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ihrer heute 31b Protestanten sind. WaS aber vor 300 Jahren der Väter Freude und Kraft war, evangelische Predigt, war längst verstummt. Drei katholische Kirchen in dem kleinen Ort, die eine in ein Tabattlager verwaudrlt, die zweite jährlich nur einmal zu einer sesdlichen Messe bei Gelegenheit de» BenediktinermarveS benutzt, die dritte endlich ihre« wirklichen Zweck dienend, — aber keine Stätte für da» kleine evangelische Häuflein, wo fle ihre Lieder singen und Gotte« Wort hören könnten, Irin Religionsunterricht für die Kinder, kein Tröster in Noth und Tod — denn bi» zum nächsten Psarrorte — Graz — sind etwa 4 Stunden Eisenbahnfahrt; da verklangen nach und nach die alten Schutz« und Trutzlieder der Reformation, da brannte da» TlaubenSfruer nieder und drohte schier zu verlöschen. Wie der sinkende Petru», so riefen sie oft in der Stille zum Herrn: Herr, hilf, wir verderben! Da schickte Ende Dezember 1894 da» zuständige Grazer Pfarramt den Vikar Beck zum ersten Mal nach Fürstenfrld, die dortigen Verhältnisse zu prüfen. Er erkannte die unbedingte Nothwendigkeit — wenigstens — monatlicher Gottesdienste und regel mäßigen Religionsunterrichts für die Kinder. Beide» wurde denn auch eine Zeit lang, bi» 1896, monatlich einmal vom Grazer Vikar abge« halten, — und auch jetzt nur unregelmäßig und mit großen Unterbrechungen. Die 20 evangelischen Schulkinder in Fürstenfeld, bisher gänzlich vrr« nachlässige, konnten nicht einmal jeden Monat eine Religionsstunde erhalten. Wenn aber Gottesdienst stattfand, dann kamen sie Alle, Alt und Jung, und die vrri Zimmer im Kogel« mann'schrn Gasthofe erwiesen sich bald al» zu klein. ES mußte also ein größere- Lokal gesucht werden. Man dachte daran, die schon erwähnte, als Tabakslager benutzte, katholische Kapelle zu erwerben; e» wurde eine dementsprechende Eingabe an die Behörde gemacht, aber am 25. April 1898 kam der amtliche Bescheid de» Finanzministeriums, die Kapelle werde nicht verkauft. Rohtabak war ein würdigerer Inhalt für eine katholische Kirche, als eine evangelische Gemeinde. Man hatte diesen Bescheid erwartet und darum schon andere Schritte gethan, ein gottesdienstliches Lokal zu bekommen. Die Brauereibefitzer Herren Pferschy besaßen einen in einer Schlucht dicht bei der Stadt gelegenen Eiskeller. Ueber diesem Eiskeller befand sich ein, früher al» Tischlerwerkstatt gebrauchter, jetzt unbenutzter Saal. Er war nur klein, aber vor« läufig mochte er auSreichen. Die Besitzer kamen der evangelischen Gemeinde aus» Freundlichste entgegen und stellten den Eiskellersaal gerne zur Verfügung. Schnell wurde er — mit allerdings nicht unbedeutenden Kosten — zum Brtsaal her gerichtet, und am 13. Oktober 1895 konnte Vikar Beck den ersten Gottesdienst im evangelischen Betsaal halten. Bis auf den heutigen Tag ver sammeln sich die Fürstenfelder in diesem Eis« ketlersaal. Freilich reichte der kleine Saal bald nicht mehr aus. ES kamen Deutsch-Ungarn über die Grenze zum Gottesdienste, Katholiken wollten evangelische Predigt hören, so mußte durch Niederlegung einer Wand schon im Februar 1899 ein Zimmer hinzugenommen werden, im Juli 1900 ein zweite», — jetzt ist aber aller ver fügbare Raum benutzt, und doch reicht er oft nicht aus, — die Fürstenfrlder müssen eben eine Ksirche hahen! Und sie