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Zweite Anlage zu Ar. 35 des sächsischen Lrzählers Bischofswerda, de« S3. MSrz 1V01. Deutscher Reichstag. * 72. Sitzung vom 20. März, 11 Uhr. Am BundeSrothStisch: Gras v. PojadowSky. Um die dritte Lesung des Etats, wenn möglich noch heute beende« und Ferien machen zu können, be gann die Sitzung bereits um 11 Uhr. Wie nach dem Schluß der gestrige« Sitzung vorauSzusehen war, setzte die heutige Berathung sogleich mit einer Art Stöcker-Debatte ein. Nach einigen Be merkungen drS Abg. Herold (C.), der allmonat liche Berichte über die Vorgänge auf dem inter nationalen Getrridemarkt wünschte, und einer Erwiderung drS Staatssekretärs Graf v. Posa- dowsky, der für die Anregung dankte, nahm da« Wort Abg. Bebel (Soz.), der dem Abg. Stöcker da« Recht absprechen zu sollen glaubt, über die Sozialdemokratie zu Gericht zu sitzen. Redner zog zu dem Zweck mehrere politische Pro zesse heran, um den Nachweis zu erbringen, daß der Abg. Stöcker sich wiederholt mit der Wahr heit in Widerspruch gesetzt habe. In ähnlichem Sinne sprachen sich die Abgg. Ledebour, Singer und Stadthagen aus, die sich wiederholt wegen Verletzung der Würde deS Hauses Ordnungsrufe zuzogen. Abg. Stöcker, der inzwischen im Saale erschienen war, wies nach, daß alle jene gegen ihn vorgebrachten Dinge längst widerlegt seien, und wandte sich sodann gegen den Abg. Singer, von dem in einer Gerichtsverhandlung festgestellt worden sei, daß seine Mäntelfirma schlechte Löhne gezahlt und die Näherinnen auf den Weg der Schande verwiesen habe. Dabei kam es zu sehr erregten Scenen. Abg. Singer behauptete, auch er ver abscheue den diesbezüglichen Ausspruch seines CowpagnonS, im Uebrigen sei aber von seiner Firma nach dem Grundsatz nicht gehandelt worden. Abg. Bebel fügt ergänzend hinzu, daß Singer seine ganze Kraft und sein ganzes Vermögen in den Dienst der Partei stelle und daß er von ihr hochgeschätzt werde. Abg. Stöcker erwiderte, wenn die sozialdemokratische Partei sich mit diesem Ausspruch Singers abfinde, so habe er nichts da gegen, sie müsse es sich dann aber gefallen lassen, daß sie nicht als Anwalt des Arbeiters gelten könne. Im Uebrigen beziehe er sich auf die Fest stellung deS Erkenntnisses. Nach längerer sehr erregter Debatte wurde endlich gegen 3 Uhr die Verhandlung geschlossen und der Etatstitel bewilligt. Beim Etat der Militärverwaltung er widerte auf eine Beschwerde des Abgeordneten Kunert Generalleutnant v. Vie bahn, daß die Militärverwaltung den im Dienst invalide ge wordenen Militärpersonen gegenüber durchaus ihre Schuldigkeit thue. Da, wo Mißhandlungen vor kämen, würden die Schuldigen aufs Strengste be strast. Was den Fall Krosigk betreffe, so könne er nur wie bei der zweiten Lesung sagen: Lasset dieTodten ruhen! Nach weiterer unwesent licher Bemerkung wurde der Militäretat genehmigt und nach Erledigung deS Etats der Marine wurde die Weiterberathung auf Donnerstag 11 Uhr vertagt. * 73. Sitzung vom 21. März, 11 Uhr. Am BundeSrothStisch: Nieberding, Frhr. v. Thiel- mann, v. PodbielSkiund zahlreiche Kommissare. Auf die wildbewegten Sitzungen des gestrigen TageS folgte heute eine schwach besuchte und ein tönig verlaufende Schlußsitzung. DaS Geburts tagskind — der Reichstag kann heute sein dreißig jähriges Bestehen feiern — scheint seinen Geburtstag verleugnen zu wollen. Weder der Präsident, noch irgend rin Mitglied nahm Anlaß, deS Umstandes zu gedenken, daß heute vor dreißig Jahren Mittag« 12*/, Uhr der deutsche Reichstag zum ersten Mal in feierlicher Eröffnungssitzung im Weißen Saal de« Königlichen Schlosse» zusammengetreten und vom alten Hrldenkaiser Wilhelm eröffnet worden ist. Zur Berathung stand die Fortsetzung der dritte« Lesung des Etat», und zwar zunächst der Etat der Reichsjustizverwaltung. Abg. Heine (Soz.) kam erneut auf den Fall de« Land gerichtsdirektors Schmidt zu sprechen, der durch «inen Druck von oben au» seinem Amte gedrängt worden sei, weil bei einem MojrstätSbeleidigungS- Prozeß gegen Harden unter seinem Borsitz eine Freisprechung erfolgte. Der preußische Minister Schönstedt habe ihn im Landtage dieserholb einen Lügner genannt. Er müsse da» zurückweisen und seine Verwunderung darüber au»sprechru, daß Minister Schönstedt heute nicht im Reichstage er schienen sei. Staatssekretär Rieberding «eist di« Angriffe gegen den preußischen Justizmiuistrr Mück und fügt hinzu, daß der Reichstag kein Recht habe die Anwesenheit von BundeSrath»- I Mitgliedern zu verlangen. Rach weiterer mehr persönlicher Debatte wird diese Angelegenheit ver lassen. Die Resolution, neben der Statistik über die bedingten Begnadigungen auch eine Statistik über die unbedingten Begnadigungen und des wei teren einen Gesetzentwurf, betr. die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft vor zulegen, wurden mit großer Mehrheit angenommen. Beim Etat deS Reichsschatzamt« richtet der Abg. von Kardorff an den Staatssekretär des Reichsschatzamts die Anfrage, ob und wann der neue Zolltarif an den Reichstag gelangen werde. Staatssekretär Freiherr v. Thielmann giebt eine Erklärung dahin ab: Früher als im Laufe des April werde der Zolltarif nicht so weit vorbereitet sein, um den verbündeten Regierungen und dem BundeSrath vorgelegt werden zu können. Wie lange die Berathungen im BundeSrath dauern werden, sei er nicht in der Lage, sagen zu können. (Große Heiterkeit links.) Damit war auch dieser Etat erledigt. Der Etat der Reichseisenbahnverwaltung erfuhr keine Beanstandung. Beim Etat der Reichspostverwaltu.ng beklagte sich der Abg. v. Glebocki (Pole) erneut darüber, daß Postsachen mit polnischer Aufschrift nicht befördert würden. Staatssekretär von PodbielSki wieS diese Beschwerden al« unberechtigt zurück. Wenn die Herren Promptheit und Sicherheit des Be triebes wollen, so sollten sie sich deutscher Auf schriften bedienen. Nach weiterer unwesentlicher Debatte wurde auch dieser Etat genehmigt. Der Rest des Etats wurde ohne wesentliche Debatte angenommen, ebenso daS Etatsgesetz. Damit war die Tagesordnung erschöpft. DaS HauS trat in die Osterferien ein. Nächste Sitzung DienStag, 16. April, 2 Uhr. Schluß nach 6 Uhr. Vermischtes. — (Wegen eine« Pfennigs!) Drei jugend liche Arbeiter au» Werl hatten sich dieser Tage vor dem Schwurgericht zu Dortmund wegen Straßenraubes zu verantworten. Sie wurden beschuldigt, am Spätabend drS 8. November v. I. eine« Arbeitskollegen auf offener Straße über fallen, gemißhandelt und seine« Portemonnaie» beraubt zu haben. In diesem fanden die Räuber nur — einen Pfennig vor! Die Angeklagten, die rin offenes Geständniß ablegten, wurden dem An träge des Staatsanwalts gemäß unter Ausschluß mildernder Umstände zu schweren, aber gerechten Strafen vrrurtheilt. Zwei von ihnen erhielten je fünf Jahre Zuchthaus, während der dritte mit dreieinhalb Jahren Gesängniß davonkam. — In ein einsam stehendes Bahnwärter häuschen bei Grottau in Böhmen kam am Montag ein wüst aussehender Mann und ver langte in strengem Tone von der allein anwesenden Frau des Bahnwärters etwas zu essen und Geld. Als die Frau zögerte, zog der Strolch einen Revolver au» der Tasche und indem er denselben auf einen Hund richtete, der ihn anbellte, sagte er: „DaS ist mein Mittel, gegen Alle, die sich mir widersetzen!" Die Frau war zu Tode erschrocken und setzte dem Räuber da» für ihren Mann be- stimmte Essen vor, welche» sich Jener gut schmecken ließ. Mit der Waffe in der Hand verlangte dann der unheimliche Gast nochmal» Geld. In diesem Augenblick aber gewahrte er durch da» Fenster zwei mit Gewehren versehene Grenz wächter, die auf daS Häuschen zukamen, weshalb er die Flucht ergriff. Die Trenzwächter ver folgten den Gauner, allein diesem gelang r», zu entkommen. — Teplitz, 20. März. Die Gendarmerie verhaftete abermals drei Personen