Volltext Seite (XML)
Anlage zu Ar. 59 des sächsischen Lrzähters. Bischofswerda, de« L6. Mai 1VV4. Die Sozialdemokratie und die praktische Wirtschaftspolitik. Jahrzehnte hindurch hatte man in den Volks vertretungen alle Ursache, die Theorien der Sozial demokraten für derartig utopisch und unausführbar zu halten, das; man auch gar nicht daran denken konnte zu hoffen, daß die sozialdemokratischen Volksvertreter jemals für die Behandlung prak tischer Fragen zu haben sein würden. Indessen die Zeiten ändern sich und dort, wo die Industrie der Schuh drückt, wächst >ie wirtschaftliche Er kenntnis auch bei den intelligenten sozialdemo kratischen Arbeitern. So kann man jetzt das lehr reiche Schauspiel beobachten, daß der deutsche Sozialdemokrat Abgeordneter Schippel der Partei leitung zum Trotz den Freihandel für eine Schädigung der Arbeiterinteressen erklärt und für Schutzzölle zu gunsten der Industrie, von welcher der Arbeiter lebt, cintritt. Schippel verficht aber dabei nicht nur seine Meinung, sondern er zitiert auch aus anderen Ländern Stimmen von sozial demokratischen Führern, die sich zu gunsten von Zöllen für die Industrie und Landwirtschaft aus sprechen. So die des österreichischen sozialistischen Parteiführers Dr. Karpcles, der auf dem Wiener Gesamtparteitagc 1901 darauf hinwies, daß die österreichische Industrie sich in hohem Blaße ent wickelt nnd einen glänzenden Aufschwung ge nommen habe, nachdem im Kaiserreiche das Schutz zollsystem ausgebaut worden war. Schippel zitiert ferner mit einem gewissen Hohn auch den Vorwärts, der in jener Zeit geschrieben batte, die österreichische Industrie könne des Schutzzolles nicht entbehren. Ferner begründete und recht fertigte nach Schippels Zitaten der schweizerische Svzialistcnführer Greulich als Referent auf dem Arbeitertage in Bern vor zwei Jahren höhere landwirtschaftliche Zölle, verneinte die Frage, ob der Zolltarif von 1891 ein ausreichendes Kampf mittel sei und erachtete die andere, ob man zum Freihandel zurückkehren könne, für geradezu aus geschlossen. Ganz wie die deutschen Schutzzöllner sprach Greulich die Meinung aus, daß man unter der Sorge für einige Exportindustrien den inneren Markt allzusehr aus den Augen gelassen habe, und daß die Situation der schweizerische» Volkswirtschaft dadurch geradezu gefährlich zngespitzt sei. Weiter führte Greulich aus: „Man hat in der Debatte über den Zolltarif einen Gegensatz zwischen Konsumenten und Produzenten gebracht und betont, es handle sich vor allem um den Schutz der Konsumenten, die die Mehrheit des Volkes bilden Geht man der Sache auf den Grund, so wird man richtiger Weise sagen müssen, daß die übergroße Mehrheit des Volkes beides, Produzent nnd Konsument ist. Fragt man aber was in der Volkswirtschaft das Vorangehende ist. so wird man doch wohl kaum anders sagen können als: „die Produktion ist das Erste". Ferner schreibt Schippel, französische Parteigenossen hätten in Agrarschutzbestrebungcn anläßlich des Antrages Jaurös den Grafen Kanitz fast übertroffen, und der Vorwärts habe dazumal — im Juli vorigen Jahres — scststellen müssen, daß man selbst in linksstehenden französischen Zeitungen vergebens nach einer redaktionellen Kritik der fleischver