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z» nehme«. — Cs wurde ein Pferd herkeigebracht; ei« Offizier setzte sich auf und jagte davon. DieTodesangst aber, welche die Harrenden eine so lange Zeit erleiden muß ten, male sich Jeder selbst aus. Früh gegen 7 Uhr etwa waren sie auf den Platz getrieben worden, der vis zum heu tigen Lage davon der „Angstplatz" heißt, und vor 11 Uhr Mittags konnte der Adjutant nicht zurückkommen. In einer kleinen Schrift, die Großmann über diesen Vorfall herausgegeben, heißt cs: „Indessen wurden von Zeit zu Zeit immer noch Manner und Weiber, die sich bis dahin ver borgen gehalten hatten, zu den Uebrigen hinausgetriebcn. Einer war in diesem, der Andere in jenem Winkel entdeckt worden; Manchen hatte man aus Heu und Stroh und Ge- treioe durch fühlende Degcnspitzen aufgeschreckt, Manchen ans dem Backofen hervorgezogcn. Aber in demselben Ver hältnisse, wie die Menge der Gefangenen zunahm, wurde auch die allgemeine Erwartung gespannter. Der Komman dant selber wußte nicht, was die Oberen beschließen würden. Bald wurde gefürchtet, bald gehofft, wieder gehofft und wieder gefürchtet. Kleine Kinder weinten und jammerten nach Brod; ein Greis von 80 Jahren lehnte auf seinen Stab gestützt an einer Hecke und schien allmälich zu erstar ren; die Frauen, meist nur leicht und nur halb bekleidet, weinten laut, und selbst kräftige Männer zitterten, denn es wehte ein kalter Wind und starker Reif bedeckte den Boden." Endlich sah man den abgesandten mit so großer Angst und so großer Hoffnung erwarteten Offizier in gestrecktem Galopp querfeldein daherkommen. Brachte er Tod oder Ret tung?— Er sprang vom Pferde; die anderen Offiziere stell ten sich im Kreise um ihn her. Und die Antwort des Mar schalls Davoust? Sie lautete kurz und barsch: „Der Befehl ist sofort zu vollziehen!" Die Unglücklichen von Prießnitz wurden durch den Befehl kaum schwerer niedergedrückt als der Kommandant Guigner. Er befand sich in der peinlichsten Lage, da er sich zur Vollstreckung des Befehles nicht entschließen konnte und doch auch nicht offen ungehorsam sein wollte. Da kam der Kapitain Govean auf den guten Gedanken, seinem Kommandanten zu sagen, er möge abmarschicren und ihm, dem Kapitain, die Aus führung des Befehles überlassen, denn er mit seiner Kom pagnie werde bleiben. Der Kommandant Guigner de Revel trat auch wirklich sofort den Rückmarsch an, und nur Kapitain Go - väan blieb mit seinen Grenadieren zurück. Dieser ließ als bald die Trommel rühren und schickte einige seiner Leute mit hochauflodcrnden Strohbunden, die an den Feuern um her angezündet worden waren, nach dem Dorfe ab, um an der Seite, wo der Wind am Wenigsten Schaden thun konnte, einige Häuser und Scheunen in Brand stecken zu lassen. Die Flammen schlugen auch sogleich an den stroh gedeckten Gebäuden empor. Während dies gejchah und die so lange und so qualvoll geängstigten Einwohner weinend, händeringend und betend ihr Eigenthum vernichten sahen, rückten Govean's Grenadiere aufKommando raschen Schrit tes gegen die dichtgedrängten Haufen an, so daß Keiner mehr zweifelte, daß sie nun Alle niedergeschossen werden sollten, indeß das Feuer ihre Häuser verzehrte. GovSan aber wollte durch dieses Anrücken die Leute nur forttreiben, zur Flucht zwingen, worauf er seinen Leuten befahl,.einige junge Bursche zu fangen und festzuhalten. Sobald die Un glücklichen merkten, daß sie fliehen dürften, liefen Alle, die nicht mit Gewalt zurückgehalten wurden, athemlsS