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-r— Dritte Beilage zu Ur. 102 des sächsischen Lrzählers Bischofswerda, den SS. Dezember 1883 Rede des Reichstagsabg. Gräfe zu dem rumänischen Handelsverträge in der Sitzung des Reichstags vom 1». Dezember. Meine Herren, eS ist nicht meine Absicht, auf die Einzelheiten der vorliegenden Handelsverträge einzugehen; es ist nicht meine Absicht, statistisches Material hier noch zu behandeln; wir haben ja ge sehen, wiekautjchnkartig dasselbe von der einen Seite nach verändern gezogen wird, und wie die Gegner, sowie die Freunde der Verträge die Statistik für ihre Bestrebungen verwerthen. Ich will mich auf einzelne wichtige Gesichtspunkte be schränken, aus deren Ausführung und Be leuchtung heraus sich die ablehnende Stellung meiner Partei zu dem vorliegenden Vertrage ergiebt. Meine Herren, vor allen Dingen möchte ich mich gegen die Ausführungen des Abg. Budde berg wenden. Derselbe hat in seiner gestrigen Rede gesagt: Wenn Sie immer von der Noth der Landwirthschaft sprechen, so mutz ich be streiten, daß dieselbe so groß ist. Sehen Sie sich doch die Landwirthschaft der Ober lausitz an. Ja meine Herren, auch ich sage Ihnen: Sehen Sie sich doch die Lage der Landwirthschaft in der sächsischen Oberlausitz an, und dann werden Sie allerdings, wenn Sie die Sache objektiv be trachten, zu ganz anderen Schlüssen kommen, als derAbg. Buddeberg, dem ich das Recht ab streite, im Namen der Landwirthschaft der sächsischen Obcrlausitz zu sprechen. Sehen Sie sich aber auch die Lage der kleinen Gewerbe treibenden, die Lage der Handwerker an, welche direkt von der Landwirthschaft abhängen, und Sie werden da ein ganz trostloses Bild finden. Das Weihnachtsgeschäft wird beweisen, daß die Hoffnungen des ganzen Jahres, welche die Kleingewerbetreibenden unddieHandwerker auf das selbe setzten, vollständig ins Wasser fallen werden, und zwar deshalb, weil die Kaufkraft unseres Bauernstandes unter der jetzigen Handels politik vollständig von Stufe zu Stufe sinkt. (Sehr richtig! rechts). Meine Herren, wir haben allerdings auch ein Herz für die Industrie und werden bei den Stenergcsctzc» das beweisen. Ich habe in der letzten Zeit Gelegenheit gehabt, in einer großen Versammlung in Bautzen eine Resolution herbeiführen zu Helse» gegen die Tabaksteuer, wobei alle an wesenden Landwirthe — und eS waren nicht wenige — gegen diese Steuer gestimmt haben, weil sie nicht wollten, daß eine so segensreiche Industrie, wie die Tabakindustrie, geradezu ver nichtet würde. Aber es waren Interessenten der Tabaksbranche da, welche allerdings sich voll ständig für die Handelsverträge erklärten in ihrem Interesse. Da ging durch die Versamm lung ein Sturm der Entrüstung und zwar deshalb, weil man sich seitens der Landwirth- schast sagte: Wir vertreten wohl das Interesse der Industrie, wir wollen auch gegen eine so verderbliche Steuer kämpfen; die Leute waren aber empört, daß anwesende Industrielle aus der Tabaksbranche lediglich ihr eigenes Interesse vertraten und durch ihre Stimmung für die Handelsverträge vollständig bewiesen, daß sie einzig und allein einseitig eine Interessenver tretung für die Industrie verlangen. Meine Herren, einer der größten Industriellen unserer sächsischen Oberlausitz ist schon seit längerer Zeit hier im Foyer anwesend und macht Stimmung für die Handelsverträge. Derselbe war früher Mitglied des Hauses der national liberalen Partei. Dieser Herr hat gestern hier im Wandclgang geäußert, es würde iyn ja schließlich doch nicht so sehr treffen, er wäre dann in der Lage, seine Fabrik in Böhmen zu bauen und dann von dort aus seine Geschäfte zu besorgen. Meine Herren, ich will nicht untersuchen, ob das angängig ist oder nicht: es kann aber doch nicht so unmöglich sein, wenn von so berufenen Vertretern so etwas ausgesprochen wird. Meine Herren, wenn das der Industrie möglich ist, so rufe ich Ihnen zu: das ist dem Bauer nicht möglich, der Bauer muß auf seiner Scholle sitzen bleiben; wenn er eS nicht mehr kann, dann verfällt er eben dem Proletariat - oder wird^zur Auswanderung gezwungen. (Sehr richtig! rechts.) Vom