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dem Schutte ihr Vieh und ihre Habseligkeiten zu retten. Der Gasthof lag als Ruine vor uns, denn alle steinernen Häuser waren thells eingestürzt, theils schwer beschädigt, die Kirche zusammengebrochen. Mitten in der jammernden Gemeinde stand jedoch der Pfarrer allein vcll Besinnung und Ruhe da, nach allen Seiten hin seinen Beichtkindern Hilfe, Rath und Trost spendend. Zwei schwer zum Tode Getrof fenen ertheilt« er die letzte Oelung. Gleich daraus sprach er auch uns Muth ein, gab uns in seinem Holzhaus« Obdach, damit wir die triefenden Kleider wechseln konnten, und reichte uns Brod und Wein, da nirgends etwa- zu haben war. Der Name die ses Mannes, der nicht blos die Pflichten seines Be rufes im vollsten Maße erfüllte, sondern auch in diesen Schreckensaugenblicken als wahrhaft großer Mensch sich offenbarte, verdient weit über die Gauen seines Vaterlandes' hinaus genannt zu werden: er heißt Joseph Tantignone und ist ein Mann von 34 bis 35 Jahren. Durch seine Fürsprache ent schlossen sich drei Männer, unser Gepäck tragend, unS nach Stalden zu begleiten, da vorauszusehen war, daß wegen des vielfach zerstörten Saumpfades zu Pferde nicht fortzukommen war. Noch gälte«, vier Stunden zu marschiren, aber die Gefahr verlieh unS Riesenkräfte. Bald hemmte unfern Weg ein zusam mengebrochenes Holzhaus, in welchem ein Mann aus Münster, Zuflucht suchend, schwer verwundet wor den war. Wir kletterten darüber, doch neue Hinder nisse kamen. Bald war die Erde zerklüftet, bald da- Erdreich von den Bergwänden abgerutscht, bald sperr« ten Bäunre den Weg. Endlich nach 7 Uhr Abends erreichten wir Stalden. Dieser Ort, auf Felsen ge baut und meist au- Holzhäusern bestehend, zeigte weniger di« Sparen der Zerstörung. Hier wellten uns die drei Männer von Et. Nikola- verlass n, um noch vor Einbruch der Nacht wieder nach Hause zu gelangen; doch guter Lohn brachte sie endlich zu dem Entschlüsse, uns bis Vwpach zu geleiten. Bereit brach die Nacht ein, und nachdem wir theils mit im merwährendem Regen, theils mit vielfachen Hinder nissen gekämpft hatten, kamen wir um 9 Uvr in Vispach an. Das Erste, was wir hier erblickten, war ein Lager, unter einer Gruppe von Nußbäumen aufgeschlagen. Die Einwohner fürchteten sich, in ihren Häusern zu bleiben, da sowohl die Hauplkirche wie der schöne Glcckenthurm zusammengestürzt wa ren, und hatten sich mit Weibern und Kindern hier her in« Freie geflüchtet. Das Gasthaus zur Sonne war ebenfalls zusammengestürzt; während zwei fremde Herren mit einer Dame zu Mittag speisten, brach der Dachstuhl ein, schlug zwei Stockwerke durch, nahm die Eßgesellschaft mit ins Erdgeschoß und »er- wundele sie schwer. In der Post fanden wir noch einen Kellner, der un« etwas Brod, Fleisch und Wein verabreichte, wodurch es uns möglich wurde, unsere äußerst ermatteten Kräfte etwa« zu heben. Endlich erhielten wir Extrapost und eilten nach Turt- mann im Rhonethale, wo wir Nachts 12 Uhr an kamen und uns der Ruhe überlassen konnten. Hier war die Erschütterung weniger stark gewesen. Die Erderschütterungen sind seitdem theil« siär« ker, theil« schwächer fast täglich bi« zum 20 August wiedergekehrl und haben da« herrliche Bieprhal zum großen Theil in furchtbare Trümmerhaufen um gewandelt. Die sechshundertjähcige Gedächtnißfeier der Stadt Zittau. (Mit Abbildung.) Obwohl die Stadt Zittau viel früher schon eristirte als im Jahre 1255, so fehlt es doch über die eigentliche Gründung derselben an zuverlässigen Nachrichten; man kann demnach das obengenannte Jahr 1255, in weichem der König Prjem.sl Otto kar ll. ihre Stadlmauern erweiterte und ihr wichtige Privilegien und größere Selbstständigkeit verlieb, al« das betrachten, von welchem an die eigentliche Blüthe und Bedeutung der Stadt sich herschreibt, und eS war also ganz zweckmäßig, die EcinnerungSfeier die sem Jahre anzupassen. Zwar war zu der am 19. und 20. Aug. 1855 festgesetzten Gedächtnißfeier dem Vernehmen nach von Seiten der Stadt Zittau nur die noch jetzt sächsischen Städte der Oberlausitz: Bautzen, Ka menz und Löbau eingeladen worden, dennoch nah men auch die beiden andern, seit 1815 unter preußische Landeshoheit gekommenen oberlaufitzer „Sechsstädle" Görlitz und Lauban au« freien Stücken an der Feier Theil und fanden in Aura» «ine un gemein gastfreie Aufnahme. Nachdem am iS. August zur Vorfeier des Fe. ste« Leben-mittel an di« Armen vertheilt, Abends 8 Uhr mit allen Glocken geläutet worden war und um 9 Uhr großer Zapfenstreich von dec Kommunal garde stattgefunden hatte, weckt« am Sonntag, den