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18 Vater können mich schützen, so vergiß Du mich wenigstens nicht ganz, damit ich doch weiß, daß ein Mensch auf Erden sich der trauernden Waise erinnert!" Leises Schluchzen hemmte sie in ihrer Rede. „Können wir uns auch nicht täglich sehen, Paul," fuhr sie, ihn unter Thränen treuherzig anblickend, fort, „so wird doch der Gedanke, daß Du mich nicht vergißt, mich aufrecht erhalten, mir Kraft geben, wenn das Schicksal die arme ver lassene Waise allzu herb prüfen sollte!" „Marie!" rief Paul, ihre Hand ergreifend. „Ist es denn wahr, was ich eben hörte? Ja, es muß wahr sein, denn im Angesicht dieses theuren Todten kann nur die Wahrheit über Deine Lippen dringen, ist doch auch jedes unwahre Wort Dir fremd! — Marie, so soll ich also in dieser ernsten Stunde ein Geständniß entgegennehmen, so süß und doch so traulich, daß es mich fast wie der Weihekuß einer geliebten Mutter an heimelt! Oh, sage mir, Marie, ist es wahr, daß Du dem Ge fährten Deiner Jugend stets zu allen Tagen ein treues An denken in Deinem reinen Herzen bewahrtest? Darf ich daran glauben, daß Du die Empfindungen theilst, die mich von frühster Jugend an in Deiner Nähe beseelten?" „Du darfst es," erwiderte Marie erröthend. „Nun denn," sprach Paul, „dann will ich dieser weihe vollen Stunde nie vergessen, die auch mich mit süßem ahnungs vollen Hoffen erfüllt! Ich stehe ja auch allein, Marie. Von den Wohlthaten vornehmer Verwandten abhängend, bin ich, dieses abhängigen Lebens müde, gezwungen, mit ganzer Kraft nach Selbstständigkeit zu ringen. Jetzt aber habe ich Ver trauen, daß mir der schwere Kampf gelingen wird, denn ein Engel wacht über mich, der mich im wildesten Kampfe beschütze« wird, dessen Segensspruch jedes Ungemach von mir fern hält! Marie," fuhr er mit vibrirender Stimme fort, „waS bereits das Herz deS Knaben ahnend durchwehte, was ich still, wie ein theures Geheimniß im Busen barg, ich darf es jetzt ge stehen, ich liebe Dich! Oh, Marie, sage mir, daß ich auf Dich hoffen, auf Dich vertrauen darf, und diese heilige, ernste Stunde wird zum Talisman werden, der über uns Beide wacht und