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»en «vir dem Manne, der an einem freundlichen Herbsttage vor einigen und zwanzig Jahren um die Abenddämmerung langsam durch die schnurgerade Hauptmasse der stillen Lodteasiätte schritt, unwett der zierlichen Grabkapelle in eine Seitengasse einbog und endlich an einem Grabhügel stehen blieb, den ein einfaches Kreuz von Krottendorfer Marmor unter einer Thränenweidc kennzeichnete. Es war ein Mann von fast hohem Wuchs und aufrechter Haltung; seine Gesichtsbi-dung war «del, und seine Kleidung hätte man anständig nennen formen, wär« sie nicht allzu fadenscheinig gewesen. Er mochte in den Fünfzigen stehen, obschon die lie> fen Sorgenlinien seines Antlitzes und da- Grau des ursprünglich braunen Haupthaares ihm einen weit ältern Geburtsschein ausstillten. Seine Züge trugen nur zu deutlich den Ausdruck der Lebensmüdigkeit. Nachdem er die Inschrift des Kreuzes, die nur den Namen des Inhabers dieser dunkeln Behausung und den Spruch enthielt: „Selig sind die Tobten, dir in dem Herrn sterben!", nachdem er diese In schrift gelesen, setzte er sich auf den Hügel, zog sein Taschentuch heraus und weinte. „O, wer es auch so weit gebracht hatte!" seufzte er, „wer auch hier ruhete, frei von der Last und den Sorgen des Ledens! Du treuer, guter Freund — warum mußtest du gehen und mich hilflos zurücklassen!" Nach langem stillen Weinen fuhr er fort: „Ich bin es müde dieses Gehetztwerden von dem Wehr wolf der Noth, diesen Kampf um die Behauptung eine« leeren Daseins, dem alle Sterne, alle Ideale längst erloschen; müde diese Knechtschaft des Magens, dieses »lende Zerrbild eines Künstlerlebens, und möchte ruhen, schlafen wie du, alter Freund!" Wieder folgte eine Pause, dann fuhr er fort: „Und was hindert mich, die Rübe zu suchen? Was hindertmich, sie abzuwerfen, diese unerträgliche Bürde, dies« unwürdigen Fesseln? Der Hasen des Friedens und der Freiheit ist offen, warum zögere ich ein;»- laufen? Ist «S nicht immer mein Wunsch gewesen, hier zu sterben, hier zu schlafen? Kostet es mich denn mehr wie einen Sprung in das tiefe, rauschende Wasser da unten?" Und unter dem Einfluß alter Erinnerungen ver fiel er in den Monolog Hamlers: „Sein oder Nicht sein, da- ist hier die Frage." Aber was bei dem un glücklichen Dänenprinzen die angeborne Unentschlos senheit und Grübelei, daS bewirkte bei unserm Trau rigen der Gedanke an seine Liebe». „Nein! nein! es kann nicht sein!" rief er plötzlich, ,^s wäre «in Frevel! — mein Weid — meine armen -inder! »a- sollten sie ohne wich gn- fangen? Soll ich sie der Schande, dem Untergänge preiSgeben? Mein Selbstmord würde alle Achtung vernichten, die ich ihnen erworben; mit der Achtung schwände das Mittels; die Gläubiger würden auf treten, und Schulden und Kosten würden Alles ver schlingen, was wir nsch besitzen: Garderobe, Biblia, thek, Theater — Alles wäre dahin, und sie wäre» Bettler! Nein, ich muß leben — leben, v Gelt! — es hilft nichts, ich muß auf einen andern Aus weg denken. O daß der noch lebte, der hier schläft, dann wäre uns geholfen!" Er stützte seinen Kopf in die bleiche, magere Hand und sann. Wir lassen ihn sinnen und machen den Leser zuvörderst näher mit dem Schwergedrückten bekannt. Es war der Direktor der kleinen Schauspielectruppe, welche seit vier Wochen in Zschopau ihren Tkespis- karren aufgeschlagen hatte. Er hatte einst besser« Tage gesehen. Wahre Begeisterung für die Kunst batte ihn zum Tbeaier geführt, und ein erfolgreiche« Stre ben halte bald gezeigt, daß er nicht zu den zahlrei chen Ädxnteuccin gehörte, die ohne allen inner» Be ruf sich zu d eser Laufbahn drängen. Er gewann eine ehrenvolle Stellung an einer berühmten Hof bühne. Aber bald ward ihm dieselbe durch daS un selige Jntrigucnwcscn seiner Genossen verleidet» so sehr verleidet, daß er seine Stelle aufgab, und da er demselben Unwesen an jedem andern Theater wieder begegnet wäre, so zog er es vcr, selbst ein solche- zu gründen und es nach seinen redlichen Absichten zu leiten. Ein« junge Kunstgenossin, mit der er sich in Liebe verbunden, rheilte s«in« Ansicht, und so ward er Direktor einer Wanderbühne. Mit welchen Plä nen und Hoffnungen betrat er die neue Bahn! Sich »eise nur auf ein Gebiet beschränkend, das seinen Mttteln und Kräften angemessen war, wollte er doch der Kunst in Ehren dienen, meinte er sein kleines Theater zu einem Tempel des Schönen, zu einer Schule der Gesittung zu machen. Ach wie bald sollte er aus seinen Träumen erwachen! Wie bald mußte er erkennen, daß, wenn schon die großen Theater Augias ställe voll gemeiner Leidenschaften wären, die kleinen vollends allen idealen Gehalt entbehrten! Lange kämpfte er ritterlich mit den Verhältnissen, bis er als Vater einer zahlreichen Familie — denn seine Gattin kam au« einem Wochenbett inS andere — sich genölhigt sah, nur für die Existenz zu spielen und mit dem Strome zu schwimme». Seine ein« zige Sorg« war endlich nur, sich al« ehrlicher Mann durchzuschlagen. Sv hatte er nun viel» Jahre lang