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setzte ich mich auf eine der Ketten am Bug und harrte hier noch ungefähr zwei Stunden aus. Hier sah ich Scenen, die zu haarsträubend sind, als daß ich sie beschreiben könnte. Män ner, Frauen und Kinder in zärtlicher letzter Um armung fielen ins Wasser wie Regentropfen. Das entsetzlichste Schauspiel für mich war ein junges Geschwisterpaar, ich glaube sie waren Israeliten und wölbten nach Kalifornien. Um der fast uner träglichen Hitze zu entrinnen, ließ der Jüngling seine Schwester mit beiden Füßen aut ein dünnes Seil stehen und ließ sie auf diese Weise so weit herab, daß sie nahezu das Wasser berührte, und so, vor dem Feuer geschützt, die Ankunft eines rettenden Bootes abwarten konnte. Dann schlang er sich ein ähnliches Seil um den Leib und sprang ihr nach. Unglücklicherweise halte er dasselbe zu wenig angezogen, im Fallen rutschte eS und zog sich über seinen linken Arm und Gesicht, das ganz zerfleischt wurde. Mehr als eine halbe Stunde hörte ich Las Mädchen noch um Hülfe für seinen unglücklichen Bruder schreien. Wer hätte cha retten kön .cn? Mit Händen und Füßen arbeitete er, um empor zu kommen, aber nach und nach erschlaffte er und hing endlich ruhig — ein Leichnam. Auch sah ich noch eine» Böhmen, der seinen Sohn, so groß und stark wie er, umhalste und ihn küssend in die Tiefe sprang. Ihnen folgte die Mutter in der Umarmung ihrer 2 Töchter. — Eine Eng länderin war mit ihrem Manne und drei Kindern in Southampton an Bord gekommen. Der Mann sprang zuerst ins Wasser nnd als die Flammen heißer und heißer herandrangen, nahm sie ihr Töchterchen, küßte es und warf es ins Wasser. Darauf nahm sic ihren Knaben, einen lieben, mnntern Jungen, die Gesundheit selbst, umarmte ihn innig, gab ihm den letzten AbschieLSkuß und warf auch ihn hinab. Er fiel auf seinen Rücken nnd rang und kämpfte schwer. Dreimal arbeitete er sich an die Oberfläche und rief jedesmal in herzzereißendemTonc: „Mama!" ehe er für immer versank. Nun drückte die arme Frau ihren Säug ling ans Herz und sprang, während sie ihn immer und immer wieder küßte, in die Fluch. — Als ich endlich ein Boot von der Barke Maurice kommen sah, sprang auch ich ins Meer und wurde nach langem Umherschwimmcn an Bord desselben ausgenommen. Das Mädchen hing noch, als ich das Schiff verließ. Ucbcr ihrem todtcn Bruder hatten sich noch drei andere Personen an den Tauen angeklammert. Ihr Schicksal ist mir unbekannt. Henry A. Smith von Chelsea erzählt: Die Flammen hatten so um sich gegriffen, daß die furchtbarste Bestürzung sich aller an Bord Be findlichen bemächtigte. Einige überließen sich so gleich der Verzweiflung, schrieen, beteten, Andere fielen in Ohnmacht und verloren mit dem Be wußtsein auch alle Möglichkeit der Rettung. Nur wenige hatten Geistesgegenwart genug, um An stalten zu ihrer Rettung zu treffen, was freilich sehr schwierig war. Die zehn Boote waren so fest angeschlossen, als ob nie Jemandem in den Sinn gekommen wäre, daß sie gebraucht werden könnten) der zum Feuerlöschen bestimmte Schlauch war nicht in Ordnung; der Kapitän, anstatt die nöthigen Anordniutgen zum Löschen, zum Wenden des Schiffes, zum Flottmachen der Boote, zur Rettung der Frauen und Kinder zu treffen, lief auf dem Deck hin und her, so verzweifelt und kopflos wie der seeunkundigsle Auswanderer. Kin der wurden von den Erwachsenen nicdergetreten. Manche, ganz blödsinnig aus Angst, kletterten in die Takelage hinauf, als ob sie do.t Rettung fiu» den könnten. Andere warfen ihre schwere» Ober kleider ab, um sich durch Schwimmen zu retten re. Während ich diese Schrcckenöscenen ansah, hörte ich, wie der Steuermann und einige Passagier« sich daran machten, das Boot aus der Backborde seit« flott zu machen. Ich eilte dorthin und ge langte in bas Boot. Ueberladen, wie cs war, stürzte es um nnd dabei ertranken lO bis 15 Menschen. Noch einmal ward cs von den durch die Schraube erregten Wellen umzeworfen, wobei wreder einige umkamen. Als das Boot endlich hinter dem Schiffe zurückblieb, füllte es sich so mit Wasser, daß kein anderes Mittel übrig blieb, um cs vor dem Sinke» zu bewahren,' als cs absichtlich umzustürzen und dann wieder aufzurichten. Hier bei aber versanken noch an zehn Passagiere, die entweder zu schwach waren, um festzuhalten, oder den Zweck des Manövers nicht verstanden. Auch nun füllte sich das Boot bald wieder. Der Steuer mann rieth jetzt, daß alle, mit Ausnahme eines jungen Mädchens aus Prag, aus dem Boote springen, die Rnderstangen quer darüber legen und sich an diesen schwimmend erhalten sollten, so daß das Boot keine so schwere Last zu tragen hätte. Dies gelang. Lediglich den verständigen Anord nungen des Steuermanns ist cs zuzuschrciben, daß in diesem Boote 24 Personen gerettet wurden. In eben diesem Boote war die Frau und Las Kind eines der geretteten Passagiere ertrunken, ehe das Wasser hatte ausgeschüttet werden können. Um nicht des Gräßlichen zu viel zu hänfen, brechen wir hier die Berichte Geretteter ab, unter denen auch ein Sachse, Herr von Dürr selb aus Dresden. —Wir füge» dem vorstehend Mitgetl,eilten