Landtage. O Dresden, 19. Dezember. Die Zweite Kammer tagte heute von 10 bis Uhr in 18. öffentlicher Sitzung. Anwesend waren die Herren Staatsminister v. Thümmel, Geheimräthe Meusel, vr. Diller, Vodel, Geh. Finanzräthe vr. Ritterstädt, v. Kirchbach, Geh. Regierung»- rath Beutler. Zur allgemeinen Vorberathung stand der Antrag deS Abg. Ahnert (unterstützt von einer großen Kammermajorität von 48 Ge nossen der verschiedensten, meist der konservativen Richtung angehörenden und verschiedene LandeS- gegenden vertretenden Abgeordneten) deS Inhalt»: „Die kgl. Staatsregierung zu ersuchen — ent gegen den im kgl. Dekret Nr. 17 vertretenen ablehnenden Anschauungen, die in der Sitzung vom 11. Dezbr. zum Austrag gebracht worden sind — auch über die Erbauung einer StaatS- eisenbahn von Trebsen über BrandiS nach Beucha und einer solchen von Dresden nach dem Hoch plateau bei Schönfeld noch der gegenwärtigen Ständeversammlnng eine Vorlage zu machen und die hohe Erste Kammer zum Beitritt ein zuladen." Der Antragsteller Sekr. Ahnert nahm das Wort, um kurzer Hand zu beantragen: „die Vorlage zur Berichterstattung an die Finanz deputation L zu überweisen". Ohne Debatte, einstimmig erfolgte diese Ueberweisung. DaS bei fällige Schicksal dieses Antrages ist als besiegelt zu erachten, da sämmtliche 10 Mitglieder der genannten Deputation Mitunterzeichner des An trages Ahnert sind. Abg. Steiger berichtete so dann für die Finanzdeputation ö über mehrere außerordentliche Staatshaushaltstitel. Er be antragte die Genehmigung bez. Bewilligung von 205,000 Mk. in Titel 20 zu Erweiterung deS Bahnhofes Mittweida; in Titel 25 47,500 Mk. zur Umgestaltung des Haltepunktes Zschaitz in eine Haltestelle; in Titel 30 70,000 Mk. zum Ankauf des Kiehl'schen Gasthossgrundstücke» am Bahnhofe Pristewitz zu dessen Erweiterung, end lich in Titel 34 100,000 Mk. zur Herstellung eines AuSziehgleiseS am Bahnhofe Meißen. Nach dem sich Abg. Rüder sehr lebhaft für die Er weiterung der Haltestelle „Triebijchthal" für un beschränkten Güterverkehr, da der jetzige beschränkte Wagenladungsverkehr den Verkehrsansorderungen nicht mehr entspreche, verwendet hatte, fanden diese iämmtlichen Titel ohne weitere Debatte ein stimmige Annahme. Nächste Sitzung (die letzte in diesem Jahre) morgen 10 Uhr. Die Tages ordnung enthält 3 Schlußberathungen über Peti tionen und die Amtsbezeichnung der Beamten der Staatsschuldenverwaltung bez. den Bericht der Staatsschuldenverwaltung vom 11. Nov. 1893. Dresden, 20. Dezember. Die Zweite Kammer erledigte von 10 bis '/,11 Uhr in ihrer 19. (letzten diesjährigen) Sitzung drei Schlußberathungen. Anwesend waren dabei die Herren Justizminister vr. Schurig, Geheimrath vr. Diller und Geh. Finanzrath Beutler. Res. Döbritz beantragte, die Petition des Kaufmanns Arthur Maximil. Richter in Dresden, betreffend seine zu erhebliche Heranziehung zur Einkommen steuer, auf sich beruhen zu lassen. Ohne Debatte wurde diese» Votum zum Beschluß erhoben. Referent Reibmann berichtete über die Petition deS Fabrikdirektors Dnbois in Leipzig-Plagwitz, betreffend die Ueberschätzung seiner Einkommen steuer bez. Zurückgewährung zuvielgezahlter 10,000 Mk. Petent ist sowohl bei der Ein schätzungsbehörde als auch bei dem Ministerium aus Grund der bestehenden erörterten Thatsachen abfällig beschicken worden und gelangte die Peti tionsdeputation ebenfalls nur zu dem Votum: die Petition Dubois auf sich beruhen zu lassen. Ohne Debatte wurde demgemäß beschlossen. Referent Hähnel berichtete an dritter Stelle über die im Berichte des Landtagsausschusses zu Ver waltung der Staatsschulden vom 11. Nov. 1893 vorgeschlagene Veränderung der AmtStitel der Beamten der Staatsschuldeuvcrwaltung und be antragte im Einklänge mit dem diesbezüglich am 7. Dezember in der Ersten Kammer gefaßten Beschlüsse: die Veränderung der zeitherigeu Be zeichnungen Buchhalter, Kassirer, Buchhalter assistent und Kassenassistent in Oberbuchhalter, Hauptkassirer, Buchhalter und Kassirer, und den Titel Kontroleur bei der Staatsschuldenkasse in Hauptkontroleur zu genehmigen. Ohne Debatte wurde die Genehmigung ertheilt. Der