Volltext Seite (XML)
Dritte Anlage zu Ar. 111 des sächsischen Lrzähters. Bischofswerda, de« 24. September 1V04. Der Erbe Plehwes. Nach langem Zögern hat sich endlich Kaiser Nikoiaus dazu entschlossen, dem von einem poli tischen Fanatiker ermordeten russischen Minister des Inneren, Plehwe, einen Nachfolger zu geben, indem er, wie bekannt, den bisherigen Gouverneur von Wilna, Fürsten Swjatopolk-Mirski, zum neuen Minister des Inneren ernannt hat. Nach allem, was man über die Persönlichkeit und die seitherige Amtstätigkeit des Fürsten Swjatopolk-Mirski ge hört, kann man wohl sagen, daß der, Zar bei der Berufung desselben auf den wichtigsten Minister posten Rußlands eine glückliche Hand bekundet hat, so daß möglicherweise von diesem Ereignisse der Beginn einer anderen, besseren Zeit in den inneren Zuständen des Zarenreiches datiert. Sicher lich ist noch lange nicht an einen völligen System wechsel in der inneren Verwaltung Rußlands zu denken, und auch Fürst Swjatopolk-Mirski wird nicht der vielversprechende Reformator sein, als welchen man ihn hie und da in Westeuropa be grüßen möchte. Aber andererseits ist es doch nicht unwahrscheinlich, daß die unerhörte Politik weitgehendster polizeilicher Willkür, brutalster Gewalt und rücksichtslosesten Verhaltens gegenüber dem Einzelnen wie der breiten N asse mit dem furchtbaren Tode Plehwes ein Ende gefunden hat und daß nunmehr ein etwas milderes und zugleich aufgeklärteres Regiment in Rußland unter dem Nachfolger Plehwes anhebt. Fürst Swjatopolk- Mirski hat im Gouvernement Wilna, welches der Schauplatz wilder Exzesse war, die Ordnung ohne Anwendung besonderer Gewaltmaßregeln wieder hergestellt und sich das Vertrauen der Bevölkerung in nicht unerheblichem Grade erworben, so daß wohl auch seiner Amtsführung als Minister des Inneren mit einiger Zuversicht entgegengesehen werden darf. Der neue Minister wird als offener ehrlicher Charakter geschildert, und gerade dieser Zug wird mit sichtlicher Befriedigung gerade da konstatiert, wo man die innere Verlegenheit des Plehwe'schen Systems aus nächster Nähe beobachtet hat und ihre Früchte heranreifen sehen konnte. Der Um stand, daß in den sechs Wochen, welche seit der Ermordung Plehwes vergangen sind, zum mindesten 12 Namen als Kandidaten für das Portefeuille des Ministers des Inneren genannt worden sind, zeigt, wie schwer die Entscheidung der maßgebenden Faktoren geworden ist, und wie verschiedener An sicht man selbst in den unterrichteten Kreisen über den Ausgang des tollen Jntriguenspieles war, das sofort nach dem eintreten der Vakanz ein gesetzt hatte. Nun ist der Gouverneur von Wilna Plehwes Erbe geworden Das russische Volk erhofft von ihm keine rettende Tat, keine jähe Befreiung von dem lastenden Druck, aber es er wartet, und mit ihm hofft es das Rußland freund liche Europa, daß Gerechtigkeit, eine gewisse weise Toleranz und ein humanes Empfinden einziehen werden in den stolzen Palast, in dem die Fäden der russischen Verwaltung zusammenlausen, in dem über das Schicksal von Millionen und Abermillionen treuer Untertanen des Zaren entschieden wird. Mit einem Hoch auf den Zaren ist die tapfere Mannschaft so manches guten Schiffes in den Tod gegangen, opferfreudige