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Zweite Meitage zu Ar. 111 des sächsischen Lrzähters. Bischofswerda, den 24. September 1V04. Vermischtes. — Al« eine Menschenquälrrrt Hot rs drr Kaisrr bezeichnet, daß ein Lehrer 58 Schüler unterrichten muß. Gelegentlich seiner Anwesenheit in Cadinrn tegob sich drr Kaisrr in Begleitung de« LandratS von Etzdorf in die Lrhrerwohnung, wo er sich einige Zeit mit drr Frau des Lehrers unterhielt. Hierbei erkundigte sich der Kaisrr nach der Schülerzahl, und als ihm dir Auskunst wurde, daß 58 Schüler zu unterrichten seien, äußerte brr Monarch sich dahin, doß der Lehrer bet solcher Schülerzahl vermutlich viele Scherereien habe. AIS drr Landrat von Etzdorf daraus auf- merksam wachte, daß bet Erreichung einer Schüler« zahl von 70 Köpfen seiner Meinung nach ein zweiter Lehrer angrstellt werden müßte, meinte der Monarch, doß eS wohl eine Menscherquälerri sein müßte, eine so hohe Schülrrzahl zu unterrichten. — Graf Ttrle«Winckler, einer der reichsten Männer in Deutschland, Mitglied des preußischen Herrenhauses und Jagdtrrund des Kaisers, ist dieser Tage auf seinem Gute Moschen in Schlesien beim Reiten verunglückt und hat ein Bein gebrochen. — Der größte Soldat drS deutschen HeereS, Unterolfizier Taplick, ist zum Standartrnträgrr der Garde du Corps in Potsdam ernannt worden. — Am 1. Oktober werden eS zehn Jahre, daß die Bahnsteigkarten auf den Hauptstrecken der preußischen Staatsbahnen zur Einführung ge langten. Seit dieser Zeit sind auf fast allen Strecken die Bahnsteigsperren und damit auch die Bahnsteigkarten eingesührt worden. — Ein Ehejubiläum eigener Art bringt uns der 1. Oktober. An diesem Tag vor 30 Jahren wurde durch daS Perfonrnstandsgesttz die standesamtliche Eheschließung obligatorisch gemacht. — Starke Nachtfröste werden aus fast ganz Deutschland gemeldet. In Schlesien ist die Temperatur ungemein gesunken. Im Riesen gebirge zeigte sich am Sonntag und Montag der Koppenkegel in blendendem Weiß. In der '"„cht zum Montag fiel das Thermometer bet r.ernenklarem Himmel zum ersten Male unter den Gefrierpunkt. Das Minimum-Thermometer regi strierte vier Grad Kälte. Auf den Feldern und Wiesen lag dicker Reif, und an besonders fruchten Stellen hatte sich eine Eisschicht gebildet. Das Kraut drr Kartoffeln ist an den meisten Stellen rrsroren, ebenso die Gemüsepflanzen und Blumen in den Gärten. Auch einigen Birnen- und Apfel sorten hat der Frost Schaden zugefügt. Auf dem Brocken ist die Temperatur bis auf — 4 Grad gesunken. Auch In dem Braunschweiger Flachlande wurde in den letzten Nächten vielfach Reif und Frost bemerkt. — Wegen Mißhandlung Untergebener ist Unteroffizier Warschau vom 14. Fuß-Artlllertr- Regiment in Straßburg zu 18 Monaten Ge fängnis und Degradation verurteilt worden. — Großstadtelcnd. In Hannover hatte eine Köchln einem Hunde einen Knochen auf die Straße geworfen. Eben war daS Tier beiseite gekrochen, als rin anständig gekleideter Mann hinzu sprang, den Knochen an sich nahm und daS Fletsch abnagte. Zu den Umstehenden sagte er: „Ich bin hungriger als der Hund, denn ich habe seit drei Tagen nichy» gegessen, und betteln kann ich nicht!" AIS man eine Sammlung sür ihn veranstalten wollte, verschwand der Unglückliche. — Drr Bodensee ist in der letzten Zeit so erheblich gesunken, daß der „TrufrlSttsch" bei Wallhausen (Ueberltngersee) nur noch wenige Zenti meter mit Wasser bedeckt ist. Wenn drr Ser noch weiter fällt, liegt die Oberfläche,deS mächtigen FrlSblockeS innerhalb kurzer Zeit frei, was seit dem Jahre 1852 nicht mehr der Fall war. Da mals wurde zur Erinnerung an den niedrigen Wasserstau!) die Jahreszahl auf dem erratischen Block« ringemrißelt. — Schluckens», 19. Srptbr. Die Geben drS in Süd-Australien verstorbenen Johann Herbrich auS Schluckenau i. B., welcher vor etwa 20 Jahren auSgewandrrt