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Der heilige Wer die vielbesuchten Sandsicingebirge durch wandert, welche den Namen der „sächsischen Schweiz" tragen, der erblickt, sobald er Böhmens ^Loden betritt, auf Wegen und Stegen zahlreiche Bilder des heiligen Nepomuk. Das sei der Schutz patron des Landes, erzählt man dem Reisenden: er sei Beichtvater gewesen der Königin Johanne, der Gemahlin des dcntschcn in Prag Hof haltenden Königs Wenzel, und weil er das Bcichtgchcimniß zu vcrrathen standhaft verweigert, auf Lessen jäh zornigen Befehl am 29. April 1383 von der Brücke in die Moldau gestürzt worden. Daß diese Erzählung Legende sei, der General vikar Nepomuk einer weniger romanhaften Ursache halber und auch um 10 Jahre später hingerichtet worden: nämlich gelegentlich der Streitigkeiten, welche der König Wenzel 1393 mit der böhmischen Geist lichkeit um ihres übermäßigen Güterbesitzcs willen hatte, ist von der unbefangnen Geschichtsforschung längst nachgewicsen worden. Welche Bcwandtniß aber es eigentlich mit der Nepomukslegcndc habe, welches ihr innerer Kern, und was ihre wahre Be deutung sei, das ist erst kürzlich von dem verdienst vollen Geschichtsforscher Or. Otto Abel in Bonn (Die Legende vom h. Nepomuk. Eine geschichtl. Abhandlung aus dem Nachlasse von l)r. O. Abel. Berlin 1855) erörtert und dargelegt worden. Um es sogleich kurz herauszusagen: der Ne pomuk der Legende ist Niemand anderes als der Reformator Huß. Dies hat Abel schlagend be wiesen, und die Sache verhält sich folgender Gestalt. Die hussitischen Zeiten waren die Blüthc Böh mens. Damals machte sich Böhmen frei vom Drucke Deutschlands und vom Joche Roms. Als die Lebenskraft desHussitcnthums zu sinken begann und die römische Kirche daran denken durfte, die verirrten Schafe wieder unter ihre Herrschaft zu bringen, ging sie mit vieler Unisicht und besonderer Schlauheit zu Werke. Sie schmeichelte der Volks- thümlichcn Eitelkeit der Tschechen, um ihre freikirch- liche Richtung desto leichter zu unterdrücken. Paul Zidck, ein Prager Domherr, schrieb 1471 ein Unterweisungöbuch für tschechische Fürsten (Spra- wowna) in tschechischer Sprache, worin Tschechcn- thum und Katholicismus ebenmäßig gepriesen wer den. In dieser Schrift zuerst wird anscheinend nur gelegentlich der Hinrichtung Les Nepomuk Las toLesmuthig bewahrte Beichtgeheimnis) als Ursache untergeschoben. Im Jahre 1526 gelangte das Haus Habsburg Nepomuk. auf Böhmens Thron. Seinen rückwärts gekehrten Sinn betätigte dasselbe alsbald dnrch hartnäckige Bekämpfung der damals von Wittenberg ausgehenden Kirchenreformalion. Auch die hussitischen Jahre wurden aus dem Gedächtniß der Menschen möglichst getilgt und das Andenken vorhussitischer Zeit nach Kräften erneuert. So ward Nepomuks Grab durch eine Umfriedigung bemerkbar gemacht, und der be rüchtigte Märchcnschmidt, Wenzel Hajck, welcher mit Unterstützung der Regierung 1541 seine böh mische Chronik in tschechischer Sprache hcrausgab, schmückte in klugem Verständniß der Zeit vornämlich die Sage vom Nepomuk mit neuen Zügen aus und verschaffte ihr durch sein unverdientes Ansehen mehr und mehr Eingang. Inzwischen waren noch immer drei Viertel der Bevölkerung Böhmens Hussiten oder Prote stanten. Da erfolgte am 8. November 1620 die Niederlage auf dem weißen Berge und mit ihr der gänzliche Verlust von Böhmens staatlicher und kirchlicher Freiheit. Die Gegenreformation setzte sich in Gang, und bald gab cs keine Ketzer mehr im Lande. Zugleich übernahmen die Jesuiten die Leitung der Dinge. Sic crkanntcn klar die Nothwendigkcit, den Herzensbcdürfnlsscn des VoM Rechnung zu tragen und dcn ketzerischen Volkshelden Huß und Ziska einen nicht minder böhmischen, aber recht gläubigen Heros entgegen zu stellen. Mit glück lichem Griffe erwählten sic dazu den wenig altern Nepomuk, den vorbcrcitungswcise zum Blutzeugen des Beichtgeheimnisses gestempelten Priester. Wie einst bei der Einführung Les Christenthums Juno oder Venus in die Jungfrau Maria, Wodan in dcn Erzengel Michael, Swantcwit in Sankt Veit umgcwandclt worden waren: so mußte sich jetzt Huß gefallen lasten, in einen katholischen Heiligen umgetauft zu werden. Der Jesuit Bohuslav Balbin war cs, der diese Verschmelzung glücklich zu Stande und 1670 die Ncpomukslegende zum völligen Ab schluß brachte. Huß wie Nepomuk führten dcn Vornamen Johann, beim Volke kurzweg Mistr Jan, Magister Johannes: ersterer war, letztrer galt in der Sage als beliebter Prediger: jener wie dieser waren Opfer der weltlichen Gewalt: ersterer ward vom Kaiser Siegmund verbrannt, letzterer vom Köniz Wenzel ertränkt: ersterer war geschichtlich Beichtvater der Königin Sophia, Wenzels zweiter Gemahlin, letzter» machte die Sage zum Gewisscnsrath der Königin