teuernden Vorlage suche. Dabei standen die französischen Vieh- und Fleischzölle damals schon höher als die deutschen und die Steigerung der selben betrug hundert bis dreihundert Prozent. Auch in Italien tritt, wie aus einem Schippelschen Zitat hervorgeht, ein Teil der Sozialdemokraten für Schutzzölle für Produkte der nationale» Industrie und Landwirtschaft ein. Diese Kund gebungen hervorragender Sozialistcnftthrer beweist jedenfalls, daß ihnen das rechte Verständnis für wirtschaftliche Lebensfragen nicht fehlt, und daß auch die deutsche Sozialdemokratie eine praktische bedeutsame Stellung zur deutschen Handelspolitik noch nehmen kann, wenn sie sich von der ein seitigen Oppositionstaktik loslösen wollte, wie es in anderen Ländern schon geschehen ist. Sachsen. Bischofswerda, am 25. Mai 1904. — Wo sind unsere HauSschwalben? Wenn auch alljährlich Tausende unserer Hau-, schwalbrn beim Zuge nach und von den südlichen Ländern AsrikaS an den Küsten gefangen werden, o ist e- doch in diesem Jahre besonder» ausfallend, »aß so wenig Schwalbrn zu un» zurückgekehrt knd. In Spanien und Italien Ist die Schwalbe ttr die Küche sehr willkommen; es ist anzunrhmen, daß der Fang der Schwalbrn in diesem Jahre dort ein außergewöhnlicher gewesen sein muß. ES ist tirsbedaurrltch, daß rS trotz aller Bemühungen der Vogelschutzfreunde noch immer nicht möglich gewesen ist, diesem Massenmord Einhalt zu tun und einen wirksamen Schutz dieser uns so teuren Hausfreunde durchzuführen. — Schützt Vogelnester gegen Katzen, rS genügt dazu folgendes einfache Mittel: Man bindet, dem Umfang des Baumes entsprechend, auf dem sich das Nest befindet, eine Anzahl lang, halfigr Weinflaschen an den Hälsen mit einer Schnur oder einem Draht aneinander und befestigt diese gefesselte Flaschenreihe kranzförmig ca. 2 Meter hoch vom Boden entfernt um den Stamm. Die Katzen können dieses Hindernis nicht übersteigen. — Vom Nutzen des Maulwurfs. Mit Rücksicht darauf, daß dem Maulwurf durch die neuerdings aulgetauchte Mode, Maulwurfsprlzwerk zu tragen, eine erhebliche Gefahr entstanden ist, hat das Kaiserliche Gesundheitsamt ein Flugblatt „Der Maulwurf" herauSgegeben. Darin werden Lebens weise, Nahrung, Nutzen und Schaden dieses unter« Irdischen Wühlers erörtert. Zum Schlüsse wird ausführlich auf diejenigen Mittel eingrgangen, die uns zur Verfügung stehen, um den Maulwurf dort, wo er schädlich werden kann, zu vertreiben. Eine Tötung wird jedoch nur in Ausnahmefällen nötig sein, z. B. wenn er in Dämmen und Deichen, dir zum Schutze gegen Hochwasser er richtet sind, sich eingrfunden hat; im allgemeinen tut man gut, ihn am Leben zu lassen, da er zu jenen Tieren gehört, die dem Landwirt am nütz, ltchsten sind. — Der Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften im Königreiche Sachsen wird unter der Leitung des Herrn Direktor Bach- Dresden am Donnerstag, den 26. Mai, seinen XIV. Verbandstag abhalten. Dem Verbände gehören zurzeit 251 Genossenschaften an, nämlich 2 Zentralgenossenschasten, 72 DarlehnS- und Sparkassenvereinr, 79 Spar-, Kredit- und BezugS- Verrine, 52 Bezugs- und Adsatzgenossenschasten, 21 Molkereigenossenschaften, 25 sonstige Genossen schaften. Diese Zahl bedeutet gegen das