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Die Sozialdemokratie und die Wohnungsfrage. Bekanntlich sind die Staatsregierungen wie auch viele Gemeindebehörden in Deutschland be müht, durch zeitgemäße Reformen und Organisationen bessere Wohnungen für die wenig bemittelten Volksklaffen zu schaffen und selbst der Reichstag hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Dabei ist da» Ergebniß zu Tage getreten, daß im Bunde», rathe die Anschauung überwiegt, daß nicht da deutsche Reich und auch nicht die einzelnen Bundesstaaten, sondern die Gemeinden selbst ent« svrechende Reformen de» Wohnungswesen» sür die unteren Bolkskloffen durchsetzen sollen. Dieser Weg zur Aufbesserung der Wohnungen muß, praktisch genommen, auch al» der einzig gangbare bezeichnet werden, da r» thatsächlich eine Aufgabe der Gemeinden ist, im Wohnungswesen Uebelstände zu bekämpfen und zwar den lokalen Verhältnissen entsprechend. Die mit dieser Reformarbrit ver bundenen riesigen Schwierigkeiten und da» sehr langsame BorwärtSschreiten der Bemühungen, die WohnungSverhältniffe der Arbeiter zu bessern, hat nun die sozialdemokratische Zentralleitung ver anlaßt , in der Wohnungsfrage ihr Parteikunst stücklein demnächst in Szene zu setzen. Stolz und prahlerisch verkünden die Soziolistenblätter, daß der nächste sozialdemokratische Parteitag sich mit der Wohnungsfrage beschäftigen und sie, natürlich tm sozialdemokratischen Sinne, lösen wird. Da heißt, man wird auf dem sozialdemokratischen Parteitage entsetzliche Schilderungen der Arbeiter wohnungen, die schlechter wie die Biehställe vieler Grundbesitzer seien, zu hören bekommen, und dann wird der sozialdemokratische Parteitag Forderungen zur Lösung der Arbeiterfrage stellen, die kein Staat und keine Gemeinde und auch kein Arbeit geber bewilligen kann, oder der sozialdemokratische Parteitag wird dem heutigen Staat, der nur eine versumpfte, besserung-unfähige Masse darstellen soll, gleich das BerdammungSurtheil sprechen, und dann ist ja der Zweck erreicht, den die Sozial demokratie mit der Erörterung der Wohnungsfrage auf ihrem Parteitage erlangen will. Denn e» gilt ja den Sozialistenführern gar nicht darum, eine WohnungSrrform im heutzutage möglichen Sinne zu fördern, sondern sie wollen nur den revolutionären Geist weiter schüren, wollen nach weisen, daß der gegenwärtige Staat und die heutige Gesellschaft gar keine WohnungSrrform durchsetzen können und deshalb vernichtet werden müssen, damit den Arbeitern wie auch allen anderen Menschen eine anständige Wohnung durch sozialdemokratisches Grundgesetz geschaffen werden kann. UnS ist zur Erreichung der vollen Zu friedenheit im sozialdemokratischen Staate der Zu kunft nur ganz unklar, wie die Wohnungen in großen und kleinen Häusern vertheilt, wer im ersten Stock und wer unterm Dache, wer in der Sonnenseite und wer im Schatten wohnen soll!?! Oder sollen etwa nur normale Häuser mit Dreh scheibe im sozialistischen Zukunftsstaate eingerichtet werden, damit kein Bürger zu wenig und keiner zu viel hat?! — Dann müßten aber erst so ca. 20 Millionen Häuser eingerissen oder kurzer Hand verbrannt werden, also erst recht allgemeine Noth und Verarmung eintreten, um nur in den sozialdemokratischen Taubenschlag zu kommen. Kurzum jeder ist ein Thor, ein naiver Schwärmer, der von der Sozialdemokratie eine ernst