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Das Erdbeben im Vispthale im Kanton Wallis. (Mit Abbildung.) Eine der großartigsten, an wundervollen Aus sichten reichen Gegenden dec Schweiz ist das Vispthal im Kanton Wallis. Vom Montblanc bis zum Simplon zieht sich längs der italienischen Grenze die höchste Kette der Alpen bin. Da, wo die Visp entspringt, laufen vom Matterhorn und Monte Rosa zwei Gebirgsketten nach Norden aus und bilden Anfangs einen Kessel, in welchem Zermatt liegt. Um diesen Kessel herum ragen das Mettel horn, Weißdorn, Breithvrn, Matterhorn, der Monte Rosa, die Mischabelhörner empor, lauter gewaltig« Bergriefen von 12,VON bis 14,000 Fuß Höhe, welche ihre Gletscherwäffer brausend der Visp zu- fübren. Unter Zermatt treten die Berge zusammen und bilden ein neun Stunden langes Thal, Anfangs mit Hochgebregscharaktec, später aber mehr südlicher Natur mir Weinbau und Nußbaumpflanzungen. Die se« Thal hat im Allgemeinen die Breite von einer viertel bi« einer halben Stunde, verengt sich aber pst bis auf einige hundert Schritte. In diesem wunderbar schönen und großartigen Thale fand am 25. Zuli 1855 ein furchtbares Erd beben statt, daS sich seitdem noch öfter wiederholt und unersetzliche Verluste an Wohnungen, Feldern und Wissen, ja selbst an Menschenleben herbeigeführt hat. Der berühmte Landschaftsmaler Robert Kummer ans Dresden befand sich gerade zur Zeit des Erdbeben« im Vispthale und hat bald darauf in der „Jllustrirten Zeitung" einige Zeichnungen nebst Beschreibung diese« furchtbaren Naturereignisses geliefert. Die Abbildung, die wir unseren Lesern bie ten, ist einer der Kummer'schen Zeichnungen nachge bildet, und auch in gegenwärtiger Beschreibung hist- tcn wir uns meist an das Kummcr'schc Original; in beiden Beziehungen könnten wir keinen bessern Führer finden al§ unser» berühmten Landsmann. Mittwoch, den 25. Juli, ftfth halb 10 Mr — erzählt Kummer — verließen wir Zermatt bei trü bem Himmel, jedoch in der Hoffnung, daß es Heller werden würde. Allein es begann zu regnen, und bald goß es in Strömen vom Himmel herab. Die Wolken lagerten sich ganz tief in den engen Schluchten, und eine unheimliche Schwüle erschwerte uns den Marsch. Durchnäßt erreichten wir Täsch, eilten aber, aus dem beengenhen Thalkesscl zu kom men, weil wir da« Anschwellen der wilden, aus allen Schluchten hervorstürzenden Gebirgsbäche fürchteten. Wir erreichten um 12 Uhr Rand«, aber auch hier wurde nicht gerastet, sondern wir wanderten weiter. Etwa drei viertel 1 Uhr waren mir noch 15 Mi nuten von Herbrigen entfernt, als wir über eine Wiese schreitend plötzlich ein fürchterliches dumpfes Rollen hörten. Auf einmal schwankte die Erde un- ter uns, und eine kaum eine Elle hohe Einfassung von Steinen an einer Wiese stürzte ein und rollte uns in den Weg. Wir vermochten uns kaum auf den Füßen zu erhalten. Die Schwankungen moch- ten 6 bis 8 Sekunden gedauert haben, und noch konnte ich nicht zur Fassung kommen, da meine Frau mir laut schreiend in di« Arme gestürzt war, aiS plötzlich ein tausendfältiges Donnern rings auf den mit Wolken bedeckten Felswänden begann. Wir hörten, wie unseren Augen noch verborgen Felsbrocken und Stein« ohne Zahl in die Tiefe rollten. Wohin sollten wir uns wenden? Sollten wir fliehen, soll- ten wir stehen bleiben? Konnten wir nicht jeden Augenblick von den herabstürzendcn Felsblöckcn zer schmettert werden? Plötzlich wurde eS in dem nahen Walde uns gegenüber lebendig; die stärksten Lärchen bäume und Fichten wurden niedergebogen und zer schmettert, denn riesige Fclsblöcke brachen durch die Waldung, Alles vor sich niedcrmäheod. So standen wir mitten in diesem fürchterlichen Toben der unS umgebenden Natur völlig rathlos und konnten nicht« anderes thun, als uns dem Schutze Gottes empfch. len. Doch allmälich wurde eS stiller, nur in den höheren Schluchten vernahmen wir noch einzelnes Getös«, bjs auch hier die fallenden Steine ihre Ruhe plätze gefunden hatten. Da kehrte endlich auch in unsere Seele Besinnung, Ruhe und Hoffnung wie der zurück. Wir eilten nun nach Kräften, um in die Nähe der Menschen zu kommen, die, obwohl selbst schwach und elend wie wir, unS dennoch ein Trost waren. Kaum zwei Minuten von unserm Standort« entfernt, hatte «in furchtbarer Fels den Weg zerschmettert, und wir kletterten mit Mühe darüber hinweg , während tief unter uns die Visp brauste. Nach etwa zehn Minuten trafen wir eine Frau mit einem Kinde, welche von Herbrigen ge flohen war. Die rief: Jesus, die Kirche ist zusam mengestürzt!" Auch hier war keine Raft, und wir eilten nach dem riye Stunde entfernten St. Niko las, vielleicht daß wir uns hier erholen könnten. Allein hier erwartete uns das schrecklichste Schauspiel. Die Straße war durch Gemäuer und Balken ge sperrt, die wehklagenden Einwohner suchten unter S*