ist und rin nicht unbedeutendes Ver mögen erworben hat, werden gesucht. Man melde sich durch das österreichische Konsulat in Adelaide (Australien) an Josef Leiblich, wohnhaft P. O. Mitchrlville Franklin Harbor, South Australta. — Falkenau, 19. September. Gin schreck licher Unglück-satt hat sich in Sraffrth ereignet. Dort hatte der 9 Jahr« alte Hütbube Sttngl, in einer Schachtel verwahrt, drei Dynamitpatronen gefunden. Ja seiner Gesellschaft befanden sich Mehrere andere Jungen und diesen gegenüber er- sich nicht fürchte, di, Patronen auf seiner Hand zur Explosion zu bringen; wrnn er rin Zündholz hätte, würde er eS gleich brwetstn. Drr 10 Jahre alte Bolksschüler Wrobctz holte nun Zündhölzer herbei und er manipulierte nun mit dem Hütbuben Sttngl in gleicher Weise mit den gefährlichen Patronen. Sie legten je rine solche Patrone auf die innere Fläche der lirken Hand und hielten an dieselbe brennende Zünd hölzchen. Fast gleichzeitig explodierten die beiden Dynamttpatronen und die beiden Jungen wälzten sich, jämmerlich schreiend, am Boden. Die übrigen Kinder, die sich zum Glück schon zurückgezogen hatten, als die beiden Knaben daS leichtsinnige Experimlnt begonnen, liefen nun ins Dorf um Hilfe. Man fand die verunglückten Jungen blut überströmt mit schrecklichen Verletzungen vor; dem Stingl war die Hand entsetzlich zersetzt worden, während dem Wcabttz auch im Gesichte vielfache Verwundungen beigebracht wurden, und es ist als rin Wunder zu bezeichnen, daß die Knaben nicht auf der Stelle getötet wurden. Die Dynamit patronen sind wahrscheinlich von einem Bergarbeiter verloren worden. — Aich. Einen Rieienpilz hat im nahen Walde der hiesige Bürgerschullehrer Schetdhauer gefunden. Es ist rin durchaus kerngesunder Herren pilz von geradezu unerhörter Größe. Der Umfang der Kappe beträgt 92 oni, der Durchmesser 30 om. Der Stiel ist 25 om hoch und hat an der stärksten Stelle einen Umfang von 32 cm. Der Pilz ist 3'/z Pfund schwer. — (Die Alpenfahrt des Luftschtfsers Spelterini.) Am Dienstag mittag 12 Uhr 50 Min. stieg der Luftschiffe Spelterini mit seinem mächtigen Ballon „Vega" vom Plateau des Eiger- gletschers am Jungfraumalsiv auf zu feiner bereits seit 14 Tagen vorbereiteten großen Alpensahrt. Der kühnen Alpenausfahrt wohnten viele Fremde und Fachleute bei. Begleitet war Spelterini aus seiner Fahrt von dem Ingenieur Streffler aus Stuttgart. Der Ballon stieg senkrecht aus, ver schwand bald in den Wolken nach Westen zu direkt über den Jungfrau-Stock hinweg. Um 3V, Uhr ist Spelterini dann, wie von der Kleinen Scheidegg auS gedrahtet wird, wohlbehalten auf der Eagst- ligenolp bet Adelboden gelandet. Die erreichte Höhe betrug 6000 m, die Temperatur war — 5 Grad. Schwurgerichts Verhandlungen Bautzen, 21. September. (Nachdruck verboten.) Die heutige Verhandlung richtete sich gegen den noch unbestraften, ledigen, 21 jährigen Kutscher Georg Hainke aus Jeßnitz bei Neschwitz wegen versuchten Mordes. Die An klage erfolgte durch Oberstaatsanwalt Martini, die Ver teidigung lag in den Hiinden des Rechtsanwalts Weher in Bautzen. Nach dem Wortlaut des Eröffnungsbeschlusses wurde der Angeklagte beschuldigt, am 28. Mai d. I. an der ledigen Dienstmagd Agnes Kiesch in Gubra einen Mordversuch insofern verübt zu haben, als er sie in den bei Jeßnitz gelegenen Dorstcich warf, sie aber nach einiger Zeit wieder herauszog. Hainke war mit der Kiesch zu sammen bei dem Gutsbesitzer Ziesche in Guhra in Diensten, und zwar war Hainke am 12. März d. I. angetreten, während sich die Kiesch schon seit l. Januar dort in Stellung befand. Schon am 13. März wurden beide so gut mit einander bekannt, daß an diesem Tage schon ein intimer Verkehr zwischen ihnen stattfand, der nun weiter fortgesetzt wurde. Bald daraus fühlte sich die Kiesch Mutter und teilte es dem Angeklagten mit, der sich sehr