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im Dorfe erzählt«, du »reiß jedes Kind meine Liebe und meine Schande?" Er stand entsetzt und ries dann in Wuth auf brechend: „Was, Donner und Teufel! Du bist ge fallen? — Gewiß ein vornehmer Schurke, der —" Sie richtete sich groß auf und fiel ihm in's Wort, indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte: „Nein, meine Liebe hat Niemand zu lästern gewagt, wenn auch mein Geliebter ehrlos ist vor der Welt. Friedrich, — Du hast ihn ja auch gekannt — ihn lieb' ich und muß ihn auf dem Zucht-" Sie brachte daS Wort nicht heraus und wen dete sich rasch zur Seite, indem sie beide Hände vor ihr Gesicht hielt. Bernhard war wie vom Donner gerührt, — Riesengroß wuchs das nächtliche Gesicht vor ihm auf: die Flammen — der Freund in den Zuchthaus kleidern mit den vorwurfsvollen Mienen — rie'engroß stand das vor ihm und sbmetterte ihn zu Boden. „Herr des Himmels!" rief er, „warum hast Du das nicht schon längst gesagt?" „Alle Welt weiß cs ja." „Aber ich nicht; — es ist gräßlich! Und er wußte cs, daß Du ihn liebtest?—Ihr wäret einig?" „Ja, währcnd wir uns Verlobten, war das Feuer von den. Verruchten angelegt, der —" „Halt!" schrie Bernhard außer sich — „cs ist genug!" und er stürzte fort. Er ging zu dem Schullehrer des Dorfes, einem alten Manne, den er schon früher gekannt hatte. Jetzt sagte er ihm nur, er habe etwas Wichtiges zu schreiben, und bat ihn um Feder und Papicr. Wie er das hatte, schrieb er so gut es eben gehen wollte für Einen, der nicht viel mit der Feder sich zu thun gemacht. Aber wie sonderbar auch Styl und Orthographie sein mochten, wie steif und ungleich die Buchstaben — sie enthielten doch deut lich Alles, was an jenem Tage der Brandstiftung sich ereignet hatte, und Bcrnhard's Bckenntniß der That. Dann brach er das Papier zusammen, bat den Schulmeister, cs dem Gc^cht zu übergeben und eilte fort. Er wußte noch recht gut aus seiner Kindheit wie tief der Mühlgraben war — dahin ging er und ertränkte sich. Daß er Schuld war am Grame seiner un schuldigen Schwester, das hatte ihn erschüttert bis in's tiefste Mark hinein; a» ihr hatte er sich ver gangen, an ihr mußte er wieder gut machen, waS noch gut zu machen war. Aber den irdischen Rich tern sich zu überliefern dünkte ihm eine zu harte Buße, «nd vermöge der eignen Anschauung, die er für manche Dinge hatte, auch eine unwürdige. Sollte er Die jetzt als seine Richter anerkennen, die er getäuscht hatte, die sich hatten täuschen lassen? Sollte er sich für eine That bestrafen lassen, zu der ihn Noth und Verzweiflung und Rache getrieben? — So entzog er sich seinen irdischen Richtern, um sich lieber gleich in die Arme deS himmlischen Richters zu werfen, der da Heize» und Nieren prüft. Dem Schulmeister kam Bernhards Benehmen sonderbar vor; er nahm aber gewissenhaft da« Schreiben und trug es aufs Gericht. Erst am andern Tage ward es geöffnet. Man las und erstaunte. Bernhards Leiche, die man zugleich im Mühlgraben anfheb, war gewisser maßen eine Bestätigung des Inhalts dieses Schreibens. Die Sache kam dem Gericht ziemlich ungelegen« Sie war längst vergessen, und nun mußten die alten, verstäubten, umfangreichen Akten wieder hervorgesncht werden. Und wozu? Weil sich ein geständiger Ver brecher fand, der aber jetzt schon todt war. Und Fried richs Vergehen erschien zwar jetzt vor den Augen der Welt in einem ganz andern Lichte, — vor den Augen des Gesetzes blieb es dasselbe: der Verurtbeilte hatte einem Verbrecher fortgeholfen — das war der That- bestand. Das Opfer eines großen Herzens, der Gdel- muth einer liebenden Seele fällt nicht in die Wag schale der Gerechtigkeit! Anna, obwohl tief erschüttert von der That und deni Tode des Bruders, fühlte i» ihrem Herren doch ein Anfjauchzen der Liebe, weil sic Den nun so hoch verehren durfte, an dem sie nie gezweifelt, aber um den sie doch so viel gelitten hatte! Wieder ist es Frühling und Mai. Wieder duften alle Blumen, zieht einleii'es Wehen durch die blühenden Bäume und streut ihre weißen Blättchen herab, und un ter den blühenden Bäumen stehen zwei Menschen, aber obwohl sic noch jung sind, doch nicht mehr im Frühling und Mai des Lebens. Der Mann und das Mädchen — sic haben beide viel erfahren; es sind rauhe Tage und viele Stürme über ihre Häupter dahingezogcn. Jetzt vergessen sie es — Friedrich und Anna — beide, denn jetzt haben sie sich wieder! — Aber fünfJahreZuchthauS! —FünfJahre unter Verbrechern, ohne selbst ein Verbrecher zu sein! Solche fünf Jahre vergessen sich nicht so leicht! Durch das ganze Leben klingen sic hindurch. „ Er ist auf dem Zuchthause gewesen!" — sägen die Leute kurz, aber sie erzählen nichts weiter. — Doch e i n Wesen ist es, zu dem darfFricdrich auf sehen ohne Erröthcn, ohne Vorwurf für sich und sie: Anna, aus Liebe zu der er gelitten, und die ihn nie ver kannt und verleugnet hat. Er hält sic in seinen Armen und sie fühlen cs beide: die Arme der Liebe sind ein Asyl, in das zu flüchten und indem auszuruhen so süß ist von allem Bösen, das sonst die Welt hat! — I.. 0.