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Friedrich sah, daß seine Hoffnung vergebens war; aber er schwieg. In den Tafeln des Gesetzes stand wie mit ehernem Griffel verzeichnet: „Haben mehre Personen nach vorhergeganzener Verabredung oder stillschweigender Uebereinkunft ge meinschaftlich eine verbrecherische That ausgesührt, so ist einem Jeden von ihnen die Thal ganz bei- zumessen. Ist er bei der Ausführung nicht zugegen gewesen, so soll er als ungleicher Thnlnehmer gellen. Wer einem Verbrecher nach vollbrachter That durch Verhehlung oder Unterstützung zur Flucht hilft, ist als Begünstiger des verübten Verbrechens zu bestrafen. Gegen Diejenigen, welche sich der Begünsti gung eines Verbrechens schuldig machen, ist auf ein Drittheil der gesetzlichen Sirafe zu erkennen." -- Danach entschied der Richter. Friedrichs Unheil lauteie auf füufJahre Zucht haus. Er vernahm cs und schwieg. — „Cs hat mich ein Mensch verdammt, der mich nicht kennt, der nicht mich, sondern nur meine Gegner gehört Halle. Die Leute aus meinem Dorfe, meines Gleichen, Alle, die mit mir gelebt haben, würden mich anders gerichtet haben!" — damit suchte sich Friedrich zu trösten, obwohl er recht untröstlich war, daß ein todter Buchstabe, nicht ein lebendiges Wort ihn richtete. — Trug er doch in seinem Innern das Bewußtsein, unschuldig zu leiden, und durfte er sich doch sagen, daß eben sein Edelmuth es war, um deswillen das Gesetz ihn brandmarkte. Bernhard blieb ungefährdet. Er suchte sich auch zu trösten über Friedrichs Schicksal und die eigne That, aber er konnte doch nicht so ruhig schlafen wie dieser. Er sagte sich: wenn sie mich ergriffen hätten, so würde ich vielleicht lebensläng liches Zuchthaus bekommen haben, und Weib und Kinder wären verlassen gewesen — Er hat ja Nie manden verlassen und nach fünsJahren ist er wie her frei und eben so ein ehrlicher Kerl wie vorher, denn einem armen Teufel gutwillig fortgeholfen zu haben, wird ihn in den Augen des Volks nicht süsiech- ter machen. Und daß ich Las Feuer überbaupt anlegte — ei, was ist's denn weiter? Dem reichen Gutsherrn wird die Ausgabe wohl bekommen, und die armen Maurer und Zimmerleute haben nun auf lange Zeit viel zu thuu — durch mich! — Aber Bernhard mußte doch immer wieder wie sonst zur Brannt weinflasche greifen, nicht um die Noth um's tägliche Brod zu vergessen, denn das hatte er jetzt für sich und die Seinen, sondern um nicht an die Flammen zu denken, die er oft vor sich aufschießcn sah; um Friedrich zu vergessen, den er im Geiste immer in den ZuchthauskleiLcrn mit niedergeschlagenen Augen vor sich sah, die er ost wir zum Flehen, ost auch wie zum Beklagen öffnete, indeß die Lippen immer fest geschlossen blieben. Anna hatte Friedrich noch einmal sehen wol len, bevor er in's Zuchthaus abgeführt ward. Ihre ganze Seele drängte sie,' ihm zu sagen, daß sie wisse, er sei unschuldig, obwohl sie nicht begreife, wie er schweigen könne und für einen Verbrecher sich opfern. Aber man hatte weder ihr noch ihm diesen Trost gegönnt. — Sic konnte- nichts für ihn thun, nichts. Ihr Zeugniß Ivar verworfen worden, weil sie ihn liebte; ihre Bitte, ihn nur noch einmal zu sehen, nur ein letztes Lebewohl ihm zu sagen, ward ihr abgeschlagen, weil sie ihn liebte! „Daß wir den Skandal entführten, daß zu jedem Verbrecher auch sein Schatz noch kommen dürfte, das wäre eipe schöne Geschichte!" sagte der Gerichts diener zu ihr. Und daheim schalten die Eltern, daß sie sich nicht scheue, ihre Liebe zu dem Ver- uriheilten offen zu zeigen, sie hätte doch froh sein sollen, daß die Leute noch nichts davon gewußt hätten. Nun habe sic sich zum Gerede im ganzen Dorfe gemacht. — Von den Bewohnern desselben ward Friedrich zwar meist bedauert, aber cs wagte doch Niemünd es offen zu thun, und als sein Ur- tbeil nun da war und die Sache entschieden, nahm Niemand mehr Partei für ihn. Niemand mochte mehr für den Freuno eines Menschen gelten, der auf's Zuchthaus kommt. Anna war allein in ihrem Jammer und in ihrer Liebe. Sie that Alles im Hanse für Eltern und Bruder voll stiller Güte, was ihr oblag,^aber nie mehr sah man. sic auf den Plätzen des Ver gnügens, wo die Burschen und Mädchen sich ver sammelten. Sic war nicht krank, aber ihre Jugend frische verschwand, sie ward blaß und mager und ihre Augen verloren ihren freundlichen Glanz. So vergingen vier Jahre, da starb ihr Vater. Die Erbtheilung, so wenig auch zu theilcn war, machte cs doch nölhiz, daß Bernbard in die Heimath kam. Bernhard und Anna erschraken Beide vor einander, als sie sich io verändert wicdcrsahen. Er war matt und hohläugig geworden vom Trunk, dem er sich ergeben, und von den vielen schlaflosen Nächten, wo er aus seinen Fingern Flammen schla gen und den Iugendgefährten in Zuchthausklcideru nist der stummen Anklage flehender Augen vor sich sah. Aber was konnte der Wurm sein, der an Anna's Ingendblüthe nagte? Vielleicht auch die Noth? der Hunger? „Schwester, Du auch ?" fragte er erschrocken. „Was denn?" sagte sie ruhig. „Du hast wohl gedacht eine schmucke Schwester zu finden, und wunderst Dich, wril's nicht so ist? — Laß Dir's