gemeinte positive Reformarbrit erwartet. Sie zielt nur auf Schürung der Unzufriedenheit, weil sie davon lebt, kann aber niemals schöpferisch wirken, weil ihr Prinzip eine Ertödtung der schöpferischen Arbeit, die allein der harte Kampf umS Dasein im Menschen her- vorbringt, ist. Und daran wollen wir denken, wenn auf dem sozialdemokratischen Parteitag gegen den heutigen Staat und die Gesellschaft gewettert wird. Politische Welisch««. Zwei bemerkenSwerthe Ereignisse haben sich soeben im deutschen Kaiserhause unter inniger Theilnahme des preußischen und deutschen Volkes vollzogen, die Einstellung des Prinzen Eitel Friedrich, des zweiten Sohnes des Kaiserpaares, in die Armee und die ins Werk gesetzte erste große Seereise seines nächst ältesten Bruders, des Prinzen Adalbert. Entsprechend einem alten Brauche im Herrscher. Hause der Hohenzollern, ist Prinz Eitel Friedrich an seinem 18. Geburtstage, am 7. Juli, in das Osfizierkorp» der vaterländischen Armee ringerriht worden, in das zu Potsdam garnisonirende historische erste Garde - Regiment z. F. Man rühmt dem jugendlichen Kaisersohne, der nunmehr seine militärische Laufbahn begonnen hat, ein be sonders lebendige» Pflichtgefühl, sowie großen Ernst und Eifer in Erfassung und Durchführung der ihm überwiesenen Ausgaben zu, und man darf zuversichtlich hoffen, daß er diese rühmlichen Eigen schaften auch in dem ihm von nun ab überwiesenen^ militärischen Wirkungskreise bethätiarn wird. Prinz Adalbert seinerseits, der bekanntlich gemäß dem Willen de» Kaisers sür den SeemannSberus be stimmt ist, womit sich ja ebenfalls ein« ältere Gepflogenheit des preußischen König»haulr» erfüllt, hat zur Stunde seine erste große «Fahrt- an Bord de» Schulschiffe» «Charlotte* angrtreteu, mit welcher der 16jährige Prinz sein« maritime Laufbahn würdig rinleitet. Soweit bi» jetzt da» Reiseprogramm der «Charlotte* festgesetzt ist» wird sie verschiedene europäische AuSlandShäfen, dann afrikanische und amerikanische Küstengebiete, sowie Wrstindien besuchen und im Ganzen über neun Monate von der deutschen Heimath abwesend sein. — Die Verabschiedung de» Kaiser» vom Prinzen Adalbert dürste voraussichtlich in Swinemünde im Laufe diese» Montag erfolgen, im Anschluffe hieran tritt der Kaiser seine NordlanvSfahrt an, während sich Prinz Adalbert mit der «Charlotte* zunächst nach Stockholm und dann nach Peters burg, hierauf wahrscheinlich nach Cristianasand in Norwegen begiebt. Die erwartete marokkanische Sonder gesandtschaft ist nach Beendigung ihre» Londoner Aufenthaltes am Freitag Abend in Berlin eingetroffen. Die Einführung der Rückfahrkarten mit 45tägiger Giltigkeit ist nunmehr nach dem Borbilde der preußischen Staatsbahnverwaltung, wohl von sämmtlichen übrigen Eisenbahnver- waltungrn in Deutschland zum Beschluß erhoben worden. Fast überall hat man hierbei die Giltigkeit der neuen Rückfahrkarten sowohl im Binnenverkehr der einzelnen Bahnverwaltungen, al« auch im Wechselverkehr derselben ausgesprochen. Nur hie und da finden Ausnahmen statt; z. B. bleiben im Verkehre der oldenburgischen Eisen- bahnen unter einander die eintägigen Rückfahr karten wie bisher bestehen. Den widersprechenden Zeitungsnachrichten über eine angeblich bevorstehende Reise des Reichs kanzlers Grafen Bülow nach PeterS- bürg dürste eine von anscheinend unterrichteter Seite stammende Mittheilung der «Nat.