sollen sie haben! Die Festkollekte soll dazu verwendet werden, ihnen diese Kirche bauen zu helfen und wenn sie sertig ist und eingeweiht wird, fo wird man dankbar auch der Geber in Bischofswerda gedenken, die dazu bei- dem Festgottesdienste de» Dresdner Haupt verein» der Gustav Adolf-Stiftung einen „Bau« stein" geliefert haben. — Während bisher im Königreich Sachsen die ländliche Bevölkerung immer noch die städtische Bevölkerung überwog, ist nunmehr nach den Er« grbnissen der letzten Volkszählung da» Umgekehrte eingetreten. Nach den vorläufigen Feststellungen hatte nämlich Sachsen am 1. Dezember 1900 4,199,758 Einwohner; von diesen entfielen 2,111,791 auf die städtische und 2,087,967 auf die ländliche Bevölkerung. Die erstere zählt somit 23,824 Seelen mehr al» die letztere. Neustadt i. S., 18. Juni. Unter Vorsitz de» Herrn JustizratheS vr. Gensrl au» Leipzig hielt am 16. Juni der Sächsisch« Landesverband der Gesellschaft für Verbreitung von volk»bildung hier seine diesjährige ordentliche Hauptversamm lung ab, zu welcher von feiten der in Berlin domizilirenden Hnttrale Herr vr. Pohlmeyrr au» Berlin abgtordnrt worden war. Die Zahl der stimmfähigen Körperschaften und persönlichen Mit glieder des LandeSoerbande«, dessen Vorort Leipzig ist, betrug Ende de» Jahre» 1900 zu sammen 573, gegen 544 de» Vorjahre», bestehend in 252 Körperschaften, darunter 28 unterstützen den Stadtgemeinden, al» Dresden, Leipzig, Ehemnitz, Zwickau, Löbau, Meißen, Plauen, Zittau und andere, und in 321 persönlichen Mitgliedern, zu denen auch namhafte Dresdner Persönlichkeiten gehören, wie die Herren Geheimer RegierungSrath Professor vr. Böhmert und Schulrath Fink in Dresden, und zwar dem Vorstände. Die Thätig- krit des Landesverbandes, dessen Schriftführer der verdiente Direktor Töhn in Leipzig ist, umfaßt die Gründung und Unterstützung von Volks« und BerrinSbibliotheken, Gewährung von Büchrrprämirn an Schüler, Verbreitung von Schriften zu geistiger und sittlicher Hebung de» Volke», Ver mittelung belehrender Borträge, Urberlassung von Wanderrednern der Gesellschaft, unentgeltliche Dar leihung von Lichtbilderapparaten und überhaupt An gelegenheiten der Volksbildung und BolkSwohl- fahrt. Dem Vereine sind durch das Reich, ver schiedene Bundesstaaten, vor allem Preußen, und durch den deutschen Kaiser bedeutende Summen als Unterstützung de» guten Zwecks zur Ver fügung gestellt worden und damit ist auch für den selben rin materiell feste Basis geschaffen. Die zahlreich besuchte Hauptversammlung, deren Glanz« punkt ein Vortrag des Herrn Justizrath» vr. Gensel über „Bildende Kunst und Volks bildung" bildete, nahm Kenntniß vom Geschäfts berichte, sprach die JahrrSrechnung richtig, erledigte die BorstondSwahlen durch Wiederwahlen und wählte schließlich al» künftigen HauptversammlungS- ort Marienberg i. Erzgeb. An die Hauptver sammlung schlossen sich ein animirteS Festesten und Spaziergänge in die herrliche Umgebung Neu stadt», nach der Götzinger Höhe, dem Unger und dem Baltenberge. Möchten die Bestrebungen de» Sächsischen Landesverbandes diesem und damit auch dem Centralverbande die verdiente Beachtung, allseitige werkthätige Unterstützung und immer neue Freunde und Gönner zusührrn, beweisen doch die bedeutend m Geldbeträge, die dem Ver bände vom Reiche wie von dem Kaiser und den Bundesstaaten