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nur zwei Bemerkungen zu. Die eine ist, daß selbst nach den schoncndsten Urtheilcn der Kapiiän des Verunglücklen Schiffes sich eines so großen Mangels an Geistesgegenwart, Muth und Besonnenheit schuldig gemacht hat, wie cs au einem Manne in seiner Lage nie erlebt l werden sollte. Denn er war cs, der zuerst von Allen den Kopf verlor, der durch den Verzweiflungsruf: „Wir sind Alle verloren!" das wildeste Chaos hervorrief und jeden Versuch zur Rettung abschnitt. Die schwere Anklage, daß er sich. in dem ersten Boote habe retten wollen, braucht man nicht zu glauben, um dennoch das strengste Urtheil über ihn gerechtfertigt zu sindln. — Noch peinlicher ist indessen die zweite Bemerkung. Es ist diese, daß gerade der Deutsche, an dem man doch sonst das Phlegma als eine charakteristische Eigenschaft hervvrhcbt, bei dieser Gelegenheit weniger Geistesgegenwart, weniger Murh und weniger Aufopferungsfähigkeit dargc- than hat als die Angehörigen anderer Nationen. Für diese Behauptung wollen wir als Beweis statt vieler vergleichender Beispiele nur eine Ver gleichung der Austria-Katastrophe mit dem Unter gänge des amerikanischen Dampfschiffes „Central- Amerika" und des englischen „Aectic" ausstellcn. Die Auftritte während des BrandeS der „Austria" Warrn wenig ehrenvoll für uns Deutsche. Eine solche Verzagtheit und Verzweiflung auf der einen, eine so niedrige Eigenliebe und Rücksichtslosigkeit auf der andern Seite sind selten bet einem der großen Schiffbrüche in den letzten Jahren erlebt worden. Sterben zu müssen, nur die Wahl zwi schen dem Verbrennen und dem Ertrinken zu haben, ist freilich nichts Leichtes. Auch wird Niemand erwarten, daß Frauen und Kinder ihre Fassung bewahren sollten; Niemand wird selbst den Män» nein zumulhen, daß sie so in den Tod gehen wie die alteKaisergaide gegen dröhnende Fcuerschlünde oder wie die englischen Soldaten, die, Gewehr beim Fuß, wie auf der Parade, mit dem Dampf schiff „Birkenhead" versanken. Das aber darf man wohl von Männern erwarten, daß sie in solchen fürchterlichen Augenblicken sich nicht geradezu wie alte Weiber benehmen, und vor allen Dingen darf man erwarten, daß sie zuerst der Frauen und Kinder gedenken. Und leider ist nicht das, sondern gerade das Gczcnthcil am Bord der „Austria" geschehen. Gräulich klingt es, wenn man ans dem Munde derUeberlcbendcn hört, mit welch empören der Rücksichtslosigkeit die hilflosen Kinder und Frauen nicdergctreten worden sind, und wie sich auch nicht eine einzige Stimme erhoben hat, um zu bewirken, daß an deren Rettung zuerst gedacht werde. Welch ein Beispiel edcln Mannesmuthes bot dagegen der Untergang des kalifornischen Dampfers „Ccntralamerika". Es waren die Passagiere.dieses Schiffes zu einem großen Lheile nur rohe Strolche, wüste Gesellen, von denen Mancher sich wohl keinen großen Skrupel gemacht hätte, wegen eines hitzigen Wortes dem Andern das Leben zu nehmen, — aber was thaten sie? Mit einer Ruhe und Ordnung, als ob sie im Gesellschaftszimmer wären, luden sie alle Frauen und Kinder auf die rettenden Boote, und Wehe dem, der es gewagt hätte, für sich Rettung zu suchen, so lange nicht für die Frauen gesorgt war. Ueber 400 Männer versanken mit dem Schiffe ins Wogengrab, aber nicht eine Fran, nicht ein Kind . ging verloren. Und dann der „Arelic!" Dessen Passagiere bestanden zum größten Theite aus Leuten, die viel mehr auf der Welt zu verlieren hatten, als ein deutscher Auswanderer in der Regel hat; sie gingen nicht wie diese einer ungewissen Zukunft voll schwerer Täuschungen entgegen, son dern kehrten zu einer mit allen Genüssen des Le bens ausgestatteten Häuslichkeit zurück. Aber da sie erkannten, daß sie dem Tode verfallen seien, starben sie auch, wie cs Männern geziemt. - Woher nun der männliche Muth, die Auf opferungsfähigkeit, dieTodesfreudizkeit jener Ameri kaner und Engländer auf der „Centralamerika" und dem „Aretic", und diese Feigheit und Kopf losigkeit der Deutschen auf der „Austria"? — Wir glauben: von dem stolzen Nationalgefühl der beiden Ersteren, von denen der Geringste wie der Vornehmste durchdrungen ist von der Ehre seines Landes und seiner Flagge, und dem gegenüber von dem Pariikularismus, der Zerrissenheit des deutschen Vaterlandes! Der schlesische Passagier fühlr nichts für die Ehre der Hamburger Flagge, und der Böhme stößt, um sich zu retten, den Oldenburger in de» Tod, wie der Rheinländer die baierssche Frau zurückdrängt, um erst für sich einen Platz im rettenden Boote zu finden. — Den Anstrengungen des französischen Schiffes „Maurice", Kapitän R.naud, und des norwegischen „Katharina", Kapitän Funnemark, ist die Rettung von 89 Menschen gelungen, über 500 haben bei der Katastrophe ihren Tod gefunden.