darüber ärgerte, weil er Vater vsn einem Kinde fein sollte bei einem Mädchen wie die Kiesch, die schon drei uneheliche Kinder hatte. Beide beschlossen nun, ein Verbrechen gegen das keimende Leben zu begehen und aus Vorschlag des Mädchens besorgte der Angeklagte alsbald aus Bautzen zwei Flaschen Kümmel mit Rum, den die Kiesch trinken sollte, um ihren Zweck zu erreichen. In der Zwischenzeit ließ Hainke schon allerlei verdächtige Aeußerungen fallen, z. B. er wolle sich und das Mädchen erschießen, oder sich aufhängen u. s. w. Schließlich machte er den Vor schlag, sie wollten eines Abends beide spazieren gehen und dabei sollte die Kiesch den Schnaps trinken. Diese war auch damit einverstanden. Nachdem er die Ausführung des Planes eimge Male verschoben hatte, ging er am Abend des 26. Mai mit der Kiesch in der 10. Stunde fort über die Wiesen nach Jeßnitz zu. Der weitere Vorfall wurde heute von der Kiesch wie folgt geschildert: „Wir gingen zusammen durch das Hintertor hinaus aus dem Gehöft durch die Felder und nahmen die zwei Flaschen Schnaps mit. Unterwegs trank ich auf die Aufforderung deS Hainke wiederholt Schnaps, der mir indessen nicht schmeckte. Als ich nicht mehr trinken wollte, sagte er zu mir: „Sauf, sonst gieße ich eS Dir selber rein!" Als wir in die Nähe des Kommunikationsweges von Guhra nach Jeßnitz kamen, fuhr auf diesem Wege etn Radfahrer vorüber, wobei Hainke mich aufforderte, ich solle mich bücken, damit mich der Mann nicht sehen könne. Dann ging eS weiter, ich fiel mrhreremal« zu Boden, weil der Schnaps an zu wirken fing. Hainke führte mich sodann nach dem Dorsteiche, ging mit mir am Rande, der mit einer Schranke versehen ist, hin bis zu der Schöpsstelle, wo das Wasser am tiefsten ist. Hier mußte ich mich Hinsehen, während er sich entfernt«. Ich schlief daraus ein. Plötzlich fühlte ich mich rmporgrhoben, ich erwachte, erkannte Hatnke und dachte, er werde mich nach Hause tragen, aber rr warf mich schnell in de« Leich und lies davon. Ich geriet völlig unter das Wasser, eS gelang mir aber, mich an das User zu arbeiten, obgleich uh keinen Grund fand, erfaßte einen Pfahl und hielt mich daran fest. Als ich mich herausarbeiten wollte, bemerkte ich, daß meine Beine zusammengebunden waren. Aus einmal kam Hainke wieder und zog mich aus mein Bitten wieder heraus. Vorher sagte er zu mir: „Du bist wohl reingesallen?" Worauf ich erwiderte: „Ja", aus Angst, er könne mich weiter hineinstvßen. Sodann merkte ich, wie er meine Beine wieder lvsband, er hob mich auf und wir gingen dann nach Hause. Unterwegs sagte ich zu ihm: „Du bist ein schlechtes L ..... Du hast mich in den Teich geschmissen und mir die Beine zusammengebunden". Er antwortete: „Sei nur ruhig und sage nichts." Am andern Tage ging ich zum Gemeindevorstand und erzählte ihm die Sache, erhielt aber den Bescheid: „Da kann ich nichts machen, weil Niemand dabei gewesen ist." Dann habe ich Anzeige beim Gendarm gemacht." Bei diesem Beamten war aber unterdessen schon Hainke gewesen und hatte be antragt, gegen die Kiesch einzuschreiten, weil diese der Wahrheit zuwider verbreite, er habe sie in den Teich ge worfen. Der Gendarm stellte nun Erörterungen an und nahm aui Grund der Ergebnisse den Hainke fest, der an fangs alles entrüstet in Abrede stellte, endlich aber die Schuld cingestand und als Grund angab, er habe das Mädchen deshalb in den Teich geworfen, weil er sich ge schämt und geärgert habe, daß er sollte Vater von dem Kinde der Kiesch sein. In der Voruntersuchung wechselte er mit seinen Aussagen fortwährend, einmal gab er an, er sei am Abend des fraglichen Tages von einer Radtour ge kommen, habe sich sofort ins Bett gelegt und sei die ganze Nacht liegen geblieben und nicht mit der Kiesch zusammen gewesen, dann legte er auf gütliches Zureden wieder ein offenes Geständnis ab. Heute gab er