Begeisterung hat den Russen bis heute Port Arthur erhalten, und zähe Treue hat verhindert, daß Liaujang zum Sedan der Mandschurei-Armee wurde. Das Volk, das solche Söhne geboren hat, ist zu gut für die Knute einer machttrunkenen Bureaukratie, das scheint man auch in Petersburg allmählich zu begreifen, man beginnt einzusehen, daß solch heldenmütig erfüllte Pflicht auch Rechte bedingt, die sich nicht ungestraft mißachten lassen. Möge Swjatopolk - Mirskis Amtszeit einen Uebergang bilden von den grau samen Mitteln der Plehwe, Ssipjagin und Bobrikow zu einer Aera des Verstehens zwischen Herrscher und Beherrschten in Rußland! Sachsen. Bischofswerda, am 23. September 1S04. uo. Zum 23. September. Heut« mittag um 12 Uhr hielt der Herbst seinen Einzug, die Sonne trat in das Zeichen der Wage und «acht Tag und Nacht gleich. Dir schönste Zeit des Jahres liegt damit hinter uns, wenn auch noch schöne Tag« erscheinen; dir welkrn Blätter fallen, dir Blume» verblöhu, di, lange» Sbrade machen flch schon sehr bemerkbar, Nebelschetae «egen öfters schon aus Wald »ad Feld und der Mch beaiunt di» Menschen rauher auzublasra. Die letzten Mücken spielen, daS Gewürm verkriecht sich und rin Teil der munteren Bügel ist bereit» der lebenspendenden Sonne nachgezogen. Sie haben freilich dir Geschwindigkeit, dem rauhen Winter, der bereits mißmutig im Hintergründe lagert, zu entfliehen. Wir Menschen sind an den Ort gebunden und müssen hier aushaltrn. Seien wir klug und bereiten wir unS nach besten Kräften auf die Ankunft der rauhen Tage vor. — Der zweite Termin der Brandkasse, sowie der Einkommen- und ErgänzungSsteurr und der Stadtanlagen ist am 30. September brzw. 1. Oktober zu entrichten. Für diejenigen, welche dem Termingrdrängr au- dem Wege gehen, aber auch die Zahlungsfrist nicht überschreiten möchten, ist jetzt Zeit zum Zahlen. uo — Hoch lebe der Reservemann! Erst haben sie gezahlt — noch 30 Tage, 29, 28, 27, und je kleiner die Zahl wurde, um so höher stieg dir Freude, um so trauriger wurde Rieke und Tuste, die ihren Musketier nun täglich mehr liebten, wo der Abschied immer näher kam. „Ach wie ist» möglich dann, daß ich Dich lassen kann-, summten sie durch ihre Küchen und ließen sich in ihrem LiebrSschmrrz nicht durch verbrannte Braten und versalzene Saucen stören. Ach — eS war möglich! Die bunten Jungen zogen ins Feld, ins Manöver, in die Quartiere, in die Biwaks, und ihrer Köchinnen LiebeSschmerz stillte nur ab und zu eine Ansichtspostkarte. Und nun ist auch das vorbei. Sie sind zurückgekehrt in die Gar nison, zurückgekrhrt in die Arme der treuen Gustr. Nun galt es den letzten, den aller letzten Abschied! Reserve hat Ruh! Mit aufgrrolltrn Achselklappen, die Mütze keck aufs Ohr gedrückt, den Schnurrbart kühn in dir Höhe gezwirbelt, schwärmen sie noch durch dir Straßen, da- Spazirrstöckchrn mit der Bommrlquaste unter« Arm. Prost! Das ist die Parole, und ohne seine Parole abzugeben, geht kein Resrrvrmann unter die Zivilisten. Warum auch? Die Braven haben ihr KommtSbrot und ihren Untrrosfizirr „hinter sich-, das arbeitsreiche Leben des aus sich selbst gestellten Mannes erwartet sie — warum sollten sie nicht mit kräftigem AbschirdStrunk von der Stätte, wo