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Ein Opfer. Ein warmer Maiabend hatte alle Dorfbewohner in's Freie gelockt, die junge Saat zu betrachten, die freundliche Pracht der blühenden Bäume zu genießen. Viele wandelten der Elbe entlang, die noch im röthli- chen Wiederschcin der untcrgezangenen Sonne glänzte, Andere betrachteten diehöhcr gelegenen Felder oder stan den auf den Hügeln, die von allen Seiten durch den Blülbenschmuck der Bäume wie umkränzt und um wunden erschienen. Am Weitesten von dem Dorfe jedoch Halle sich ein junges Paar entfernt, das allein sein wollte, um den schönsten Frühling und Mai deS eignen Lebens zu feiern. Anna und Friedrich hatten jetzt zum ersten Male einander gesagt: „Ich bin Dein!" Sie batten sich unter einander verlobt in der Sabbathstille der Natur, und in ihnen und um sie war lauter blauer Himmel und eine lachende Flur. Arm in Arm gingen sie durch dir Blüthen- «llee, die das Laubgcbüsch begrenzte, in dem sie ein st Ües Plätzchen für ihre Geständnisse und Erklä rungen gesucht und gefunden hatten. Als sie aus derselben heraustraten auf die breite Landst-aße, machte sich Anna sanft los von ihrem Verlobten, und als sie in die enge Dorfgasse einbogen, gab sie ibm nur noch einen sanften Händedruck und schlüpfte dann hastig in da- nächste Gehöft hinein. Sin ganzer Trupp singender Bauerssöhne zog ein her und umringte Friedrich. „Ei, waSbistDu denn so allein?" redete einer von ihnen ihn an. „Lauf nicht so herum wie in der Irre, komm mit in die Schänke, wir wollen noch Gins singen und trinken!" „Laßt's heute genug sein!" sagte Friedrich, „ich muß morgen früh auf sein. Laßt mich, ich muß ordentlich auSschlafen!" Die Kameraden waren darüber unwillig. Ei nige lachten ihn ouS und verhöhnten ihn; Andere wollten ihn nicht aus ihrer Mitte lassen und redeten ihm immer noch zu, mitzugehen, während ein Paar halb mit Gewalt ihn mit sich fortzuziehen suchten. Wie seine ruhige Weigerung nichts gefruchtet hatte, ward er ärgerlich und rief trotzig: „Ich mag aber jetzt nicht mit Euch gehen; was habt Ihr davon, mich zu GtwaS zwingen zu wollen, wozu ich keine Lust habe?" „Nun, so lass' cs bleiben!" war die Antwort, und drohend fügte Einer hinzu: „Aber 's kann leicht kommen, daß wir ein andermal auch nicht werden mit Dir gehen mögen, wenn Du's gern hättest; da sich dann zu, wo Du Gesellschaft findest!" „Ja, das ist meine Sache! Ich lasse Jeden seine Wege gehen, man mag's mit mir auch so halten I" rief Friedrich gereizt. Aber noch trotziger versetzte Wilhelm, der schon vorher gesprochen: „Kann auch sein, daß Du auf Wegen gehst, die Niemand mit Dir gehen will." Friedrich ballte drohend die Faust — aber nur einen Augenblick, dann zog er sic wieder zurück, seine finster gewordene Stirn glättete sich, und er sagte ziemlich ruhig: „Gute Nacht!" Damit wandte er sich und ging. Wilhelm aber sagte zu den anderen Burschen: „Nun, das muß ick doch herauskriegen, was der noch vorhat. Was Gutes ist's nicht, ich lasse mein Leben!" „Ja, mir kam der Friedrich heute auch ganz anders vor!" „Er wollt' unS nur um jeden Preis loS sein — weiter war'S nichts!" „Weiter war'S nichtS! — Als ob daS nicht genug wäre! Er muß doch eine Ursache dazu haben!" So redeten die Burschen untereinander hin und her, indem sie zur Schänke gingen, während Wil helm nur langsam folgte und den Kopf immer halb zurückgekchrt Friedrich nachschaute. Dann wieder holte Wilhelm: „Ich will eS wohl herauskriegen, waS er noch vorhat! Geht nur immer in di« Schänke, ich kommt schon nach, aber erst wenn ich Euch eine Neuigkeit mitbringen kann!" Die An deren hatten NichtS dagegen eiuzuwendcn, und so, alS er sich überzeugt hatte, daß Friedrich ihn nicht mehr sehen konnte/ schlich er ihm leise und von Weitem nach, indem er oft still stand und allerlei Biegungen des Weges wahrnahm, um von dem, den er beobachten wollte, nicht entdeckt zu werden. In Friedrichs Herzen aber war nicht das ge- ringste Arg. Was sein Herz ausfüllte und zu be wegt machte, um jetzt mit den Kameraden ruhig sprechen und trinken zu können, war seit. .Lirbe. Hatte er doch eben die seligste Stunde seines Lebens verlebt, da er die Erwählte seines Herzens zum ersten Male geküßt und sie ihm gesagt hatte, wie lieb sie ihn habe. War ihm doch noch Alles wie ein Traum, daß er gar nicht wußte, wie es nur mög lich sei, daß sie wirklich sein werden wolle für das ganze Leben. Wie Alles so gekommen war und kommen konnte, darüber wollt' er noch allein für sich nachsinnen, und in diesem Sinnen nm Alles nicht von den plumpen Späßen oder den Alltags reden der Kameraden sich stören lassen, noch von irgend etwas in der Welt. Die erste Liebe ist so schüchtern, so verschämt, so heilig! Darum auch hatte unser Paar sich getrennt, wie es in die Nähe des Dorfs gekommen war. Es hätte um keinen Preis gewagt, so Hand in Hand von den Leuten Reißner Kalender G