Präsident Geh. Hofrath Ackermann beraumte die nächste Sitzung auf Montag, den 8. Januar 1894, Mittag» 12 Uhr an, und verabschiedete sich von den Kammermitgliedern mit herzlichen Wünschen für die kommenden Festtage. — Die Erste Meine Herren, auch von Seiten der Regierung wird nun beständig behauptet, die Handelsver träge brächten der Landwirthschaft keinen Schaden. Nun, meine Herren, möchte ich prinzipiell doch dabei die Frage aufwersen: warum sind denn diese Handelsverträge lediglich auf der Basis deS 3,50 Mark-Zolles abzuschließen gewesen? — und antworte: weil Rumänien dies für sich alseinen Vortheil gefordert hat, als einen Vortheil für seine Landwirthschaft; und, meine Herren, daraus ergiebt sich mit Nothwendig« keit, daß der Nachtheil auf Seiten unserer deutschen Landwirthschaft liegen muß. AuS diesem Grunde wird meine Partei geschlossen gegen die Handelsverträge stimmen. Von sreihändlerilcher Seite und auch gestern von Herrn Buddeberg wird immer und immer wieder nur auf das Exportgeschäft hin gewiesen. Ja, auch ich bin der Meinung, daß wir ohne Exportgeschäft schließlich nicht auS- kommcn, aber ich halte eS für eine verfehlte Politik, unsere ganze Handelspolitik aus das Exportgeschäft zu richten. Meine Herren, wir haben es bei den Unruhen in den südamerikani schen Republiken erlebt, daß durch einen Zwischenfall daS ganze Exportgeschäft lahm gelegt wurde. Wenn solche Unruhen in den Balkanstaaten auSbrechen, dann wird auch das Exportgeschäft mit Rumänien vorbei sein. Kurz und gut, ich will sagen: wenn mir unsere ganze Handelspolitik lediglich aus den Schwer punkt deö Exportgeschäfts legen, so können wir erleben, meine Herren, daß durch irgend welchen Zwischenfall die ganze deutsche Industrie mit einem Male still steht, und dann werden wir eS erleben, daß der ganze deutsche Bauernstand, der festeste und sicherste Kunde unserer deutschen Industrie, inzwischen durch diese Handelspolitik vernichtet sein wird, daß wir aller dings Krisen erleben werden, an die wir heute, Gott sei Dank! nicht denken, und die Gott verhüten möge.. Meine Herren, eS wird so kommen, wenn auf diesem Wege weiter gearbeitet wird. (Sehr gut! rechts.) Meine Herren, der Herr Reichskanzler hat kürzlich an den patriotischen Sinn deS Reichs tags im Geiste eines Ernst Moritz Arndt und Fichte appellirt. Ich möchte dem Herr» Reichs kanzler zurufen, daß meiner Ansicht nach seine Politik nichts mit jenem Geiste zu thun hat. Er hätte uns nicht das böse Wort von der Vorfrucht der Sozialdemokratie zurusen können, wenn der Herr Reichskanzler gewußt hätte, wer Fichte gewesen ist, der gesagt hat: In einem Staate, wo der mächtigste Minister mir meine väterliche Hütte nicht nehmen darf, ist doch jeder Jude berechtigt, mich von HauS und Hof zu verjagen. Meine Herren, daS war ein anderer Stand punkt, als der, welchen jetzt die Reichsregierung einnimmt. (Bravo!) Meine Herren, ich komme zum Schluß. (Bravo bei den Sozialdemokraten!) — Jawohl, meine Herren! wenn Sie wünschen, kann ich auch noch eine Viertelstunde weiterreden. (Widerspruch und Unruhe.) Ja, meine Herren, ich behaupte, daß es keine patriotischere Politik geben kann, als die, wenn wir die deutsche Landwirthschaft als die Nähr mutter unseres Volkes betrachten und als solche unterstützen. Nur dann werden wir einer ge sicherten Zukunft auch für Handel und Ge werbe entgegensehen können. Wir hoffen eS im heiligsten Interesse des deutschen Volkes, daß dieser Vertrag abgelehnt wird. Es wäre das dem deutschen Volk das schönste Weihnachtsge schenk aus den nationalen Weihnachtstisch. Rufen Sie der neuen Handelspolitik deS neuen Kurses endlich einmalein kräftiges „Bis hier her und nicht weiter" zu, — dann werden Sie am besten den Interessen des deutschen arbeitenden Volks, den Interessen deS deutschen Mittelstandes dienen, den zu vertreten wir unö zur vornehmsten Aufgabe gemacht haben; wir sind überzeugt, daß wir in dieser Hinsicht unserem Vaterland und auch unserem Künigthum in besserer Weise dienen, als Diejenigen, die von anderer, von sozialde mokratischer Seite, unterstützt werden. (Lebhafter Beifall rechts!)