sie ihre- Königs Rock mit Ehren trugen, Abschied nehmen? „Sie ziehen hin und kehren niemals wieder,- und Rieke und Guste weinen Tränenbächr. Reserve hat Ruh und ging fort, der Ersatz kommt. Bald werden dir Kasernen neue Bewohner haben, und Ricke und Guste ihren neuen Schatz. Dann ist auch der Abschied, der jetzt so schwer fällt, verschmerzt. — Die Einführung von Nachbarorts- Telegrammen zu ermäßigten Gebühren wie bei Stadttrlegrammrn soll nach einer Eingabe der Kölner Handelskammer an das Reichspostamt in Erwägung gezogen werden, damit im Verkehr der jenigen Nachbarorte, aus welche der Geltungsbereich der OrtStoxe für Postsendungen ausgedehnt worden ist, auch die ermäßigten Gebühren sür Stadt telegramme Anwendung finden. Begründet ist die Eingabe mit dem Hinweise, daß außer den Post sendungen auch die Srbührentoxe im Fernsprech wesen für den Nachbarortsverkehr ermäßigt worden ist, und nur im telegraphischen Verkehr find die Nachbarorte von der Vergünstigung ermäßigter Gebühren ausgeschlossen. — Der Kartosselmarkt entbehrt, wie Zuschriften an da» Organ de» Bundes der Land wirte erkennen lassen, in hohem Maße der Einheit lichkeit. Es gewinnt den Anschein, daß die Preis bildung der natürlichen Bedingungen entbehrt. Die mftgeteilten Preise schwanken für Fabrik kartoffrln zwischen 2 ML und 2,60 Mk. für den Zentner, sür Eßkartoffeln zwischen 2,60 und 5 Mk. f — Der Protektor der Jubiläums-Obst- Ausstellung de» Bezirks-Obstbauveretns „Ober- Elbtal-, Se. König!. Hoheit Kronprinz Friedrich August, hat für dieselbe einen prachtvollen Ehren preis auf die Ausgabe 1 de» Programms (sür 21 Sorten Aepsrl von Hoch- und Halbstämmen aus de« Normalsorttment des Vereins) gestiftet. Es ist deshalb onzunehmrn, daß derselbe viel um worben und dies« Ausgabe von vielen Obstzüchtern beschickt werden wird. — Außerdem hat Se. Kgl. Hoheit huldvollst «u «usstcht gestellt, der sein- lichen Eröffnung am 30. September mittags 12 Uhr persönlich brizuwohneo. *— Mr die Lose der L Sächs. Pferde- zücht-Lotterte, welche vor Kurzem zur Sus- gab« gelangte», «acht sich schon jetzt eine rege Nachfrage geltend. Diese gern gekaufte» Lose, ü 1 Mark, stad bekanntlich immer lang« vor dm» festgesetzten Ztehrmgstenaia »«griff«». Betreffs Bezug» derartiger Lose verweisen wir aus da» heutige Inserat. — Sächsischer Temetndetag. Am Mitt woch fand in Dresden eine Sitzung vrs Vor stände» de» sächsischen GemeindrtageS unter Leitung des Herrn Oberbürgermeister» Geheimen FtnanzratS a. D. Beutler statt, in welcher über die Stellung de» GrmetndetageS zu der von der Regierung be absichtigten Vrmetndestruerreform beraten wurde. Man beschloß, in der Zeit vom 23. bi» 23. Februar nächsten Jahre» einen ordentlichen Gemrtndetag nach Dresden rtnzubrrusrn, der sich lediglich mit dieser Resormkage beschäftigen wird. Es sollen frch» Referate und die gleiche Anzahl Korreferate über die Regierungsvorlage und die dazu von der Zweiten Ständrkammrr gegebenen Leitsätze und einzelne besondere Steurrsrogrn an den Grmeindetag erstattet werden. Urber diese Rrsrrate wird, sobald sie im Entwürfe vorliegen, etwa Mitte Januar nächsten Jahre» der Vorstand und die Herren Berichterstatter endgültig Beschluß sassen. — Der