überwiesen wurden, daß diese Be strebungen um die Volksbildung dort wohl ge würdigt und anerkannt werden und mit ihnen ge rechnet wird. Bautzen, 17. Juni. Gestern spendete in der zur preußischen Nachbardiöcese Breslau ge hörigen, in der Nähe der sächsischen Grenze, bet Königswartha gelegenen Stadt Wittichenau der Kardinal vr. Georg Kopp, Fürstbischof von Breslau, das heilige Sakrament der Firmung. Da bereit» 1891 die letzte derartige Festfeier ab gehalten worden war, so hatten sich diesmal über 600 Firmlinge eingefunden. Heute früh weihte hier der Kardinal die zum Asyl der Kranken schwestern vom hl. Karl BoromäuS gehörige Kapelle und begab sich hierauf zu Wagen zum Besuche in'S Kloster Marienstern. Nach kurzem Aufenthalte fuhr er in Begleitung de» Herrn ^.äm. ecol. Domkapitular WuschanSki nach Bautzen. Hier besichtigte er die neu auSgrstattete wendische Pfarrkirche „zu unserer lieben Frauen" und den altehrwürdigen Dom. Am Nordringange desselben empfing ihn die vollzählig erschienene Domgeistlich keit und geleitete ihn .zunächst zu kurzem Gebete nach dem Hochaltäre. Nach Besichtigung der in der Sakristei ausbewahrten alten und neuen Dom schätze unternahm der hohe Besuch einen Umgang im Innern der Kirche und begab sich zu Fuß in» Domstift. Um halb 6 Uhr reiste der Kardinal mit dem Schnellzuge in seine bischöfliche Residenz BreSlau zurück. In seiner Begleitung befand sich sein Teheimsekrrtär vr. Steinmann. Cunewalde, 18. Juni. Zum Ausstande der hiesigen Weber wird den „L. N. N." ge schrieben: Bi» vor ungefähr 12 Jahren wurde hier nur Handweberri getrieben. Die seit dieser Zeit entstandenen mechanischen Webereien be schäftigten zumeist nur Weberinnen, darunter sehr viel jüngere Leute. Männliche Arbeiter sind ver- hältnißmäßig wenige al» Weber thätig. Die Weber verdienen je nach Aufmerksamkeit, Geschick- lichkeit und Art der Beschäftigung Ist bi» 44 Mk. per Lohaperiode von 12 Arbeitstagen. Dahet ist hervorzuheben, daß der erstgenannte Lohnsatz von 12 Mk. der MindestvcrdieNst derjenige» Weber ist, welch« da» Weben in drn Fabriken erst lernen. Die Lohnrevision, welche zmn «usstand führt«, betrifft in mehreren FabrEe» nur einen Theil der Lohnsätze, versuche zur Sachsen. V. Bischofswerda. Ueber FÜrstenseld, dem auf Vorschlag de» Dresdner Hauptverein» der Gustav Adolf-Stistung die KolleKe durch den FestgotteSdirnst bei Gelegenheit der Jahresver sammlung in Bischofswerda zufallen soll, wird un« Folgende» berichtet: Fürstenfrld „die stramme, wackere Grenzwacht deutscher Kultur und Sitze", ein Städtchen von ca. 4700 Einwohnern, hart an der ungarischen Grenze gelegen, war einstmals, vor den Drangsalen der Gegenreformation unter Ferdinand II. (1595—1629), eine gut evangelische Stadt. In der „Chronik der Stadt Fürstenfeld" von Lange (S. 103) wird erzählt: „Die lutherische Lehre breitete sich trotz aller Gegenmaßregrln immer mehr und mehr au»; im Jahre 1549 war der größte Theil Ver Fürstrnfelder Bevölkerung dem neuen Glauben zugrthan." Und ein anderer berichtet (Krauß: Führer durch die nordöstliche Steiermark): „Die 1517 von Wittenberg aus gehende Reformation ergriff bekanntlich auch Steiermark mit elementarer Gewalt, und um das Jahr 1549 war auch der größte Theil der Be völkerung der Stadt Fürstenfrld „lutherisch", ja, es wurden in diesem Jahre vom Magistrate der Stadt sogar