Vorjahr eine Steigerung um 39 Genossenschaften. Am Mittwoch, den 25. Mai, hält vormittags die Landesgenossenschaftskasse ihre Generalversammlung, während nachmittags die Hauptversammlung der Landwirtschaftlichen Zentral-Genossenschaft ab gehalten wird. Die Hauptverhandlungen finden am Donnerstag, den 26 Mai, im „Neustädter Kasino" in Dresden, Königstraße 15, mit folgender Tagesordnung statt: 1. Jahresbericht der Ver- bandsleitung. Berichterstatter: Herr Direktor Bach. 2. Referat des Herrn Gutspachters Alwin Domsch über „Die Pflege de» Klein- und Schulsparkassen wesens als eines Grundpfeilers der ländlichen Wohlfahrtspflege". 3. Bericht über die JahreS- rechnung für 1903 und Entlastung deS Vorstandes und des Ausschusses von der Geschäftsführung. Berichterstatter: Herr Oberlehrer Hempel aus Klotzsche. 4. Festsetzung der Jahresbeiträge. 5. Bericht über die tm Jahre 1903 vorgenommenrn Revisionen. Berichterstatter: Herr Obrrrevisor Paul Fricke. 6 Neuwahl von zwei Ausschuß. Mitgliedern. ES scheiden aus und sind wieder wählbar die Herren Oberlehrer Hempel auS Klotzsche und Gutsbesitzer Gotthard Korselt auS Mittelherwigsdorf. Außerdem ist eine Ersatzwahl für den verstorbenen Herrn Pfarrer Zabel aus Breunsdorf vorzunehmen. 7. Vortrag deS Herrn DomgutSpachterS Wilhelm Schwarz aus Grub- schütz über „Vorteilhafte Giflügelzucht". Bet der Ausdehnung, die der Verband besitzt, sowie der ständig wachsenden Bedeutung deS Genossenschafts wesens ist eine sehr rege Beteiligung zu erwarten. Dir Teilnahme an den Hauptverhandlungen steht allen Freunden deS landwirtschaftlichen Genossen- IchaftSwesenS frei. — Warnung für Spaßmacher. Daß man seinen Gästen keinen Schnaps ins Bier schütten darf, erfuhr rin Wirt von der Strafkammer in Prenzlau. Auf Veranlassung einiger Gäste hatte er dir- einem Dritten gegenüber begangen. Da» Gericht verurteilte ihn wegen vorsätzlicher Brr. fälichung eines GenußmittelS zu einem Tage Gefängnis. * — Der Sächsische Radfahrer-Bund hat infolge feiner kollossalrn Vorteile, die er seinen Mitgliedern bietet, tm letzten Vierteljahr einen ungeheuren Mitglirdrrzuwach« erhalten und zwar hauptsächlich aus Grund der Gratis-Unsall- und Haftpflichtversicherung. — Kein Rad- sahrrr sollte versäumen, diese hochwichtigen Vorteil« wahrzunehmen und seine Anmeldung beim Sächs. Radsahrer-Bund zu bewirken. — Nähere AuSlunft erteilen gratis die SelchästSstelle Leipzig, Hohe» straße 48, I, oder OrtSvertreter Alwin Teich, BelmSdors Nr.39, bet welchen auch Anmeldungen bewirkt werden können. — Studenten- und Schüler-Herbergen. Die Hauptleitung der Deutschen Student«», und Schüler-Herbergen in Hohenrlbe hat jüngst an dir Obmänner und Pfleger jene „AuSwetS-Karte" zur Ansicht gesendet, dte tm Jahre 1904 Geltung haben soll. Um da» gesamte deutsche HerbergS» wesen einer gedeihlichen Weiterentwicklung entgegen zu führen, findet im September diese» JahrrS eine „allgemeine Versammlung" zuSchandau statt. Etwaige Anträge müssen in der vorgr- schrirbenen Form vor dem 1. Juni d. I. bet der Hauptleitung in Hohenrlbe etngrbracht werden. — Wir maeyen hierbei darauf aufmerksam, daß die retchsdrutschrn und österreichischen Schüler-Herbergen tm allgemeinen vom 1. bezw. 16. Juli