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Minister und Gesandte» nicht mehr, wo cs mit dem Wirrwarr der politischen Welt hinaus will, was soll da erst ich sagen, der ich zu den Kleinen ge höre! Wie AlleS gekommen ist, das allerdings kann ich sagen, und zwar aus dem Fundament, weil die Herren Engländer, denen ich dafür meinen besten Bückling mache, ihren geheimen Briefwechsel mit dem Kaiser Nikolaus veröffentlicht haben. Durf ten sie das denn thun, ohne einen Verrath zu be gehen? Ja, sie durften es und sie mußten es. Die Petersburger Hofzeitung hatte es in die Welt hinausgeschricbe», das Kabinct von St. James — das ist so ein Ausdruck von uns Staatsmännern, wenn wir die englische Regierung zur Abwechslung einmal anders nennen wollen — also die englische Regierung habe mit Rußland früher gegen die Türkei unter einer Decke gespielt. Da mußten nun freilich die Engländer Beweise geben, daß die Pe tersburger Hofzeitnug gelogen habe, und darum machten sie die geheimen russischen Briefe und ihre eigenen öffentlich bekannt. Mein Gott, sind da Dinge an Len Tag gekommen! Wenn der Herr Gevatter früher geglaubt hat, daß der Kaiser von Rußland seine hohen Verbündeten, die Herrscher von Oesterreich und Preußen, mit Achtung und Liebe anschc, so muß er diese Meinung jetzt zurück nehmen. Gehorsamer Diener, Oesterreich und Preuße» gelten dem großen Nachbar an der Ostsee gar Nichts. Er sagt es mit dürren Worten, sei er mit England einig, so wolle er Frankreich schon Niederhalten, und die Andern, soll heißen Oester reich und Preußen, kümmerten ihn nicht. Diese mehr hochmüthigen als höflichen Acußerungen that der Kaiser im Januar 1853 und schickte gleich darauf den Fürsten Mentschikoff nach Constantinopel. Nun beginnt: Der rusfised-türkische Streit. Was Fürst Mentschikoff in Constantinopel wollte, hat der vorige Kalender bereits auseinander gesetzt. Er wollte, um es kurz zu wiederholen, ein Schutzrecht über die Christen der Türkei, oder deut licher gesprochen, eine Theilung der Herrschaft über das türkische Reich. Mentschikoff kleidete cs etwas anders ein, aber im Grunde sagte er dem Sultan: Mein Herr wird künftig die Christen Deines Reichs (etwa die Hälftc aller türkischen Unterthancn!) re gieren, Du magst Deine Türken behalten, nur hüte Dich, daß es zwischen Deinen Türken und unfern Christen nicht etwa Unfrieden giobt, denn geschieht das, so kommen unsere Soldaten und Du hast Kosten zu bezahlen. — Der Sultan weigerte sich natürlich, die Hälfte seiner Herrschaft an seinen ge fährlichsten Nachbar wegzuzebe». Er sollte nun eingcschüchtert werden. Am 3. Juli 1853 über schritt ein großes russisches Heer den Pruth, die Grenze zwischen Rußland und den unter türkischer Oberhoheit stehenden Donau-sürstcnthümcrn, besetzte sowohl die Moldau als die Walachei und richtete sich ganz häuslich ein. Der Kaiser Nikolaus er klärte dabei: die Donaufürstcnthümcr sollten sein Pfand sein, und er gehe nicht eher, als bis der Sultan seine Forderungen erfüllt habe. Die Türkei war nicht gerüstet, einen Ueberfall mitten im tiefsten Frieden abzuwehrcn, und der Sultan wandte sich in seiner Noth an England und Frankreich. Daß die beiden ihm sogleich mit kriegerischen Mienen beigesprungen wären, läßt sich nicht sagen, im Gc- gentheil zögerten sie lange, weil sie und mit ihnen Oesterreich und Preußen hofften, daß die gemein schaftlichen Vorstellungen der europäischen Mächte den Kaiser von Rußland bestimmen würden, die Ruhe der Welt nicht ferner ohne alle Noth zu stören. Um diese» Vorstellungen einen Nachdruck zu geben, vereinigten Oesterreich, Preußen, England und Frankreich ihre Gesandten il^Wien zu einer Konferenz und verständigten sich, gemeinschaftlich, was die Pforte an Rußland bewilligen solle. Der Sultan nah«! Alles an, was ihm von Wien zu geschickt wurde, und erklärte dem Kaiser von Ruß land: er, der Sultan, werde allen früheren mit Rußland abgeschlossenen Verträgen treu bleiben und setze scine Ehre darin, die griechische Kirche der Türkei sowohl jetzt als in allen Zeiten in dem Genuß ihrer Rechte zu schützen und gegen alle An griffe zu vertheidigcn. Die vier Gesandten der Konferenz begnijgten sich aber nicht, die Türkei nachgiebig zu machen, sondern zeigten auch Ruß land, daß es von seinem ungerechte» Angriff Nichts zu erwarten habe. Sir erklärten nämlich, die Er haltung der Türkei in deren ganzem Gebietsumfange sei für die Ruhe und das Gleichgewicht Europa'4 eine Nothwcndigkeit. Kaiser Nikolaus konnte nach dieser Erklärung an den fünf Fingern abzählcn, daß er ganz Europa gegen sich haben werde, sowie er den Versuch mache, sich ein Stück Türkei los- zureißen. >Hat er unrichtig gezählt, hat er gar nicht ge zählt, ich kann es nicht vcrrarhen, aber das weiß ich, daß die russische Politik einen starken Rechnungs fehler gemacht hat. Kaiser Nikolaus rechnete auf die Unterstützung der deutschen Großmächte, und zwar versuchte er bei zwei Zusammenkünften, die