die Augustinermönche vertrieben, wie auch zwei Pfarrer von Fürstenfrld lutherische Prediger wurden, und zwar Max Weilhauser (1556) und Thomas MyliuS (1571). Mit der gewaltsamen Maßregelung der Bürger durch die unter starker Bedeckung da» Land durchziehende Gegenreformations-Kommission, die am 6. Mai 1600 hier anlangte, erlosch, nachdem viele, zähe an der neuen Lehre hängende Bürger der Heimath für immer den Rücken kehrend, über die ungarische. Grenze gewandert waren, auch hier die neue Lehre." So ist rS in allen österreichischen Ländern ge gangen, die der fanatische Jesuitenschülcr Ferdinand II. regierte. Um 1550 war Steiermark ein weit überwiegend evangelisches Land; der Adel halte sich muthig und opferbereit auf die Seite de» Evangelium« gestellt und jahrelang die neue Lehre mit Erfolg gegen die Unterdrückungsversuche Karl» II. vertheidigt. Ganze Städte und Märkte traten zur Kirche des Evangeliums über, in den Bergen der Obersteiermark ging durch die Bauern häuser rin mächtiges Pfingstwehen — wo ist die herrliche Saat geblieben! Wo die Frucht, die da raus reifen sollte! Zertreten Alles mit eisernem Fuß! Jesuiten und Scharfschützen zogen durch'- Land; was die Predigt und daS Beichtehören, das Drohen mit Bann und Interdikt, das Fluchen rm Namen Gottes nicht vermochte, da» haben die geladenen Gewehre Ferdinand'schrr Soldaten erreicht. Haben sie auch wohl kein Blut ver gossen, damit nachher von einer „friedlichen" Ausrottung der Ketzerei gefabelt werden könne, sie haben doch gedroht; und der muß schon ein Held im Glauben gewesen sein, der, mit geladenen Flinten vor die Wahl gestellt: „Rom oder den Tod" — drn Tod und die Wahrheit wählt. So ließen sich denn Viele — auch in Fürstenfeld — wieder katholisch machen. Aber dieser aufgedrängte Katholizismus hat auch stet» die Merkmale seiner Entstehung getragen. Er war nicht wie eine am Baume de» Volkslebens gereifte Frucht, sondern wie eine ausländische Blume, die man an einen deutschen Baum gebunden hat; nicht geworden, sondern gemacht. Alle Kenner stimmen darin überein, daß der Katholizismus in Oesterreich seit der Reformation nie tief in daS BolkSbrwußtsein eingrdrungrn sei; alle scheinbare Religiosität (im römischen sinne) ist äußerliche Form oder Angst vor dem mächtigen Kleru» geblieben. Wer sich nun nicht katholisch machen lassen und doch sein Leben erhalten wollte, der mußte zum Wander stabe greisen. Hau» und Hof, Hab und Gut mußte er im Stiche lassen, sein vermögen wurde „rechtmäßig" konfiSzirt, arm wie eine Kirchenmau» durfte er in dir weite Ebene de» nahen magyarischen Reiche» Liehen; dort durfte er seine» Glauben» leben. Noch heute leben hie Urenkel jener ver« trirbenen, evangelische, deutsch redende Ungarn, in größeren Gemeinden an der steirischen Grenze. Seitdem aber Kaiser Josef, der zeitweise fast wie ein Heiliger verehrt wurde, da» Toleranzedikt er lassen, seitdem da» Jahr 1848 drn österreichischen Protestanten endlich völlige Gleichberechtigung mit den Katholiken gebracht, — kamen einzelne ap» jenen Emigrävtrngemrindrn nach Stetermark, auch nach Fürstenfrld zutück; und seit Errichtung der -roßen k. k. Tabaksfabrik in Fürstenfrld sammeln sich wehr und mehr die Nachkommen der einst vertriebenen la ihrer alten Heimath an, so daß Zweite Anlage zu Ar. 72 des sächsischen Lrzähters < h«r 2«. Juni LVV1