-Zeitung* ein Ende bereiten, der zufolge eine solche Reise de» Reichskanzler» nichtin Aussicht genommen ist. Der preußische Finanzminister von Rheinbaben und sein College, der Eisen bahnminister v. Thielen, wohnten am Sonntag den vom Rheinischen Goethe-Verein in Düsseldorf veranstalteten Festspielen bei. DaS Präsidium des ReichSaufsichtS- amteS für da« PrivatversicherungS- wesen ist gebildet. Der Name de» gewesenen JustitionS beim brandenburgischen Konsistorium, vr. Reicke, findet sich aber hierbei nicht vor. Eine Schamlosigkeit. DaS sozialdemo kratische „Witz*blatt „Der wahre Jakob* bringt ein schamloses Gedicht zur Heimkehr unserer ost astatischen Truppen. Die letzte Strophe diese» Machwerks lautet: „Unsere Hunnen kehren wieder, Schlapp vom Sengen, Brennen, Morden. Und 'ne Viertelmilliarde Sind wir dabei lo« geworden." Dazu bemerkt die „Cons. Corr." mit Recht: Schändlicher, als hier, sind wohl selbst vom wüthendsten ausländischen Feinde die deutschen Truppen noch nicht beleidigt worden. Die vielen Arbeiter, die mit Stolz die Uniform getragen haben und die sich noch heute mit der Armee eins wissen, werden aus dieser neuesten sozialdemo kratischen Leistung erkennen, welche „Ehre* e« ist, zur Sozialdemokratie zu gehören. Der Verfasser dieses schmutzigen Machwerks nennt sich übrigens Heymann. Die Nachricht, Spanien habe Deutsch land da» Vorkaufsrecht aus die spanische Insel Fernando Po gewährt, bestätigt sich nach einer Meldung von unterrichteter Berliner Seite nicht; eS sollen zwischen Berlin und Madrid seit Jahren keine Verhandlungen in dieser Frage statt gefunden haben. DaS Kapitel der französisch-marok kanischen Beziehungen kam am Freitag infolge einer Anfrage im französischen Senat zur Sprache. Laut der hierauf abgegebenen Er klärung de» Minister» de» Auswärtigen DelcassS sind alle Zwischenfälle der jüngsten Zeit zwischen Frankreich und Marokko befriedigend beigelegt, wobei der Minister aus die Anwesenheit der marokkanischen Sondergrsandtschast in Pari» hin- wie». — InPari» tritt im Laufe dieser Woche eine deutsch-französische Kommission zu sammen, um einige noch strittige Punkte in der Abgrenzung zwischen dem deutscheu Gebiet in -V VG Der stchsische «rtzichl«. Wette». LGGL Togo und dem französischen Gebiet in Datz-metz regeln. . . Dem Burenagitator Andrie» Dewet, einem Neffen de» berühmten General» Dewet, ist, wie schon von der belgischen Regierung, ietzt auch feiten» der französischen Regierung der Spahl vor die Thür gesetzt worden. Er erhielt, kau« au» Brüssel in Pari» einaetroffen, die behördliche Aufforderung, die französische Hauptstadt wieder zu verkästen — abermals ein Bewei», wie sogar die Regierungen großer Mächte ängstlich bemüht sind, den Engländern gegenüber auch nur den Schein einer Parteinahme für die Buren »u ver- meiden! In der belgischen Deputirtenkammer hatte übrigen» die «Abschiebung* Andrie» Dewet'» au» Belgien noch ein Nachspiel zur Folge, indem die Regierung wegen ihre» Vergehen» io dieser Angelegenheit von sozialistischer Sette heftig an gegriffen wurde. In Konstantinopel droht sich ein förmlicher Pestherd zu bilden. Schon vor einigen Tagen mußten in der türkischen Hauptstadt zwei Pestfälle amtlich festgestellt werden, inzwischen sinh aber zwei neue Fälle hinzugekommen, in der Vorstadt Kassim Pascha erkrankte eine Griechin