Volltext Seite (XML)
Der Böhrnerwald. Wer hat nicht schon vom Böhm er Walde gehört und gelesen? Die Mehrzahl der „schönen Räuber- und Rittcrgeschichtcn", wie sie jede Leih bibliothek in Masse führt, spielt im Böhmerwalde. Aber die Mehrzahl der entzückten und durchschauer ten Leser und Leserinnen weiß nicht recht, was sie sich unter dem Böhmerwalde denken soll. Einen großen Wald in Böhmen jedenfalls? Ja, aber Böhmen ist groß und hat viele Wälder. Der Böhrnerwald erstreckt sich von den Gren zen des Voigtlandes bis nach Oberöstcrreich hinab, von Nordwest gegen Südost und bildet die natür liche Grenze zwischen Böhmen und Baiern. Gegen 30 Meilen lang dehnt sich das dunkle Waldgebirge hin, das die Czechcn Ceskyles und Sumava nennen. Vom Fichtelgebirge aus gegen SüLost steigt der Gcbirgswall höher und höher an, im Arber und Rachel bis zu 4600 Fuß, breitet sich da, wo die Duellen der Moldau zusammcnfließen, mehr und mehr aus und bildet mächtige Gcbirgsstöcke, die weit nach Böhmen hinein und Baiern ihre Aus läufer senden. Vom Kubani (4200 Fuß) und Plökenstcin (4300 Fuß) fällt Las Gebirge wie der allmälich ab und verläuft bei Friedberg und HohensUlt, La wo di, Mal'.-. TrnfelSmauer durchbricht, in einzelnen Berg gruppen mit dem Man h artsb erg und mit dem böhmisch-mährischert Grenzgcbirge. Eine tiefe Ein buchtung trennt die nördliche Hälfte des Waldge birges von der viel ausgedehnteren südlichen. - Der nördliche Gebirgszug, der sich kaum bis 3000 Fuß erhebt, liegt den böhmischen Bädern Marienbad und Franzensbad nahe- das südliche Hauptgc- birge dagegen mit seinen gewaltigen Hochgipfeln ist nur in blauer Ferne von der Basaltkuppe des Pod- horn bei Marienbad zu erkennen. Aber gerade dieser Thcil ist der schönste und interessanteste. Hier ist noch bis in unsere Tage ein Stück von dem alten Deutschland erhalten, wie es Tacitus schil dert. Alles ist Wald, Moor und Fels, kaum da und dort eine armselige Holzhackcrkolonie oder ein einzeln stehendes Forsthaus. Hier ist „och wirklicher Urwald, in großen Ausdehnungen noch unberührt von des Menschen Hand, Urbildungcn der Schöpfung, wildschön, großartig, stauncnerregcnd, worin die Natur seit Jahrhunderten ungestört waltend die riesenhaftesten Holzkörper bildet und selbst wieder zerstört. Wer hierher kommt, kann sehen, waS ein Wald ist, was dagegen eine — Baumpflanzu n g. Mir ward der erste große Eindruck einer Böh merwald-Landschaft, als ich an einem Maiabende von Unterwuldau aus zur Schloßruine Wit-, ting Hausen hissaufsticg. Man fkin vbtecht geben, daß man nicht zu weit hinäuSkkM tzbek"VKe betretenen Pfad, sonst versinkt'man lch"deki"tief- schwarzcn Moorgründen, dem dunkeln Todkistbekke tausendjähriger Vegetation. Nie genoß ich eine» Waldspaziergang so voll. Es war nach einem Ge» Witter; alle Bäume dufteten, ein Wohlgeruch überall) eine Stille von allem menschlichen Treiben und Wsk sen, nur das Rauschen frischer Waldwasser hörtk i man oder den eintönigen Nothschrei des Rehbocks - oder die schrillenden Töne einer Waldschnepfe.-WH waren im „Brandl wald", einem Hochwald VVB Fichten und Tannen mit dunklem Schwarzgrük- , untermischt mit dem jungen Grün der Buchen und A' des Ahorn. Aber wie staunte ich, als meiu-Führe» mich vor den Niescnstumpf einer. und mir den Stamm zeigte, wie er dalag^WM chatte ein Baum gestanden, mit seinen Aesten und Zwei gen ein ganzer Wald im Walde, mit seiner Krone ein Wald über dem Walde! Der Sturmwind hatte den 500jährigen Riesen hingcworfcn. Schwärzer haben den hohlen Stumpf angezüudct, aber noch jetzt starren die schwarzen, verkohlten Reste ehrfurcht gebietend in die Höhe. Ich maß den Durchmesser Umkang zu 30 Wiener Fuß. Dann erkletterte ich den Lalie- gcnden Stamm, ging darauf hin und zählte 72 Schritte. Aber die Krone, die schon früher vom Winde abgerissen sein mag, fehlte noch. Rechnet man diese und den stehenden Rumpf hinzu, so be kommt man eine Gcsammthöhe von 250 Fuß. Das glaubt freilich nur, wer cs selbst gesehen, es ist wohl die größte in Deutschland bekannte Tanne. Und dieser daliegende Stamm wird zu 30 Klafter 30- zölligen Brennholzes geschätzt; er vermodert und verfault, weil keine Säge groß genug ist, dem Rie sen den Leib zu zerschneiden. Rings um den todten Baumkoloß stehen aber noch eine Menge ebenbür tiger Schwestern in frischem Grün, und des andern Tages maß ick unweit davon einen Umfang von 20^ Fuß in Brusthöhe, und der begleitende Förster "gab mir die gemessene Höhe des noch stehenden Stammes zu 188 Fuß an. Und dazu die Krone, die abgerissen an einer Stelle, wo der Stamm noch 16 Zoll Durchmesser hat! Von derSchloßruine Mitlinghausen hat man bei Hellem Wetter die großartigste Fernsicht ins Land jenscit der Donau bis zu den norischen Alpen. Die Urwälder sind sich hier überall ziemlich gleich: wilder an den Gehängen der Berge, wenn zu dem Gewirr der Vegetation noch datz Gewirr der Felsmassen sich gesellt, und die Waldbäche