aus Befragen durch den Vorsitzenden zu, die Kiesch in den Teich gestoßen zu baden, bestritt aber, daß er sie habe ertränken wollen. er habe es nur aus Dummheit getan und sich nichts dabei gedacht. Bemerkenswert ist noch, daß er, als die Kiesch zu Pfingsten von zu Hause Kinderwiifche mitbrachte, sagte: „Du wirst keine Kinderwäsche brauchen". Beide werden sich übrigens wohl noch wegen Verbrechen gegen das keimende Leben zu verantworten haben. Die Geschworenen bejahten die Schuldfrage aus vorsätzliches Handeln, verneinten aber die Frage auf Ausführung deS Vorsatzes mit Ueber- legung, Hainke konnte aber nur wegen versuchten Totschlags verurteilt werden und erhielt unter Zubilligung mildernder Umstände 2 Jahre Gefängnis, 2 Monate der Strafe gelten als verbüßt. Als Geschworene waren ausgelost: Kommerzienrat Britze - Bautzen als Obmann, Baumeister Grünert - Zittau, Gutsbesitzer Klippel-Neugersdorf, Bahnmeister Wetzig- Dürrröhrsdors, Rentner Brambach-Löbau, Gutsbesitzer Ebermann-Seitendorf, Fabrikant Höhne-Beiersdorf, Fabrik besitzer Gruschwitz-Olbersdorf, Gutsbesitzer Korselt-Mittel herwigsdorf, Ledersabrikant Nitschke-Weißenberg, Gemeinde vorstand Hause-Stacha, Rittergutsbesitzer Heiber-Birkau. Bautzen, am 22. September. Wegen versuchten Sittlichkeitsverbrechen und Körperverletzung wurde heute gegen den bisher noch gänzlich unbestraften Fabrikarbeiter Karl Gustav Hänchen, 1879 inOber-Ottenhain geboren und in Drauschkowitz wohnhaft, vor den Geschworenen verhandelt. Die Staats anwaltschaft war durch Assessor Grieshammer vertreten, die Verteidigung hatte Rechtsanwalt vr. Hermann in Bautzen übernommen, und als Dolmetscher der polnischen Sprache war Barbier Maslowsky in Bautzen geladen. Der An geklagte war beschuldigt, am 26. Juni dieses Jahres in Grube bei Weißenberg der 28jährigen, bei dem Gutsbesitzer Wünsche in Drauschkowitz in Diensten stehenden Dienstmogd Katharina SymatSka Gewalt anzutun versucht zu haben. Die Beweisaufnahme fand unter Ausschluß der Oeffentlich- keit statt. Auf Grund der Ergebnisse gelangten die Ge schworene» zu der Ueberzeugung von der Schuldlosigkeit des Angeklagten, verneinten infolgedessen die an sie gerichteten Fragen, worauf der Gerichtshof ein freisprechcndes Urteil fällte. Die Geschworenenbank bestand aus: Kommerzienrat Britze-Bautzen als Obmann, Blumenfabrikant Clauß- Neustadt, Fabrikbesitzer Hofmann-Niedercunnersdorf, Rentner Brambach-Löbau, Fabrikant Höhne-Beiersdorf, Gutsaus zügler Beier-Lauterbach, Kretschambesitzer Held-Wittgendorf, Lederfabrikant Nitschke-Weißenberg, Gemeindevorstand Haufe- Stacha, Rittergutsbesitzer Heiber-Birkau, Gutsbesitzer Klippel- NeugerSdorf, Fabrikoesitzer Gruschwitz-Olbersdorf. Sächsische Gedenktage. 24. September 1SLO Kapitulation von Bautzen. 173« wird zu Mülsen St. Jakob der Erbauer der ersten Harmonika (1782), Christoph Gottlieb Pilz, geboren. Derselbe war als Organist zu Görlitz tätig. 1841 stirbt der Wildschütz Karl Stulpner im Alter von 79 Jahren. 1SO2 stirbt der durch seine Kompositionen berühmt gewordene Kantor om., Musikdirektor Daniel Reinhold Finsterbusch zu Glauchau. 2«. September. 1818 vernichtet eine Feuersbrunst zu Crossen bet Zwickau IS Bauerngüter. 178« wird der nachmals berühmte Mineraloge Abraham Gottlob Werner zu Wehrau in der NIederlausttz geboren. 176« zerstört ein Brand in Crimmitschau 9 Häuser. 180« werden in Zwickau durch ruchlose Hand 14 Scheunen in Asche gelegt. 2«. September. 1832 wird die Stadt Nossen von 6000 Mann Holckfcher Truppen geplündert. 1787 wird Prinzessin Maria Amalia, dir Tochter de» Kurfürsten Friedrich Christian, geboren. 178« werden zu genauer Untersuchung drr Strtn- kohlenflötze jährlich 300 Tlr. aus ü—6 Jahren vrnoilliat. 181« vermählt sich der August 11. zu Wien mit Tochter de» Kaisrr» Franz I nachmalig» König TrzherzoM Mari» - v°n v«mrich.