hinaus rn's freie Feld, ohne sich umzusehen. Sieben junge Burschen allein waren gefangen genommen worden, und sie wurden zurückgetriMn auf den früher» Platz, den Angstplatz. Was in ihrem Innern vorging, kann keine Beschreibung darstel len, keine Sprache aussprechen, keine menschliche Vorstellung fassen. Sie fielen in heißer Todesangst zur Erde nieder; Einer umfaßte mit flehender Geberde die Kniee des Kapitains. Dieser machte sich los von dem ihn Haltenden, trat zwischen die sieben unglücklichen Burschen und feine Grenadiere, ließ laden und ««schlagen. Schossen die Grenadiere so, wie ihr Kapitain erwartete, so war Alles gut; schossen sic anders, nun so erschossen sie ihren Kapitain mit den Unglücklichen, vor denen er stand, und die er zu retten suchte; die Sub ordination aber, der Stolz der Armee, blieb jedenfalls unverletzt. Und nun mit einer Bewegung des Säbels kom- mandirte er: „Feuer!" Die Grenadiere schossen über ihren Kapitain, wie er es erwartet hatte, und über die hinter ihm Knieenden hin weg. Niemand wurde verletzt. Unmittelbar nach der Salve, und ehe noch der Pulverdampf sich verzogen hatte, komman- dirte Govsan rasch: „Rechts um kehrr!" führre, ohne sich aufzuhalten, seine Kompagnie nach Naumburg zurück und meldete dort ordnungsmäßig: „der Befehl ist vollzogen." Die unglücklichen Sieben, die den Tod so nahe an sich gesehen hatten, wußten nicht, wie ihnen geschehen war, da keine der Kugeln sie getroffen hatte, die Franzosen aber sich entfernten. Lange vermochten sie nicht zu fliehen, kaum aufzustehen und zu gehen. Langsam gelangten sie an einen großen wilden Birnbaum, unter dem ein wildverwachsener Dornbusch stand. Unter diesem Baume fand endlich Einer der Geretteten, der Sohn des Schulmeisters, Worte. „Laßt uns niedersallcn", sagte er zu den Anderen, „und ein an dächtiges Vaterunser beten dafür, daß der liebe Gott uns errettet hat." Und die sieben jungen Burschen knieten neben einander nieder und beteten, während hinter ihnen die Flam men im Dorft prasselten, die jedoch auch bald gelöscht wurden. Auf dem Angstplatze wurde später ein einfaches Denk mal errichtet, und alljährlich am 16. Oktober erinnert eine prunklose Feier an , jene Rettung, ohne daß man bisher mit Bestimmtheit wußte, wem außer Großmann man dieselbe eigentlich verdanke, und warum sie erfolgte. Als aber am 16. Oktober 1856 diese Feier zum funfzigstcnmale wiedcr- gckchrt und festlicher als bisher begangen worden war, er zählten auch die Zeitungen davon. Ein alter pensionirter französischer Oberst in Lyon las das in der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Es war der ehemalige Kapitain Go- vsan. Alte Erinnerungen tauchten in ihm auf; er zog durch ein Lyoner Handelshaus, das Mit Leipzig in Ver bindung stand, Erkundigungen ein und schrieb dann einen langen, herzlichen Brief an unfern Großmann, ihm die Ein- zelnheiten des Vorganges mittheilend. Am 6. April 1857 antwortete Großmann dem braven Oberst Goväan, und dieser Brief ist der letzte gewesen, den Großmann geschrieben hat. — Der Herzog von Äoburg-Gotha belohnte nun noch nachträglich GoveanS edle Handlungs weise durch einen Orden. — Zwei Jahre nach dem eben erzählten Vorgänge, im I. 1808, wurde Großmann Pfarrsubstitut seines Vaters und drei Jahre später Pfarrer in Gröbitz bei Weißenfels. In diesem Amte, blieb er 11 Jahre bis 1822. Dann nahm sein Leben eine andere Richtung, die ihn immer höher und höher hinaufführte: er wurde als Professor und Diakonus