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Die Mormonen. Die Mehrzahl unsrer Leser haben wobl schon von den hauptsächlich in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ihr Wesen treibenden Mormo nen gehört oder gelesen, ohne doch über diese reli giöse Sekte genauere Kenntniß zu haben. Die Ausbreitung, welche die Mormonen in wenigen Jahren gewonnen, der Reichthum und die Macht, die ihnen zu Gebote stehen, und die Elgcnthümlich- keiten ihrer religiösen und bürgerlichen Sitten ver dienen wohl,.ihnen einige Aufmerksamkeit zu widmen, namentlich jetzt, wo die Bundesregierung der Ber einigten Staaten einen förmlichen KriegSzug gegen sie unternommen hat, um sie wieder unter strenge Botmäßigkeit zu bringen, wenn nicht fie gänzlich zu vernichten, während dock in demselben Augen blicke hinsichtlich der leidigen Sklavenfrage der Grund satz der Emzslsouveränität bis auf die äußerste Spitze getrieben wird. Das Mormonenthum und dessen rascher Auf schwung ist «ine der merkwürdigsten Erscheinungen unsrer Zeit. An ihr kann man die tiefe sittliche Krankheit unsrer Zeit und Bildung erkennen. Wenn das Mormonenthum auch sein Entstehen und seinen Hauprsitz in Nordamerika hat, so ist eS doch nicht blos auf die sogenannte neue Welt beschränkt. Vor zugsweise aus der alten Welt, aus Schweden, Nor wegen, Dänemark, England, dec Schweiz u. s. w. rekrutirt eS sich, und in diesen Ländern wohnen Tausende von gläubigen Mormonen, und andere Taufende ziehen alljährlich hinüber in die „heilige Stadt" am Salzsee, tief im Nordivesien der Ver einigten Staaten. Fast ausschließlich sind diese An hänger der neuen Religion auS den niederen Klaffen hervorgeaangen, aber ist dies nicht immer bei allen neuen Religionen der Fall gewesen, und haben sie nicht darum dennoch ihre Siege gehabt? Es ist wahr, diese neue Religion beruht auf dem plumpsten, nachweisbarsten, handgreiflichsten Betrüge; aber gehen ihre Anhänger darum weniger freudig in« Märlyrthum? Haben sie darum weniger bereit- nach wenigen Jahren die großartigsten Fortschritte gemacht? ' Gerade die- ist baS Merkwürdigste dieser religiösen Erscheinung, daß die ganze gebildete Welt Zug für Zug in ihrer Ge schichte den Betrug Nachweisen kann, und daß man dennoch genöthigt ist zuzugestehen, daß sich in ihr dieselben Erscheinungen wiederfinden, welche alle großen und herrschend gewordenen Religionen bezeichnen: gewaltige, staunenerregende Entfaltung und Aus breitung nicht trotz, sondern gerade durch die Verfolgungen. MehimalS sind die Mormonen die Opfer der „Lynchjustiz" geworden, ihre Führer wurden ermor det, ihre Ansiedelungen zerstört, di« Tausende, äu^ denen sie bestanden, in die Wüste getrieben, in der sie massenweise umkamen, und so wenig haben diese Verfolgungen die Wurzeln ihrer Lebenskraft getrof fen, daß sie austs Neue und zu einer solchen Be deutung emporwuchsen, daß die Regierung eine« der mächtigsten Reiche der Welt Truppen gegen sie marschieren lassen zu müssen glaubt, welche bi« jetzt nickt« ausrichten konnten, so daß zuletzt förmliche Rüstungen wie gegen eine auswärtige Macht gegen fie veranlaßt wurden. Unser Staunen muß sich noch steigern, wenn wir die sittlichen Grundsätze in Erwägung ziehen, auf denen das so blühende mormonische Gemein, wesen ruht und die den schärfsten Widerspruch mit den Grundsätzen bilden, die zu allen Zeiten von den weisesten und frömmsten Männern der allen Welt brkannt worden sind. Die Mormonen gestatten nicht nur die Vielweiberei, sondern fie empfehlen sie al« förderlich zur Seligkeit. Sie weisen somit dem Weibe eine entschieden untergeordnete Stellung in der Gesellschaft an. Und dieser Rückfall auf einen längst überwundenen sittlichen Standpunkt hat ihrer Ausbreitung nicht nur nicht geschadet, sondern, wie e« scheint, wesentlich beigetragen, um dem neuen Glauben nicht nur Anhänger, soüdern auch und vor Allen Anhängerinnen zuzuführen. Eine so eigentbümlichc Erscheinung verdient wohl die allgemeinste Aufmerksamkeit. Und während die Entstehung und erste Ausbreitung neuer Reli gionen mehr oder weniger in Dunkel gehüllt er scheint, ist es möglich, dir Mermonenreligion von ihren ersten Anfängen an zu verfolgen. Der Stifter derselben ist Josef Smith aus Manchester im Staate Newpork. Sein» Familie war wegen ihre« unstäten, vagabundirenden Wesen« verrufen. Josef führte ganz besonders das Leben eine« Abenteurer«. Die seltsamen religiösen Er scheinungen und> Verzückungen, die in Nordamerika häufig zur Anschauung gebracht werden, scheinen ihn darauf geführt zu haben, daß hier eine vortreffliche Gelegenheit zur Ausbeulung gegeben sei. Er sprach von Erscheinungen, die er gehabt habe. Da« war um « Jahr 1823. Um dieselbe Zeit entführte er seine Frau und trieb Schatzgräberei. Er sprrngte au«, in seinem Besitze sei ein wunderbarer Stein, der ihm da« verborgen» Silber in der Erde anzeige. Wahrscheinlich sand ' dieses^ Gewerbe dadurch »in