und in Galata rin Tischler an der Pest. Der inter nationale SanitätSrath in Konstantinopel hielt infolge dieser Mehrung der Pestfälle am Sonn- abend eine Sitzung ab. Hoffentlich wenden vor Allem die europäischen Nachbarstaaten der Türkei dem Auftreten der Pest in der türkischen Haupt- stadt ihre ernsteste Aufmerksamkeit zu. Großfürst Alexander Michailowitsch, Kommandeur des dem Verbände der russischen Schwarze Meer-Geschwader zugetheilten Panzer schiffes „Rostiplaw* wird gelegentlich der bevor stehenden UebungSfahrt de« Geschwader» mit seinem Schiffe dem rumänischen Hafen Konstanza einen Besuch abstatten und hierbei vom rumänischen Minister des Auswärtigen empfangen werden. Vielleicht hat man in diesem angekündigtrn Vor gänge den Versuch einer Wiederannäherung Ruß land» an Rumänien zu erblicken. Im englischen Unterhaus« haben in vergangener Woche heftige Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und der liberalen Oppo sition wegen des südafrikanischen Krieges statt gefunden. Die Wortführer der letzteren forderten, daß England den Buren versöhnlich entgrgenkomme, während regierungsseitig daran sestgehaltrn wurde, daß England den Buren die verlangte Unabhängig, keit unmöglich zugestehen könne. — Im englischen Unterhause kam am Freitag wiederum VaS Thema von der behaupteten Unzulänglichkeit der englischen Mittelmeerflotte zur Sprache, der Vertreter der Ad miralität, Lord Selborne, bestritt, daß die maritime Stellung Englands im Mittrlmeere gefährdet sei. Die Unterhandlungen zwischen den Kabinetten von Washington und Petersburg wegen des amerikanisch-russischen Zollkonflikts nehmen ihren. Fortgang. Neuerding» ist im Washingtoner Auswärtigen Amte eine versöhnlich klingende Note Rußlands überreicht worden. In Buenos AyreS scheint ein Aufstand zu drohen, da über die Stadt der Belagerungszu stand verhängt wurde. Mehrere Minister gaben ihre Entlassung. Eine „Reuter*-Depesche ver sichert freilich, zur Zeit herrsche in Buenos AyreS und in ganz Argentinien Ruhe. An der koreanischen Grenze ist eS zu einem neuen Kamps zwischen chinesischen Banden und koreanischen Truppen gekommen, erstere wurden zurückgeworfen. Potsdam, 7. Juli. Gegen 11 Uhr begab sich die kaiserliche Familie vom Neuen Palai» nach dem Stadtschloß in Potsdam. Der Kaiser fuhr mit dem Prinzen Eitel Friedrich. Im inneren Hofe des Stadtschlosses hatte eine Ehren- kompagnie des Garde-Jägerbataillon» mit Fahne und Musik Ausstellung genommen. Der marokka nische Gesandte erschien, begleitet von dem Ein führer des diplomatischen Korps, Bice-Ober- ceremonienmeister v. d. Knesebeck, in vierspännigem, L 1» Daumont gefahrenen Wagen mit Spitzenreitern und fuhr die Front der Ehrenkompagnie ab. Die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft folgten in könig lichen Wagen. Hierauf fand im Bronzrsaale de» Stadtschlosse» der Empfang der Gesandtschaft durch den Kaiser in Gegenwart de« Staatssekretär» de» Seußern, Frhrn. v. Richthofen, statt. Später empfing dir Kaiserin die Gesandtschaft. Um 12 Uhr nahm der Kaiser die Meldung de» Prinzen Eitel Friedrich entgegen, stieg sodann i» Hofe de« StadtschlosteS zu Pferde und begab sich mit dem Prinzen Eitel Friedrich nach dem Lustgarten. Hier hatte da» 1. Garde-Regiment z. F. t« offenem Viereck Ausstellung genommen. Die Prinzen-Söhne, einschließlich de» Kronprinzen,