkeit gegen Ansprüche europäischer Regierungen gefährdet; Nationalitäten - Haß und religiöser Fanatismus brachen auf einander los. Ein allgemeiner Uebcrsall der Drusen kostete Tau senden von Maroniten das Leben. Unter dem Vor wande des Schutzes der Christen in Syrien schickte nun der Kaiser der Franzosen eine Division seiner Truppen nach Syrien. England dagegen fürchtete, einmal dort gelandet, würden die Franzosen ver suchen, für immer in der Türkei festen Fuß zu fasten, um bei der über lang oder kurz doch nicht mehr zu vermeidenden Theilung des Landes gleich bei der Hand zu sein. ES erschien deshalb gleich zeitig mit den Franzosen eine starke englische Flotte an der syrischen Kaste, andere Seemächte schickten ebenfalls Schiffe zur Beobachtung dahin ab; ein Mißverständnis, wie sie allemal vorkommen, wenn sie gebraucht werden, konnte dort zu einem Zusam menstoß führen, der augenblicklich einen allgemeinen Krieg entzündet hätte. Die geängstigte Diplomatie bot Alles auf, den Frieden zu erhalten. Was ihr vielleicht nicht gelungen wäre, brachte das Bedenken Louis Napoleons zu Wege, der es noch nicht an der Zeit fand, mit England, seinem einzigen Verbündeten, zu brechen, so lange er nicht andere Bündnisse geschlossen hätte, die ihm die Besiegung seines zweifelhaften Verbündeten und stets bereiten Gegners gesichert hätten. So verstand er sich zu Konferenzen, auf denen er sich verpflichtete, seine zum Schutze der Christen in Syrien gelandeten Truppen zunächst nur 6 Monate dort zu lassen. Später wurde diese Frist um weitere 6 Monate verlängert, nach deren Ablauf auch wirklich die Fran zosen, immer von den Engländern mißtrauisch be wacht, wieder abzogen. Damit war denn vor derHmnd an diesem einen Punkte die Kriegsgefahr beseitigt, nicht aber das allseitige Mißtrauen, das sich in starken Rüstungen aller Großmächte ausspricht. — In Sizilien errang mittlerweile Garibaldi mit sei ner Hand voll Tapferer immer neue Voithcile über die Truppen des Königs Franz ll. Mit jeder Siegcsnachricht stieg auch die Aufregung der Be völkerung auf dem italienischen Festlande. Die alten Mittel der Einkerkerung, Verbannung, des Belagerungszustandes, und wie sie sonst heißen, die Hilfsmittel „starker" Regierungen, wollten selbst in der Hauptstadt Neapel nicht mehr verfangen. In seiner Bedrängniß versuchte es der Köniz mit frei sinnigen Zugeständnissen. Der Belagerungszustand ward aufgehoben, eine Amnestie verkündigt, Preß freiheit gegeben, auch die Verfassung, die vor 12 Jahren König Ferdinand in gleicher Bedrängniß gegeben und nachher wieder zurückgcnommen hatte, ward wieder als Beruhigungsmittel gereicht. Zu spät! Das oft getäuschte Volk war nicht mehr zu täuschen. Es nahm die Freiheiten hin, die ihm nicht mehr vorenthalten werden konnten, und benutzte sie zur Unterstützung Les „Befreiers" Garibaldi. Vergeblich schickte König Franz einen außerordent lichen Gesandten nach Turin, der sardinischen Re gierung ein Bündniß anzutragen. Man kannte dort seinen Vortheil zu gut, nm ein Bündniß mit einem Könige zu schließen, dessen baldige Vertreibung schon damals in sicherer Aussicht stand. Bereits zeigte sich auf der neapolitanischen Flotte unter Dfflzieren sowohl als Matrosen die Unzufriedenheit S