deutsche Lehrerveretn ist eine der größten einheitlichen Berufsorganisationen, die Deutschland kennt; er umfaßt jetzt 87 bis 88 aller deutschen Lehrer. Die Mitgltederzahl ist im letzten Jahre durch Anschluß der bairischen und der Mecklenburg - schwertnschen Lehrerverrtne von 85000 auf 150000 emporgestiegen. Nur noch eine Anzahl älterer mecklenburgischer Lehrer steht ihm fern. Wenn der in letzter Zett begonnene Anschluß der rrtchSländischen Lehrrrvereinigungen an den Gesamtvrrband sich ganz vollzogen haben wird, hat die deutsche Lehrerschaft jene Einigung erreicht, noch der sie seit 33 Jahren strebt. Kirschau, 20. Septbr. Im Crostauer Walde gelang r» Herrn Gewetndevorstand Krenz von hier, zwei Männer und eine Frauensperson zu verhaften, die in der Kleiderfabrtt von Her mann Paul in Schirgiswalde einen Posten Hosen in der Nacht zum Dienstag voriger Woche ent wendet und das Diebesgut im Walde versteckt hatten. Bautzen. Auf Anordnung des königl. Be- zilkSarzte» vr. Streit, Bautzen, ist der Unterricht in der Schule z« Muschelwitz wegen starken Auf treten» der DtphtheritiS bi» aus weitere» geschlossen worden. Neusalza, 20. Septbr. Ein schwere» Automobil.Unglück hat unsere engere Heimat betroffen. Der frühere Konditor und Mehl großhändler Bieber au» Löbau kam gestern abend mit seinem Automobil durch Neusalza. Er fuhr über den Markt hinweg in mäßigem Tempo und bog dann in dir Straße rin, in welcher sich in einem der ersten Häuser die Hün- lich'sche Bäckerei befindet. Zu dem Bäckerladen führen einige Stufen empor. SuS noch nicht ein gesehenem Grunde fuhr B., der allein im Wagen saß, mit voller Wucht gegen diese Steinstufen. Der Wagen würde total zertrümmert und B. mit dem Kopfe gegen die HauSwand geschleudert. E» war 5 Uhr 15 Min., al» man den noch schwach röchelnden Mann in die Bäckerwohnung trug. Ein sofort hinzugerufener Arzt mußte den Zustand de» Verwundeten sür hoffnungslos erklären. Kurze Zeit darauf starb B., ohne da» Bewußtsein wieder erlangt zu haben. Seußerltch hatte v. wett« nicht» als eine schwere Kopfwunde. (Nach einer anderen Meldung sollen schwere innere Verletzungen die Todesursache gewesen sein.) Augenzeugen, die Bieber in seinem Wagen über den Markt kommen sahen, behaupten, er habe schon schief gesessen und den Eindruck gemacht, al» ob er mit einer Ohn macht kämpfe. Sie glauben, der Fahrer sei von einem Herzschläge bettoffen worden und das führerlose Auto sei dann bei der nächsten Gelegen heit ougerannt. Ein anderer Augenzeuge emärt dies für unrichtig und behauptet, B. habe sich, während er üb« den Markt fuhr, zur beite heruntergebeugt, um die herabgerutschte Schutzdecke wird« hlnoufzuziehen. Dabet hab« er «in« falsche Bewegung am Steuerrad gemacht «ad set enge- fahre». D« Wagen war «tue einzylindrige Maschine französischen Fabrikats mit 10 Pferde- kräften »ad za. 45 Kilometer Höchstgeschwindigkeit. Zittau, 21. Septbr. In Drutsch-Südwrst- Afrtka ist der Sohn de» Gutsbesitzers Förster ft» beaachbarttu Mittelherwigsdorf, der Reiter Förster,«« 18. September ta» Lazarett ft» Okahaudja am Typhus gestorben. Der 22jährsße junge «an», der vorher bet dm Garde d« Corps- Regiment diente, hatte mehr«, Gefecht« g««, hs« Hereros mtrgemacht.