unter dem Ver dachte der Falschmünzerei. Die Zahl der bis jetzt in der Falschmünzeraffäre Verhafteten beträgt 25. Die Verhaftungen stehen mit den in Leipzig und Karlsbad erfolgten im Zusammenhänge. — (Grausame Lynchjustiz.) AuS New-Uork wird unter dem 13. März gemeldet: Ein Akt der Lynchjustiz von ungewöhnlicher Grausamkeit ereignete sich in Corsicana, TexaS. DaS Opfer ist der Neger John Henderson, der vor einigen Tagen Mr». Aounger, die Frau eines Farmer«, ermordete. Am DienStag Abend ging rin Haufe bewaffneter Männer von Corsicana nach der benachbarten Stadt Waco und brach in da» Gesängniß ein, in dem Henderson eingesperrt war. Der Neger wurde ergriffen und nach Corsicana geschleppt. Am Mittwoch früh brachte man ihn auf einen Platz an der Grenze der Stadt, wo ein hoher Holzstoß und ein eiserner Marterpfahl bereit standen. An diesen wurde der Neger angekettet, Reisigbündel wurden um ihn gehäuft und eine Fackel angelegt. Eine unge heure Menschenmenge wohnte der schrecklichen Szene bei. Die Männer waren alle bewaffnet und erklärten laut, daß sie sich etwa Dazwischen tretenden gewaltsam widersetzen würden. Henderson verlor angesichts der schrecklichen Vorbereitungen den Muth, schrie und bat seine unbarmherzigen Henker um Gnade, aber seinen Bitten wurde keine Beachtung geschenkt. Nachdem der Körper verbrannt war, zerstreute sich die Meng« wieder. Aus der Geschäftswelt. De Wet, der tapfere Buren-General, schenkt seinen englischen Gefangenen, da er nicht weiß, was er mit ihnen anfangen soll, bekanntlich die Freiheit» nachdem er sie mit» HV O (De WetS Own, d. h. De WetS Eigenthum) gestempelt hat und ihnen standrecht liche Erschießung androht, wenn sie zum zweiten Male in seine Hände fallen. Wie wir hören, sollen diese Aetz-Stempel, die zu ähnlichen Zwecke« wohl noch nie Verwendung fanden, au» der be kannten Stempelfabrik von OSemr Sperling, 8eipzig-R, Brommestr. 1, stammen, deren Kautschuk-, Brenn- und Metallstrmpel, Aetz- und Stempelfarben, Klischees, Plombenzangen, Blri- plompen, Kopierpressen, Kontrollmarken rc., Ver vielfältigungs-Apparate, Zeitstempel, Geldzahlteller sich, nebenbei bemerkt, eines Weltrufe«, besonderer Solidität und Dauerhaftigkeit erfreuen. Schlachtvieh-Preise aas dem Biehhafe z« Dresden am 21. März 1VV1 nach amtlicher Feststellung. zusammen ff 2792 Thier- gattnng Aus trieb Stück Bezeichnung. Marktpreis für SV dg Lebend- > Schlacht- Gewicht. Mk. > Mk. Ochsen 2« I) ». Bollslrtschige, auSgemästete höchsten Schlachtwerthe» bi»zu «Jahren 32—34 «0-83 l>. Oesterreicher desgleichen 2) Junge fleischige, nicht auSgemästete, — ältere auSgemiistrte . 33—SS 29-31 «1-«4 57-59 3) Mäßig genährte junge, — gut genährte älter« .... 20-29 53-56 4) Gering genährte jeden Alter» .... 23—2S 49—S2 Kalben und Kühe 1) Bollfleischigr, auSgemästete Kalben höchsten Schlachtwerthe» . 2) Bollfl., auSgemäst. Kühr höchsten Schlachtwerthe» bi» zu 7 Jahren N «rltrrr auSgemästete Kühr und wenig gut entwickelte jünger« Kühe 30—33 27-29 SL l I 3 2 und Kalb«, .... 24—2« 51-54 4) Mäßig genährte Kühe und Kalben .... ö) Germg genährte Kühe und Kalben 22—23 48—SV 44-47 Bullen 3S l) Bollfleischigr höchsten Schlachtwerthr» 32—34 56-58 2) Mäßig genährte jüngere und gut genährt« älter« 3) Gering grnährte 28—31 24—27 52-55 48-81 «Uber 1041 1) Feinste Mash- (Bollmilchmast) und beste Saugkälber . 41—43 «3—«8 2) Mittlere Mast- und gute Saugkälber 38—40 59-62 Schafe so S) Geringe Saugkälber 1) MaMuimer f 34—37 32—34 52-58 63—66 2) Jüngere Mastbammrl s — » 60-62 3) Arlterr Masthammel § Schwein« 1043 4> Mäßig grnährte Hammel und Schaf« (Mrrzfchase) 1) ». Bollpeischige der feineren Raffen und deren Kreuzungen tm Alter — »7—59 bi« pl 1»/. Jahren 4^—48 57—58 d. Fettschwet« 2> Fleischige . S) Gering rntwickrltr, sowie Sauen 47-48 42—44 39-41 59-80 54-56 50-53 GeschästSgang: «ei Ochsen, Kalben und Kühen, Bullen, Kälbern und Schweinen langsam.