bis 14. September geöffnet sind. — Evangelischer Bund. Die General versammlung deS Evangelischen Bundes von ganz Deutschland, der über 200,000 Mitglieder zählt, wird in diesem Jahre vom 3. bis 5. Oktober in Dresden abgrhaltrn werden. — WaS wird in Sachsen jährlich an Steuern und Abgaben aufgebracht? Nach dem der Staatshaushalt für die Finanzpertodr 1904/05 vop den Kammern endgültig sestgestellt ist, läßt sich übersehen, was an Steuern in diesen beiden Jahren aufzubringen sein wird. Jnbetracht kommt zunächst die Grundsteuer, die mit 4,430,700 Mark veranschlagt ist. Dann folgt das Rückgrat unserer Struervrrfassung, dir Ein kommensteuer. Hier stellt sich der Anschlag aus 143,304,400 Mark. Als neue Steuer wird in diesem Jahre zum erstenmale dte Ergänzungs steuer erhoben. Bei dieser ist das Katastersoll mit 3,645,000 Mark angenommen; in Wirklichkeit hat es sich aus 3,810,000 Mark gestellt. Eine weitere Steuer, die der Staat erhebt, ist die Steuer vom Gewerbebetriebe tm Umherziehrn (Wander-Gewerbesteuer). Der Ertrag dieser Steuer ist im letzten Jahrzehnt rin ziemlich gleich mäßiger geblieben. Angenommen ist er mit 226,000 Mark. Endlich gelten als direkte Staatssteuer noch der Urkundenstempel und dte Erbschafts steuer. Der Ertrag ist ziemlich erheblich, denn i er beziffert sich auf 3,760,000 Mark. Die Summe der direkten Steuern stellt sich somit für jedes Jahr der Finanzperiode 1904/05 auf 55,221,000 Mk. Als einzige indirekte Abgabe erhebt Sachsen für LandeSrechnung eine solche vom Fleisch (schlachtsteuer, UebergangS und Ver brauchsabgabe). Die Einnahmen betrugen tm Jahre 1902 5,500,000 Mk. Im ganzen erhebt somit der Staat an Steuern und Abgaben 60,879,000 Mk. Ferner dürsten an Gemeinde-, Kirchen« und Schullasten annähernd 70 Millionen Mark aufgebracht werden. Rechnet man noch rund 60 Millionen Mark an RetchSstruern (Eingangs zölle, Zucker-, Branntweinsteuer usw.) hinzu, so ergeben sich, wie da» „Lpz. Tgbl." auSrechnet, 190 Millionen Mark Reich»-, Staat»- und Gemeindesteuern für unser Sachsen. Da» ergibt aus den Kopf der Bevölkerung rund 40 Mk. — Die Betriebsergebnisse bei den sächs. Staatsbahnen sind auch im Monat April wieder recht günstige gewesen. Nach den vor läufigen Festsetzungen betrugen die Verkehrs einnahmen 10,301,000 Mk. oder 491,030 Mk. mehr, al» Im gleichen Monat des Vorjahre». Auf den Personenverkehr entfallen 3,682,000 Mk., mehr 212,480 Mk., auf den Güterverkehr 6,619,000 Mk., mehr 278,550 Mk. Insgesamt stad hiernach vom Januar bis mit April 38,183,111 Mark vereinnahmt worden. Gegen den gleichen Zeitraum Im Vorjahre sind dir» 2.330,445 Mk. mehr. E» trugen hierzu der Personenverkehr 12,159,638 Mk., mehr 711,242 Mk. und der Güterverkehr 26,023,473 Mk., mehr 1,619,203 Mark, bei. K Neukirch, 24. Mai. In den Tagen vom 11. bi» 13. Juni hat der hiesige Radfahrer-Klub „Sturmvogel" die Abhaltung des 13. sächsischen UnionSkongreffrS übernommen und wird damit zugleich da- Fest seiner Bannrrweihe begehen. Die Vorbereitungen zu diesem Doppel-Feste sind im vollsten Gange und dürften die Einladungen, soweit dieselben noch nicht ergangen stad, in den nächsten Tagen erfolgen. E» werden alle Union», mitglirder, sowie auch di« Mitglieder anderer